Nachrichten aus und über Kuba
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Neue Dimension
Das bedeutendste Vorhaben im Zuge der kubanischen »Aktualisierung des sozialistischen Modells«: In Mariel entsteht für 950 Millionen US-Dollar ein leistungsstarker Handelshafen.
Am 24. Juli steuerte der chinesische Schwergutfrachter »Zhen Hua 10« mit Ziel Havanna die rund 45 Kilometer westlich gelegene Bucht von Mariel an. An Bord des 244 Meter langen und 39 Meter breiten Schiffes der Postpanamax-Generation, das wegen seines Tiefgangs nicht in den Hafen im Zentrum der kubanischen Hauptstadt hätte einlaufen können, befanden sich vier 83 Meter hohe Containerbrücken für die Terminals eines neuen Tiefseeports. In der Bucht von Mariel sollen im kommenden Jahr der größte Containerhafen der Karibik und Kubas erste Sonderwirtschaftszone den Betrieb aufnehmen. Die Rahmenbedingungen dafür hat der Staatsrat am 20. September in einem Gesetz beschrieben, das am 1. November 2013 in Kraft tritt. Bei dessen Unterzeichnung charakterisierte Präsident Raúl Castro die Projekte als »derzeit wichtigste wirtschaftliche Maßnahmen für die Gegenwart und Zukunft« des Landes.
Der einstige Fischerort Mariel liegt in der Provinz Artemisa an der nordwestlichen Küste der größten Antilleninsel in einer geschützten Bucht, deren Einfahrt 700 Meter breit ist. Die rund 42000 Einwohner zählende Stadt hat außer der größten Zementfabrik des Landes einige Kraftwerke, einen Industriehafen und kleinere Schiffswerften vor allem für die Reparatur zu bieten. Für die inländische Wirtschaft und ausländische Investoren hatte die Region bis vor kurzem kaum Bedeutung.
Das soll sich demnächst ändern. Langfristig sehen die Planer in Havanna den Ort als wichtigsten Im- und Exporthafen und attraktiven Umschlagplatz für den zunehmenden Containerverkehr zwischen Asien und dem amerikanischen Kontinent. Die Wirtschafts- und Technologieentwicklungszone ist bereits heute für Unternehmen vor allem aus China und Vietnam interessant. Auf dem insgesamt rund 465 Quadratkilometer großen Gebiet sollen in den nächsten Jahren Tausende neue Arbeitsplätze entstehen.
Für die Auswahl des Areals waren neben der Bucht mit ausreichend tiefem Wasser auch die bereits vorhandene Anbindung durch Straßen, Autobahn- und Eisenbahnverbindungen sowie die Nähe zu den wichtigsten wissenschaftlichen Forschungszentren und dem Internationalen Flughafen José Martí in der Hauptstadt Havanna ausschlaggebend. Neben dem Ausbau der bestehenden Infrastruktur sind umfangreiche neue Installationen zur Wasser- und Stromversorgung sowie Kläranlagen nötig. Auf dem Gelände sind außerdem Messehallen, Einkaufszentren, Kliniken, Erholungsgebiete und eine große Zahl von Neubauwohnungen geplant.
Das Projekt ist das derzeit bedeutendste Vorhaben im Zuge des wirtschaftlichen Umgestaltungsprozesses, der in Kuba als »Aktualisierung des sozialistischen Modells« bezeichnet wird. Grundlage der Planungen sind die Beschlüsse des 6. Parteitags der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) vom April 2011. Dort forderten die Delegierten unter anderem in der Leitlinie 103 die »Schaffung von Sonderentwicklungszonen, die die Steigerung des Exports, den effektiven Einsatz von Importen, Hightech-Projekte und solche der lokalen Entwicklung erlauben sowie zur Entstehung neuer Arbeitsplätze beitragen«.
Größter Hafen der Karibik
Kuba liegt inmitten der Hauptseefahrtswege zwischen Asien, dem Panamakanal, Amerika und Europa. Von den insgesamt 13 Häfen des Landes ist Havanna seit jeher der wichtigste für Importe und Exporte. Schon die spanischen Kolonialherren hatten die ideale Lage erkannt und in der geschützten Bucht den noch heute genutzten Naturhafen angelegt, den sie zum Hauptstützpunkt ihrer Flotte in der Karibik und zum Brückenkopf Amerikas nach Europa machten. Ihrer einzigartigen Position am Golf von Mexiko und ihrem Hafen verdankte die Stadt Havanna ihren Aufstieg zur bedeutendsten und reichsten Metropole Mittelamerikas.
Für die heutigen und zukünftigen Anforderungen ist der bisherige Frachthafen jedoch nicht mehr ausreichend. Der Autotunnel unter der Fahrrinne, der das Zentrum mit den Wohnvierteln und Stränden im Osten der Stadt verbindet, erlaubt nur Schiffen mit einem Tiefgang von höchstens elf Metern die Einfahrt. Durch die Lage mitten in der Stadt ist der weitere Ausbau zudem nicht möglich und auch nicht erwünscht. Die ökologischen Belastungen durch ein derartig ausgedehntes Industrieareal für Luft, Wasser und die Menschen in der urbanen Umgebung sind nach Ansicht von Fachleuten und Behörden nicht akzeptabel.
Mit dem neuen Hafen in Mariel wollen die kubanischen Planer diese Einschränkungen aufheben und Kubas Anschluß an den internationalen Handel intensivieren. Das Gesamtvolumen der größten Investition seit dem Sieg der Revolution wird mittlerweile auf bis zu 950 Millionen US-Dollar geschätzt, von denen 640 Millionen mit Krediten brasilianischer Banken finanziert werden. Die Bauarbeiten werden von einem Joint Venture zwischen dem kubanischen Unternehmen Almacenes Universales S.A. und der Compañía de Obras en Infraestructura (COI) ausgeführt. COI ist eine Tochter der brasilianischen Odebrecht-Gruppe, des auf Großprojekte spezialisierten zweitgrößten Baukonzerns der Welt. Mit der Verwaltung von Hafenanlagen und Containerterminals wurde nach einer Ausschreibung im vergangenen Jahr die Firma »PSA International« mit Sitz in Singapur beauftragt, die weltweit zwölf der größten Ports managt und sich in der Region mit der erfolgreichen Leitung der Hafenanlagen von Panama und Buenos Aires einen Namen gemacht hat.
Bereits Ende dieses Jahres sollen Teile des Hafens in Betrieb genommen werden. Dazu gehört ein Terminal mit einer 700 Meter langen Kaimauer, die die gleichzeitige Abfertigung von zwei Großcontainerschiffen ermöglicht. Zunächst sollen die Hafenbecken für Schiffe mit einem Tiefgang von bis zu 15 Meter zugänglich sein. Damit können hier die meisten der seit 1997 gebauten modernen Containerschiffe der fünften Generation (Super-Postpanamax-Schiffe) einlaufen, die bis zu 10000 TEU (20-Fuß-Container) tragen.
Mit dem neuen Industriehafen ist Kuba für die spätestens 2015 abgeschlossene Erweiterung des Panamakanals, den dann deutlich größere Schiffe als bisher passieren können, das ideale Drehkreuz für den Warenverkehr zwischen Asien, Amerika und Europa. Sollte das ehrgeizige, aber umstrittene Kanalprojekt in Nicaragua, für das die Bauarbeiten nach Aussagen der chinesischen Investoren im kommenden Jahr beginnen sollen, wie angekündigt bis 2019 fertiggestellt werden, würde das Schiffsaufkommen und die Bedeutung Mariels noch einmal zunehmen.
Perspektivisch wird auch das Löschen der neuen Riesenfrachter der Triple-E-Klasse für möglich gehalten, die bislang für die meisten Häfen auf der Welt zu groß sind. Trotzdem hatte die dänische Reederei Maersk Line im Juli mit der »Maersk Mc-Kinney Møller« das auf einer südkoreanischen Werft gefertigte erste dieser Superschiffe in Dienst gestellt. Das größte Containerschiff der Welt ist knapp 400 Meter lang, 20 Stockwerke hoch und kann 18000 TEU befördern. Mariel könnte zu den wenigen Häfen gehören, die es anlaufen kann.
Doch auch für die nähere Zukunft sind die Aussichten nicht schlecht. Nach einer rückläufigen Entwicklung des weltweiten Containerumschlags in den letzten drei Jahren prognostiziert das »Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik« (ISL) für das Jahr 2014 ein Wachstum des Behälterumschlags von 8,3 Prozent. Kuba ist darauf jetzt vorbereitet. Der Terminal in Mariel ist zunächst für eine Kapazität von einer Million Containern ausgelegt, und kann damit das dreifache Volumen dessen bewältigen, was durch den bisherigen Frachthafen von Havanna ging. Bei entsprechendem Aufkommen soll eine Erweiterung der Kapazitäten auf bis zu drei Millionen Container möglich sein. Mittel- bis langfristig soll Mariel auch als Basis und wichtigster Versorgungshafen für die erfolgversprechende Offshore-Ölförderung im Golf von Mexiko dienen.
