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Vor US-Karren gespannt
Brüssel debattiert über in Kuba inhaftierten »Dissidenten«. Havanna beklagt Verleumdungskampagne.
Während sich der seit April in einem Londoner Hochsicherheitsgefängnis inhaftierte Wikileaks-Gründer Julian Assange nach Einschätzung von mehr als 60 Ärzten in akuter Lebensgefahr befindet, beschäftigte sich das EU-Parlament am gestrigen Donnerstag mit dem am 1. Oktober verhafteten kubanischen Systemgegner José Daniel Ferrer. Dita Charanzova, Vizepräsidentin des EU-Parlaments von der rechtsliberalen tschechischen Partei »ANO 2011«, hatte mit Unterstützung des Bündnisses »Renew Europe«, dem auch die deutsche FDP angehört, eine »dringende Debatte« zum »Fall Ferrer und den Menschenrechten in Kuba« beantragt.
Nach Angaben der kubanischen Behörden war Ferrer vor acht Wochen festgenommen worden, nachdem ein in seiner Nachbarschaft lebender Mann namens Sergio García gegen ihn und drei weitere Personen Anzeige erstattet hatte. García hatte angegeben, von diesen eine Nacht lang gegen seinen Willen festgehalten und durch Schläge misshandelt worden zu sein. Das Opfer war dabei so schwer verletzt worden, dass es im Krankenhaus behandelt werden musste. Ferrer, der sich auf Einladung von US-Regierungsstellen und Contraorganisation häufig in Miami aufhält, ist bei der Polizei und den Ermittlungsbehörden in seiner Heimatstadt Santiago de Cuba ein alter Bekannter. Seit 1993 wurde er unter anderem wegen Angriffen auf Nachbarn, Gewalt gegen Frauen, Fahren ohne Führerschein und Unfallflucht verurteilt. Später erklärte er sich selbst zum Systemgegner. Seine Organisation »Unión Patriótica de Cuba« (Unpacu) wird nach Angaben Ferrers auch von der in Miami ansässigen Kubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung (CANF) finanziert, die ihr Budget wiederum von der US-Regierungsstiftung NED erhält. Die CANF war unter anderem für eine Serie von Bombenanschlägen auf kubanische Hotels verantwortlich.
In Kuba verfügt Ferrer selbst innerhalb der organisierten Dissidentengruppen über keinen nennenswerten Einfluss. In einer Fernsehdiskussion mit dem damals in Miami lebenden Journalisten Edmundo García hatte Ferrer die kubanische Regierung mit den faschistischen Regimes von Hitler und Mussolini verglichen. In der Bundesrepublik wird er vor allem von der rechtslastigen »Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte« (IGFM) unterstützt.
In einem offenen Brief an die Abgeordneten des EU-Parlaments wies die kubanische Botschafterin bei der Europäischen Union, Norma Goicochea, am Dienstag darauf hin, dass die gegen Ferrer erhobenen Vorwürfe in jedem Rechtsstaat der Welt eine polizeiliche Untersuchung und mögliche strafrechtliche Konsequenzen zur Folge hätten. Die Diplomatin warf der US-Botschaft in Havanna vor, die Ermittlungen gegen Ferrer für eine Verleumdungskampagne auszunutzen. Tatsächlich hatte US-Außenminister Michael Pompeo bereits am 18. Oktober dessen »sofortige Freilassung« gefordert. Kubas EU-Botschafterin bat die EU-Abgeordneten deshalb vor der Abstimmung, sich nicht vor Washingtons Karren spannen zu lassen und in innere juristische Angelegenheiten ihres Landes einzumischen. »Ich bin sicher, dass eine derartige Verletzung der Grundsätze für die Beziehungen zwischen den Staaten von Ihnen abgelehnt wird«, schrieb Goicochea.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 29.11.2019