Dokumente aus Kuba
Dokumente, Regierungserklärungen, Reden und Reflektionen von Fidel Castro, Erklärungen des kubanischen Außenministeriums, Veröffentlichungen der Nationalversammlung, Berichte der kubanischen Regierung sowie Beiträge Kubas vor den Vereinten Nationen.
IV. Parteitag der Kommunistischen Partei Cubas, Oktober 1991
BESCHLUSS ÜBER DIE ERMÄCHTIGUNG DES ZENTRALKOMITEES DER PARTEI, ENTSCHEIDUNGEN IN ÜBEREINKLANG MIT DER SITUATION, DIE DAS LAND DURCHLEBT, ZU TREFFEN
Der Comandante en Jefe Fidel Castro hat mit seiner weitläufigen und aufklärenden Rede zu Beginn und später mit den verschiedensten Kommentaren zu den einzelnen zur Diskussion stehenden Themen unserem IV. Parteitag eine äußerst dokumentierte, tiefgreifende und integrale Übersicht über die außerordentlichen Umstände geliefert, die heute von der Partei und dem kubanischen Volk gemeistert werden müssen.
Aus diesen Informationen und Orientierungen und aus der gesamten außerordentlich umfassenden Debatte, die wir in diesen Tagen geführt haben, läßt sich die unumstößliche Überzeugung ableiten, daß wir mit Entschlossenheit, schöpferischer Verwegenheit und Realitätssinn handeln müssen, um die Zeit zu gewinnen, die nötig ist, damit unsere Wirtschaftsstrategie Früchte trägt und damit gangbare und dauerhafte Lösungen gefunden werden für das Leben, die Arbeit und die Entwicklung unseres Landes.
Auf dem IV. Parteitag sind alle wesentlichen Themen, die unsere Parteimitglieder und unser gesamtes Volk beunruhigen, mit einem weiten demokratischen Geist, unter völliger Meinungsfreiheit und ohne Einschränkungen irgendwelcher Art diskutiert worden. Die folgenschwersten Probleme der Revolution und des Landes sind ohne Euphemismus, in all ihrer Kompliziertheit und aus den verschiedensten Winkeln heraus debattiert worden, und aus dieser Konfrontation von Ideen haben sich programmatische Richtlinien von äußerster Wichtigkeit ergeben.
Die bestätigten Dokumente müssen sorgfältig von den Parteimitgliedern und unserem gesamten Volk studiert werden; sie müssen organisch in das tägliche Handeln der Partei einbezogen werden und einen direkten, entscheidenden Einfluß auf die Gesamtheit unserer Gesellschaft ausüben.
Das Läuten der Glocke der Plantage »La Demajagua« (1) hat uns hier in dieser legendären Stadt Santiago de Cuba, wo die verehrungswürdigen Reste von Jose Marti (2) und so vielen unvergeßlichen Helden begraben liegen, wo das wunderbare Vermächtnis der Maceos (3) lebt und wo mit jedem neuen Morgengrauen der fruchtbringenden Heldentat der Moncada-Kaserne (4) gedacht wird, mit unübertrefflicher Emotion daran erinnert, daß wir dankbar sind für das Opfer und die Anstrengungen aller Generationen von kubanischen Patrioten und Revolutionären, und es hat bewirkt, daß wir uns mit tiefer Ehrfurcht in Erinnerung rufen, daß in jedem entscheidenden Moment in der Geschichte des Vaterlandes auf den Schultern der Kämpfer der Vorhut unumgängliche Entscheidungen und Verantwortungen lasteten, die sie ohne zu zögern im Namen unseres Volkes wahrgenommen haben.
Der IV. Parteitag ist sich des beträchtlichen Grades an Ungewißheit völlig bewußt geworden, die noch immer in bezug auf die externen Faktoren herrscht, die sich in unmittelbarer Zukunft und in den nächsten Jahren auf unser Land auswirken können.
Kuba befindet sich jetzt im entscheidendsten Moment seines Bestehens als Nation. Von der Rettung der Revolution und des Sozialismus hängt heute ab, ob wir auch weiterhin ein unabhängiges und souveränes Land sein werden. Unser Schicksal ist die Würde und die Freiheit des Vaterlandes. Es ist kein kollektiver Selbstmord, was wir uns vornehmen, es ist nicht das Schicksal von Numancia (5), das wir mit den Anstrengungen und dem Talent des Volkes: wiederholen wollen. Auf diesem Parteitag haben wir objektiv überprüft, daß aus dem schöpferischen Potential der Kubaner von Heute wahrhaftige Lösungen für das Überleben des Landes hervorgegangen sind, und darüber hinaus sogar Lösungen für seine Entwicklung, selbst unter solch widrigen Umständen. Aber ebenso deutlich ist der Entschlossenheit der kubanischen Kommunisten Ausdruck verliehen worden, die Souveränität des Vaterlandes und das Werk unserer sozialistischen Revolution bis zum Tod zu verteidigen, mit dem Wissen, daß uns dabei die überwältigende Mehrheit unseres Volkes beisteht.