Erste Sonderentwicklungszone
Neben dem Tiefseehafen soll eine »Sonderwirtschaftszone« in der Bucht zum größten Industriepark und Logistikzentrum des Landes werden und qualifizierte moderne Ausbildungs-, Forschungs- und Dienstleistungseinrichtungen beherbergen. Unter anderem soll dort eine neue technische Universität angesiedelt werden.
Am 23. September veröffentlichte das amtliche kubanische Mitteilungsorgan Gaceta Oficial de Cuba das am 20. September vom Staatsrat beschlossene Gesetz und dessen Ausführungsbestimmungen sowie weitere Regelungen für die Sonderentwicklungszone in Mariel (Zona Especial de Desarrollo Mariel, ZEDM). Darin werden Planung, Ziele und Bedingungen für das Projekt, mit dem Kuba wirtschaftspolitisches Neuland betritt, erstmals in allen Details aufgeführt.
Durch steuerliche Anreize, erleichterte Importbedingungen sowie günstige Zölle und Abgaben soll der Standort attraktiv für ausländische Investitionen werden. Nach den neuen Bestimmungen können für bestimmte Produkte in der Freihandelszone geringere Importzölle als im übrigen Kuba anfallen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Güter von Betrieben in der Sonderwirtschaftszone verarbeitet und danach wieder ausgeführt werden. Auch für den Verkauf von Waren, die dort hergestellt werden, gelten niedrigere Abgabensätze. Derartige Regelungen, so hoffen die kubanischen Wirtschaftspolitiker, können auch für Binnenmarkt und Binnenwirtschaft des Landes dauerhaft positive Impulse geben.
Relativ sicher sind sich die Experten, daß mit der Eröffnung der Sonderzone schon kurzfristig ein Teil der Ziele erreicht wird. Dazu gehören etwa die Steigerung der Produktivität durch moderne Fertigungsanlagen, eine nachhaltige Verbesserung des Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzes im Vergleich zu Altanlagen sowie ein Technologietransfer. Die Hoffnung auf Tausende neuer, qualifizierter und künftig auch angemessen entlohnter Arbeitsplätze dürfte durchaus realistisch sein. Von diesen Faktoren hängt es ab, ob eines der mittel- und langfristigen Hauptziele, nämlich die kräftige Steigerung der eigenen Exporte bei gleichzeitiger Reduzierung von Importen, erreicht wird.
Interessierte Investoren
Seit Monaten rühren Politiker und Wirtschaftsfunktionäre der sozialistischen Karibikinsel auf Informationsveranstaltungen in aller Welt bereits die Werbetrommel für Kubas erste Sonderentwicklungszone. Offenbar sind sie dabei durchaus erfolgreich.
Am 25. September überhäuften Hunderte chinesischer Unternehmer und Vertreter von Wirtschaftsverbänden des Landes den kubanischen Minister für Außenhandel und ausländische Investitionen, Rodrigo Malmierca, auf einer Informationsveranstaltung in Peking mit Fragen zu Investitionsbedingungen in Mariel. Ihr besonderes Interesse galt dabei den Möglichkeiten im Bereich der Produktion von Nahrungsmitteln, dem Telekommunikationssektor und moderner Informationstechnologien. Nach einer Meldung der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina informierten sich Repräsentanten der chinesischen Entwicklungsbank über die Bedingungen zur Errichtung von Fabriken in der Sonderwirtschaftszone. Sie deuteten dabei die Möglichkeit des Aufbaus chinesischer Produktionsstätten in den Bereichen Automobil, Klimatechnik und erneuerbare Energieträger an.
Eine Woche zuvor war Rodrigo Malmierca in Vietnam bereits auf ähnlich großes Interesse gestoßen. Auch in Hanoi hatten hochrangige Politiker und Wirtschaftsvertreter die Absicht vietnamesischer Firmen angekündigt, über Mariel in den lateinamerikanischen Markt zu expandieren.
