Nachrichten aus und über Kuba
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Organisierter Diebstahl
Auf Kuba wird untersucht, wie US-Behörden an Nutzerdaten für den Twitter-Klon »ZunZuneo« kamen
Die Twittter-Kopie »ZunZuneo«mit der Washingtons Entwicklungsbehörde USAID einen Umsturz auf Kuba befördern wollte, war nur die Spitze des Eisbergs. Die tatsächliche Dimension der vor zwei Wochen aufgedeckten US-Geheimdienstoperation kam in den letzten Tagen ans Licht. In das von USAID in Kuba aufgebaute Agentennetz sind nicht nur US-Bürger, wie der zu 15 Jahren Haft verurteilte Spion Alan Gross, sondern auch einheimische Systemgegner verwickelt. Die unter anderem von US-Diensten finanzierte »Bloggerin« Yoani Sánchez offenbarte vor knapp einem Jahr detaillierte Insider-Kenntnisse über kriminelle Cyber-Attacken auf Internetanbieter und Nutzer auf Kuba.
Von 2009 bis 2012 hatte der Dienst »ZunZuneo« jugendliche Kubaner mit dem Angebot geködert, ihnen einen kostenlosen Austausch von Mitteilungen per Handy zu ermöglichen. (jW berichtete). Die jungen Leute ahnten nicht, daß hinter der scheinbar harmlosen Offerte ein US-Geheimdienst steckte, der mit einem – offiziell als »Hilfe für Pakistan« ausgewiesenen – 1,6-Millionen-Dollar-Budget Telefonnummern, E-Mail-Adressen und persönliche Daten sammelte. Ziel war dabei, die Jugendlichen mit gefälschten Meldungen gegen ihr Land aufzuwiegeln und später Massenproteste nach dem Modell »Arabischer Frühling«zu inszenieren. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur AP soll das Startkapital der USAID ein Bestand von einer halben Million kubanischer Handynummern gewesen sein, die angeblich ein Techniker von Cubacel der Mobilfunktochter des staatlichen Telekommunikationsunternehmens ETECSA, an Washington verkauft haben soll.
Dort ist mittlerweile eine umfangreiche Ermittlung angelaufen, deren Ziel es ist, das Leck zu finden und herauszufinden, wie die USAID in den Besitz der Daten gelangt ist. Offiziell wollte sich ETECSA-Sicherheitschef Daniel Ramos Fernández n der letzten Woche vor Pressevertretern in Havanna nicht festlegen, wie die »ZunZuneo«-Organisatoren an die Telefonnummern gekommen sind, deutete aber an, daß dies nur mit einer geheimdienstlichen Operation erreicht werden konnte. Entweder habe sich ein Agent innerhalb des Unternehmens die Kundendaten beschafft oder sie seien durch einen »Hacker-Angriff« von außen entwendet worden. Der in Miami lebende kubanische Journalist Edmundo García hält auch einen »Hacker-Angriff« aus einer in Havanna akkreditierten Botschaft, von denen einige über die dazu notwendigen technischen Anlagen verfügen, für denkbar.
Zumindest Yoani Sánchez ist mit dem Projekt »ZunZuneo« offenbar eng verbunden gewesen. So berichtete die nicaraguanische Tageszeitung La Prensa bereits am 6. April in ihrer Online-Ausgabe: »Dokumente im Besitz von AP belegen, daß Sánchez ihren Twitter-Microblog über die Nachrichtenplattform >ZunZuneo< verbreitet hat.« Möglicherweise ist sie aber noch tiefer in die USAID-Affäre verstrickt. Letzte Woche fragte etwa der kubanische Journalist Yohandry Fontana in seinem Blog: »Was weiß Yoani Sánchez über das Datenleck (bei ETECSA)?« Grund für seine Frage ist ein Artikel über kubanische Hacker, den Sánchez am 14. Juni letzten Jahres in ihrem Blog »Generation Y« veröffentlichte. Darin beschreibt sie mit erstaunlicher Detailkenntnis, wie sich Jugendliche, die sie »Genies« nennt, illegal geheime ETECSA-Daten beschafft und verbreitet haben.. Die »digitalen Delikte dieser Leute«, schwärmt Sánchez beschränken sich nicht auf Kopien ausländischer Filme, sondern sie blockierten Internetseiten und verstünden es auch Wifi-Paßwöter zu stehlen. Dies sei für viele Jugendliche ein »Freizeitspaß«.
Für die Opfer es ZunZuneo-Projekts ist der organisierte Diebstahl und Mißbrauch ihrer persönlichen Daten im Auftraag der USAID dagegen alles andere als ein Spaß. Eines von ihnen, die Redakteurin der Tageszeitung Juventud Rebelde, Yurisander Guevara, beschrieb am letzten Sonnabend, wie sie sich von dem verlockenden Angebot hatte täuschen lassen. »Ich hatte mich allerdings gefragt, warum >ZunZuneo< bei uns Jugendlichen so massiv und kostenlos angeboten wurde. Heute habe ich darauf eine Antwort. Der neue Krieg gegen Kuba hat als Hauptziel die Jugendlichen.«
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf, London
junge Welt, 19.04.2014