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Dokumente aus Kuba

Dokumente, Regierungserklärungen, Reden und Reflektionen von Fidel Castro, Erklärungen des kubanischen Außenministeriums, Veröffentlichungen der Nationalversammlung, Berichte der kubanischen Regierung sowie Beiträge Kubas vor den Vereinten Nationen.



I. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), Dezember 1975

IV. Die neue Verfassung

I. Parteitag der KP Kubas

Unter den Aufgaben, denen die Partei gegenwärtig die größte Aufmerksamkeit widmen muß, ist wahrscheinlich auf politischem Gebiet keine von so großer Bedeutung wie die, zu erreichen, daß die Kraft und die Einheit unseres Prozesses ihren Niederschlag in festen und guten Institutionen finden. Wenn wir es erreichen, daß unsere Revolution auf unverrückbaren Prinzipien, die niemand verletzen darf, und auf wirksamen und beständigen Institutionen beruht, die die Errungenschaften unseres Volkes festigen und stets als wichtigstes und oberstes Gesetz unserer Partei und aller anderen revolutionären Einrichtungen die Förderung der Fähigsten und Verdienstvollsten ansieht, garantieren wir die ununterbrochene Vorwärtsentwicklung unseres Prozesses, der mit jedem Tag beispielgebend in seiner Einheit, fester in der Ideologie und reiner wegen der Ehrlichkeit und Sauberkeit der Anschauungen der Frauen und Männer ist, die ihn vorantreiben.

Unser revolutionärer Staat hatte viele Jahre hindurch eine provisorische Struktur. Die Revolution hatte es nicht besonders eilig damit, dem Land eine endgültige Staatsform zu geben. Es ging nicht einfach darum, eine Aufgabe zu erfüllen, sondern darum, solide Einrichtungen zu schaffen, die wohlüberlegt und dauerhaft sind und den Anforderungen des Landes entsprechen. Doch dieses Provisorium hat bereits sehr lange gedauert, und nun ist der Zeitpunkt gekommen, diesen Zustand endgültig zu überwinden. Der revolutionäre Prozeß hat genügend Reife und Erfahrung gewonnen, um diese Aufgabe in Angriff zu nehmen und sie zu lösen. Außerdem wurde es bereits zu einer unaufschiebbaren Notwendigkeit, zu einer historischen und moralischen Pflicht für unsere Generation von Revolutionären. Besonders in den letzten Jahren erhielten die Aufgaben zur Stärkung der sozialistischen Gesetzlichkeit ständig neue Impulse. Es wurden wichtige revolutionäre Gesetze, zum Beispiel das Gesetz zur Organisierung des Rechtswesens, das Gesetz über das Strafverfahren, über das Zivil- und Verwaltungsverfahren sowie das Familiengesetzbuch, erarbeitet, diskutiert und angenommen.

Eine besondere politische, institutionelle und rechtliche Bedeutung hat jetzt die Annahme der Verfassung, die das alte Grundgesetz aus dem Jahre 1940 ersetzen wird. Dieses Gesetz, das trotz unzähliger Abänderungen und Ergänzungen mit seinen Formulierungen als bürgerliche Verfassung immer wieder mit dem tiefgreifenden revolutionären Prozeß in Widerspruch geriet, galt bis heute. Die Abänderungen wurden durch Beschluß des Ministerrates auf der Grundlage einer von der siegreichen Revolution hinzugefügten Klausel vorgenommen.

Heute brauchen wir eine sozialistische Verfassung, die den Merkmalen unserer Gesellschaft, dem gesellschaftlichen Bewußtsein, der ideologischen Überzeugung und den Zielstellungen unseres Volkes entspricht. Es muß sich um eine Verfassung handeln, die die allgemeingültigen Gesetze der Gesellschaft, die wir aufbauen, die tiefgehenden ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, die die Revolution vollzogen hat, und die historischen Errungenschaften des Volkes widerspiegelt, es muß eine Verfassung sein, die das, was wir heute erreicht haben, festigt und uns hilft, das Zukünftige zu schaffen.

Es wurde sehr gewissenhaft bei der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfes vorgegangen. Er ist eine Synthese der Erfahrungen unseres eigenen Volkes und der Völker, die vor uns die sozialistische Gesellschaftsordnung errichteten. Wir schätzen ein, daß der Wortlaut sich als würdig erweist für den ersten sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern, der körperlich und geistig arbeitenden Werktätigen auf dem amerikanischen Kontinent, einen Staat, in dem die Souveränität und die Macht tatsächlich dem Volk gehören, eine Macht, die sich auf das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln und das feste Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern stützt, geführt von der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Vorhut, der Kommunistischen Partei Kubas, die die führende Kraft der Gesellschaft und des Staates ist.

Ebenso wie der tiefe revolutionäre Inhalt des Gesetzes muß als Beispiel sozialistischer Demokratie hervorgehoben werden, wie sich das Volk selbst seine neue Verfassung gibt. Ungefähr 6,2Millionen Bürger beteiligten sich innerhalb der Partei, in den Gewerkschaften, den CDR, der FMC, der ANAP, im FEU, im FEEM (1), in den militärischen Einheiten und in unseren Auslandsvertretungen an den Diskussionen zum Entwurf. Mit Ausnahme der Kinder beteiligten sich alle Bürger direkt am Studium des Dokuments. 5,5 Millionen stimmten dem Entwurf ohne Abänderungen zu. 16.000 Bürger hatten Veränderungs- und Ergänzungsvorschläge, die von etwa 600.000 Teilnehmern der verschiedenen Versammlungen unterstützt wurden. So wurde der Entwurf durch die Volksdiskussion bereichert, und die Zentrale Vorbereitungskommission vervollständigte ihn. Nunmehr liegt uns ein Text vor, über den unser Parteitag befinden wird, und am 15. Februar wird unser Volk in einem Referendum über die Verfassung in freier, allgemeiner, gleicher und geheimer Abstimmung entscheiden. Sie wird dann am 24.Februar, am 81.Jahrestag des Beginns des ruhmreichen Unabhängigkeitskrieges von 1895, als Ergebnis auch der großen Anstrengungen José Martís und seiner ruhmreichen Revolutionären Kubanischen Partei, in feierlicher Form proklamiert.

Welch eine unermeßliche revolutionäre und menschliche Genugtuung wird es sein, an diesem Tag die Verfassung in Kraft zu setzen, die als Synthese der historischen Kämpfe unseres Volkes das Streben unseres Nationalhelden erfüllt, nach dessen Worten das oberste Gesetz unserer Republik die Kubaner in die Lage versetzen soll, die Menschenwürde voll zu genießen. Die bürgerlichen Verfassungen - selbst jene Länder, in denen der Institutionalismus am stärksten verwurzelt ist, nicht ausgenommen - gehen und können nicht weiter gehen als bis zur Deklaration formaler Freiheiten und Rechte, denen die grausame Klassengesellschaft Tag für Tag zuwiderhandelt und die sie mit Füßen tritt. Im Gegensatz dazu wird unsere Verfassung angenommen, um vollständig und erschöpfend angewandt zu werden. Jedes einzelne der darin verankerten Rechte ist gültiges, echtes und spürbares Recht, das in vollem Umfang durch das materielle, politische und moralische Werk der Revolution garantiert wird.

Die Verfassung enthält:

das Recht aller Bürger auf Arbeit und die Beseitigung der Ausbeutung und Zwangsarbeitslosigkeit, die die Arbeiter der kapitalistischen Welt wie eine unüberwindbare Pest heimsucht;

das Recht der Bauern auf Land und die endgültige Abschaffung hoher Pachten, der ehemals drohenden Landvertreibung, der Erpressung durch die Großgrundbesitzer, Lagerverwalter und imperialistischen Gesellschaften;

das Recht jedes Kindes, Jugendlichen oder Erwachsenen auf allgemeine, kostenlose und wissenschaftliche Ausbildung, die den Menschen für das Leben und die Nutzung der Kulturgüter vorbereitet;

das Recht jedes Kranken auf kostenlose medizinische und Krankenhausbehandlung, die es selbst in den entferntesten Gegenden unseres Landes tatsächlich gibt;

das Recht auf Körpererziehung, Sport und Erholung zur allseitigen Entwicklung, Gesundheit und zum Wohle unseres Volkes;

das Recht auf Erholung und bezahlten Urlaub für alle Arbeiter;

das Recht auf Schutz und soziale Sicherheit im Alter, bei Krankheit oder Unfall;

das Recht der werktätigen Frau auf bezahlten Schwangerschaftsurlaub, der ihr eine gesunde Entbindung und die Betreuung des Neugeborenen garantiert;

das Recht der Frau auf Gleichberechtigung in der Arbeit und im zivilen, politischen und gesellschaftlichen Leben sowie innerhalb der Familie;

das Recht aller Bürger, ungeachtet ihrer Hautfarbe und nationalen Herkunft, auf volle Gleichberechtigung in jeder Hinsicht, auf ein würdiges Leben und ihre Entwicklung, die frei von jeder Art erniedrigender und unterdrückender Diskriminierung sei;

das Recht der Bürger, sich in Gewerkschaften, in den Komitees zur Verteidigung der Revolution, in den Verbänden der Bauern, der Frauen, der Studenten, der Schriftsteller und Künstler, der Berufsgruppen, in Wissenschaft und Sport usw., deren Bedeutung in der Gesellschaft anerkannt und deren freie Entfaltung garantiert wird, zu organisieren;

das Recht der Bürger, einschließlich der Jugendlichen von 16Jahren an, der Frauen und der Angehörigen der bewaffneten Streitkräfte, am politischen Leben des Landes teilzunehmen und ihr freies, allgemeines und geheimes Wahlrecht zu gebrauchen und mit ihrer Stimme die von ihnen Gewählten wieder abzuberufen.

Während in den Ländern, die Opfer des Faschismus, der Reaktion und der imperialistischen Herrschaft sind, die wenigen vorhandenen Rechte abgeschafft, übergangen und geleugnet werden, die Gewerkschaften, Studenten- und andere Massenorganisationen verboten und verfolgt werden, sich Willkür, Folter und Mord an Arbeitern, Bauern und fortschrittlichen Personen ausbreiten, diskriminierende Praktiken gegen Frauen, Schwarze und andere unterdrückte Bevölkerungsschichten anwachsen, erheben wir diese Rechte zu Verfassungsnormen und verankern sie in dem obersten Gesetzestext der Nation.

Während in jenen Ländern die Institutionen der beschränkten und heuchlerischen bürgerlichen Demokratie unterdrückt werden, sieht unsere Verfassung die Schaffung der Organe vor, die die Interessen des proletarischen Staates vertreten: die Nationalversammlung sowie die Provinz- und Gemeindeparlamente der Volksmacht. Die Nationalversammlung wird aus Abgeordneten gebildet, die übrigen aus ausgewählten Delegierten, die, wie auch die Richter aller unserer Gerichte, wählbar, ihren Wählern gegenüber verantwortlich und abberufbar sind. Die Rechte werden natürlich durch die Pflichten ergänzt. In einer Gesellschaft ohne Ausbeuter ist die Arbeit nicht nur Recht, sondern auch Pflicht jedes Mitgliedes der Gesellschaft und eine Ehre für den Arbeiter. Alle Bürger sind verpflichtet, die Verfassung und die Gesetze zu achten und einzuhalten und das Vaterland zu verteidigen, mit einem Wort: mit ihren Anstrengungen zum Aufbau des Sozialismus beizutragen. Im Verfassungsentwurf werden die Prinzipien der Außenpolitik unseres Landes festgelegt, die sich stützen auf den proletarischen und sozialistischen Internationalismus, die Freundschaft und Zusammenarbeit mit den um ihre Unabhängigkeit, den Fortschritt und die Entwicklung kämpfenden Völkern, auf die Lehren von José Martí zur Zusammenarbeit und zum allmählichen Zusammenschluß der Länder Lateinamerikas und des karibischen Raumes, auf die brüderliche Freundschaft, Hilfe und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern.

Unsere Verfassung wird die Grundlage für eine höhere Entfaltung der sozialistischen Gesetzlichkeit sein. Ihr Inkrafttreten stellt uns vor die Aufgabe, unsere Durchführungsbestimmungen, unsere gesamte Gerichtsordnung diesen höchsten Normen anzupassen. Wir müssen also die Bemühungen verstärken, um überholte Standpunkte der Vergangenheit auszumerzen, wie sie in den Militärbefehlen der Interventen, in Gesetzbüchern aus der Kolonialzeit, in Gesetzen und Erlassen der bürgerlichen Republik enthalten sind, und müssen neue Gesetzeswerke, die dem sozialistischen Charakter unserer im Aufbau befindlichen Gesellschaft entsprechen, schaffen. Mit einem Wort: Wir müssen die Gesetze der Ausbeuter endgültig beseitigen, die nur deren Zielen dienten, und an ihrer Stelle vollständig unsere sozialistische Gesetzlichkeit aufbauen. Diese Arbeit müssen wir beharrlich in den nächsten Jahren fortsetzen. Wir alle und jeder einzelne von uns haben die Pflicht, die vom Volk angenommene Verfassung entschlossen zu verwirklichen, wir müssen das Gesetz der Revolution anwenden und vervollkommnen und die sozialistische Gesetzlichkeit hüten und verteidigen.

1) CDR=Komitees zur Verteidigung der Revolution; FMC=Frauenverband; ANAP=Kleinbauernverband; FEU und FEEM=Studenten- und Schülerorganisationen. - Die Red.

Quelle: I. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas - Materialien
Dietzverlag Berlin 1976