Schon seit einiger Zeit hat Kuba die wirtschaftlichen Beziehungen zu den aufstrebenden BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika) gezielt ausgebaut. Eine Politik, die sich auch bei der Suche nach potenten Investoren auszahlen dürfte. Die fünf Schwellenländer, in denen 40 Prozent der Weltbevölkerung leben, erwirtschaften immerhin jährliche Zuwachsraten von fünf bis zehn Prozent, während die EU bei einem Plus von höchstens zwei Prozent stagniert. Dank des großen Interesses, das die Karibikrepublik in diesen Ländern mit ihrer Freihandelszone findet, ist das sozialistische Kuba nicht auf das Wohlwollen der Europäer oder gar der USA angewiesen. Wenn Mariel sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt, ist es eher wahrscheinlich, daß seine bisherigen Gegner – aus eigenen wirtschaftlichen Motiven – nach Wegen zur Verbesserung der Beziehungen suchen.
Havannas Hafen wird Flaniermeile
Für die Bucht von Havanna, den alten Hafen und die Anwohner der dort gelegenen Stadtteile ist der rasante Aufstieg Mariels keine Bedrohung. Im Gegenteil. Die Städteplaner und Architekten im Team des Stadthistorikers Dr. Eusebio Leal Spengler, dessen Oficina del Historiador de La Ciudad Habana (OHCH) die meisten Sanierungsprojekte in der Hauptstadt leitet, sehen in der Verlagerung von Industrie und Umschlag vor allem Chancen, von denen sie bisher nicht zu träumen wagten. Die für die Stadtentwicklung zuständige Abteilungsleiterin der OHCH, Kenia Díaz, prophezeit, daß sich die Perle der Karibik schon in einigen Jahren in neuem, nie dagewesenem Glanz präsentieren wird.
Viele der bereits seit rund 15 Jahren entwickelten ambitionierten Projekte der Stadtplaner waren bislang nicht nur wegen Devisenmangels, sondern auch wegen der industriell genutzten Flächen im Hafen nicht umsetzbar. Noch wirkt das Areal auf viele Besucher eher abstoßend. Anleger, Docks und Schuppen sind größtenteils heruntergekommen, die Raffinerie »Nico López« bläst Flammen und schwarze Rauchwolken in den blauen Himmel, und in den Hafenbecken schwimmen Plastiktüten und Abfälle in Öllachen. Zwar haben erste Umweltschutzmaßnahmen die Situation in den letzten Jahren leicht verbessert, bereits vertriebene Fisch- und Vogelarten kehren zurück, doch eine planmäßige Generalsanierung wird erst mit der Eröffnung von Mariel möglich.
Wo heute noch mittelgroße Containerschiffe, Frachter und Tanker ihre Ladung löschen, sieht Eusebio Leal künftig Grünflächen, kleine Parks, flanierende Fußgänger, spielende Kinder, Pelikane und andere tropische Wasservögel. »Im Bereich der Avenida del Puerto, dem hohe Priorität zukommt, geht es vor allem um die ökologische Gesundung der Bucht von Havanna«, sagt der Stadthistoriker in einem Interview mit der Tageszeitung Granma. Er plant als Verlängerung der Uferpromenade Malecón einen kilometerlangen attraktiven Boulevard mit Blick auf die Reeden und alten Docks, mit Zugängen zu in der Bucht schwimmenden Pontons, Cafés und Restaurants.
Dazu werden die großen historischen Hafendocks »San Francisco«, »Santa Clara« und »La Machina« restauriert. Die Arbeiten am früheren Tabakwaren- und Holzdock sind bereits abgeschlossen. Vom Dach der Halle können Besucher schon bald bei einem Bier, aus der im Untergeschoß eingerichteten Brauerei, den Blick über die Bucht und das Hafenviertel genießen. In der Nähe wird demnächst ein Eisenbahnmuseum mit 40 alten Lokomotiven eröffnet. Der Bau eines neuen Anlegers für die Hafenfähre, die das Viertel Regla mit den Stadtteilen Casablanca und Guanabacoa verbindet, soll im kommenden Jahr fertig werden. Die bereits von Kunstgewerbeanbietern genutzten Almacenes San José werden künftig im zweiten Stock ein Theater und ein Einkaufszentrum beherbergen.
Da die gesamte Planung in Händen des OHCH oder anderer staatlicher Institutionen liegt, können spekulative Exzesse, die bei der Modernisierung anderer Häfen bisher immer zur Vertreibung der dortigen Altanwohner geführt haben, verhindert werden. In Barcelona, London oder Hamburg dienen die neuen Hafencitys ausschließlich den kommerziellen Interessen der Großanleger. Arbeiter, Studenten und Rentner mußten ebenso wie kleine Gewerbetreibende einer finanzkräftigen Klientel weichen, die sich teure Luxuswohnungen, Champagnerbars und Scampiimbisse leisten kann.
Die Planungen im historischen Kern und im Hafen von Havanna beziehen dagegen die dortigen Bewohner aktiv mit ein. Neben Hotels, Herbergen und Restaurants, die Devisen für die weitere Restaurierung einbringen, werden bestehende Wohnungen erhalten und soziale Einrichtungen wie Kindergärten, Seniorenwohnungen oder Schulen für behinderte Jugendliche geschaffen. Die Sanierung der Bucht von Havanna, sagt Eusebio Leal, kommt in erster Linie den Bewohnern der Stadt zugute und soll darüber hinaus natürlich auch Besucher aus anderen Teilen des Landes und dem Ausland anziehen.
Gerüstet für den Boom
Mit der Sonderentwicklungszone samt Hafen in Mariel sowie der Umgestaltung der Bucht und des historischen Zentrums von Havanna setzt Kuba auf sofort wirksam werdende Verbesserungen und rüstet sich zugleich für die Zukunft. Dabei behalten die Planer in Havanna das Heft in der Hand und schaffen für die Wirtschaft eine neues Standbein. Damit ist die sozialistische Karibikinsel bestens auf unterschiedliche Optionen vorbereitet.
Der Wiederaufbau einer eigenen Handelsflotte – im Juli wurde mit dem Frachter »Gertrudis« der neunte von zehn in China bestellten Schiffsneubauten in Dienst genommen –, zusätzlicher Güterumschlag und eine Zunahme des Frachtverkehrs sowie der Besucherströme dürften einen Teil der Investitionen schon bald wieder zurückfließen lassen, Devisen für die notwendige weitere Modernisierung von Wirtschaft, Infrastruktur und Wohnraum bringen und den Lebensstandard der Bevölkerung verbessern. Ein neuer »Kuba-Boom« kündigt sich an. Die Handelsmesse FIHAV 2013, die vom 3. bis 9. November auf dem Gelände »Expocuba« stattfindet, meldet mit 1400 Ausstellern aus 64 Staaten das größte Angebot ihrer Geschichte. Viele ausländische Firmen hätten spezielles Interesse an der Präsentation der Sonderentwicklungszone Mariel auf der Messe angemeldet, bestätigte Minister Malmierca am 21. Oktober gegenüber der kubanischen Nachrichtenagentur AIN.
Auch auf den Fall der anachronistischen US-Blockade, die sogar in den Vereinigten Staaten von immer mehr Bürgern und Wirtschaftsvertretern in Frage gestellt wird, und die dann zu erwartenden Zuwächse des Schiffs- und Warenverkehrs ist Kuba mit Mariel ausreichend vorbereitet. Beobachter vermuten allerdings, daß Washington zunächst das Reiseverbot für US-Bürger nach Kuba aufhebt. Der dadurch ausgelöste Touristenansturm wird auf mindestens 1,3 Millionen Besucher geschätzt. Die großen Kreuzfahrtlinien, die Havanna wegen der Blockade bisher meist nicht anlaufen, erwarten den Tag X mit Ungeduld.
Während alle Welt die Beziehungen zu Kuba ausbaut, blockiert die deutsche Bundesregierung noch jede Entspannung. Obwohl der im Juni von Berlin nach Havanna entsandte Wirtschaftsstaatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz (FDP) gegenüber der ARD bestätigte, daß »Kuba (…) keinen einzigen politischen Gefangenen mehr hat«, verhindert Deutschland gemeinsam mit Polen, Tschechien, Litauen und Schweden eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der EU und dem Inselstaat. Sie hatten vor zehn Jahren wegen der Inhaftierung konspirativer Systemgegner einen Tiefpunkt erreicht. Wegen dieser Blockade haben 13 EU-Staaten bereits eigene bilaterale Abkommen mit Havanna unterzeichnet. Alle – außer den fünf genannten – wollen normale Beziehungen. Das Exportland Bundesrepublik schürt dagegen den Konflikt und grenzt sich damit bislang selbst aus. Die nächste Bundesregierung könnte die Blockade überwinden. Sie würde damit vermutlich der deutschen Wirtschaft einen größeren Gefallen erweisen als den Kubanern, die sich, wie das Beispiel Mariel zeigt, auch gut allein zu helfen wissen.
Volker Hermsdorf schrieb auf diesen Seiten zuletzt am 14.2.2013 über den Umbau der kubanischen Landwirtschaft.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 25.10.2013