Angesichts der Undefiniertheiten, die weiter bestehen, angesichts der neuen Möglichkeiten, die sich uns eröffnen können, angesichts der neuen Veränderungen, die noch stattfinden können, und der schnellen unvorhersehbaren Wandlung der Ereignisse benötigt die Nation wie niemals zuvor all ihre Kapazität, um flexible Entscheidungen zu treffen und in jedem Moment das zu tun, was jeder Moment verlangt.
Auf diese Weise beginnt das Zentralkomitee, das von diesem Parteitag gewählt wurde, sein Mandat inmitten der schwierigsten und kompliziertesten Bedingungen, die die Revolution je gekannt hat, und es nimmt somit eine außergewöhnliche Verantwortung und einen historischen Kompromiß gegenüber unserer Partei, gegenüber unserem Volk und gegenüber den fortschrittlichen Frauen und Männern auf der ganzen Welt auf sich. Im Licht dieser grundlegenden Betrachtungen und im höchsten Sinne angeregt von seinen Verpflichtungen und seiner Autorität beschließt der IV. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas:
dem Zentralkomitee außerordentliche Befugnisse zu verleihen, damit es im Übereinklang mit den Situationen, mit denen sich das Land konfrontiert sehen kann, einerseits die entsprechenden politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen trifft und andererseits die Gesetzgebung und alle notwendigen staatlichen Handlungen fördert, damit das höchste Ziel, das darin besteht, das Vaterland,die Revolution und den Sozialismus zu retten, erfüllt werden kann.
1) Carlos Manuel de Céspedes del Castillo (1819-1874), kubanischer Patriot und wichtiger Führer der kubanischen Unabhängigkeitskriege im 19. Jahrhundert. C&spedes gab 1868 als erster das Signal zum Aufstand gegen die spanische Kolonialmacht, indem er den Sklaven auf seiner Farm »La Demajagua« die Freiheit gab und sie aufrief, sich dem Kampf anzuschließen. Er trägt den Beinamen »Vater des Vaterlandes«.
2) José Martí (1853-1895), kubanischer Nationalheld, Dichter, Schriftsteller, Politiker und wichtigster Führer des kubanischen Unabhängigkeitskrieges. Begründer der Ersten Revolutionären Partei Kubas im Jahre 1892, mit deren Hilfe er den »notwendigen Krieg« organisiert und den Kampf gegen Spanien 1985 wiederaufnimmt, wobei er im Verlaufe einer Schlacht fällt.
3) Antonio Maceo Grajales (1845-1896), Militärstratege und Politiker, bedeutender Führer der kubanischen Unabhängigkeitskriege gegen Spanien. In Kuba bekannt unter dem Beinamen »Der Bronzetitan«. Er weigerte sich, den Pakt von Zanjón anzuerkennen, durch den 1878 nach einem zehnjährigen Krieg die Kapitulation der kubanischen Unabhängigkeitskämpfer gegenüber Spanien besiegelt werden sollte und rief in Baraguá dazu auf, den Kampf fortzusetzen. José Maceo Grajales (1849-1896), bedeutender kubanischer Revolutionär, der ebenso wie sein Bruder Antonio im Kampf um die Unabhängigkeit Kubas zum Helden wurde.
4) Mit dem Sturm einer Gruppe von Revolutionären unter der Leitung Fidel Castros auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba, die damals die zweitwichtigste Militärkaserne des Landes war, wurde am 26. Juli 1953 das Signal zum Aufstand gegen die Diktatur Batistas gegeben. Da dieses Datum den Beginn der revolutionären Bewegung darstellt, ist der 26. Juli heute in Kuba ein Nationalfeiertag.
5) Antiker iberischer Ort, der im Krieg gegen die Römer von einer Mauer mit Türmen gänzlich umschlossen wurde. Seine Bewohner mußten sich schließlich ob der großen Hungersnot ergeben, und die Stadt wurde von den Römern verbrannt und dem Erdboden gleich gemacht.
14.10.1991, Havanna
Quelle: IV. Parteitag der Kommunistischen Partei Cubas - Dokumente
Herausgeber: Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba