Nachrichten aus und über Kuba
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Eine andere Welt
Reise nach Kuba: Austausch von Studierenden der Sozialen Arbeit aus Berlin.
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Glänzend bunte Oldtimer, Sozialismus und der Sonnenuntergang am Palmenstrand untermalt von Salsa-Musik: Das sind die Bilder, die die meisten von Kuba im Kopf hatten, bevor es für sie im Februar 2024 zur Studienreise nach Kuba ging. Dabei bereitete sich die Delegation der Alice-Salomon-Hochschule aus Berlin ein ganzes Semester aktiv auf ihren akademischen Austausch mit der neuen Partneruniversität in Sancti Spíritus (Universidad de Sancti Spíritus »José Martí Pérez«, kurz: UNISS) vor: Die Geschichte und politischen Zusammenhänge Kubas wurden ausgiebig erarbeitet, dass diese Reise jedoch am Ende Weltbilder verändern sollte, hätten wir Studierenden vorher nicht geglaubt. Auf der karibischen Insel erkannten wir, wie perfide die USA tatsächlich handeln und wie viel reicher das geschlagene Kuba trotz der imperialistischen Blockadepolitik ist. Kuba ist nun mal kein Staat, in dem man Urlaub macht, sondern eine andere Welt, in die man eintaucht.
Die Studierenden des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit wurden Ende Februar in Sancti Spíritus von Professoren und Studierenden der Studiengänge Trabajo Social y Cultural (Soziale Kulturarbeit) und Gestión Sociocultural para el Desarrollo (Soziokulturelles Management für Entwicklung) mit einem herzlichen Begrüßungsritual empfangen. »Soziale Arbeit« als Studiengang hat in Kuba eine etwas andere Ausrichtung als in der BRD. Die Förderung des kulturellen Lebens und Schaffens wird in Kuba großgeschrieben und ist seit der Revolution eine der zentralen Säulen des gesellschaftlichen Miteinanders, weswegen soziale Arbeit in Kuba stets mit Kultur verknüpft wird.
Kultureller Reichtum
Bereits in jungen Jahren wird die künstlerische Identitätsfindung gefördert und über die Wichtigkeit einer lebhaften Kultur aufgeklärt. Kulturelle Bildung und die Teilhabe am kulturellen Leben sind essentielle Bestandteile der sozialen Kulturarbeit auf Kuba. Die UNISS unterstützt und fördert in diesem Zusammenhang Gemeinschaften und Projekte in der ganzen Region, die auch als Orte der Vernetzung dienen.
Wie hinlänglich bekannt ist, versuchen die USA Kuba mitsamt seinen Bewohnern vom globalen Handelsmarkt und der Weltwirtschaft abzuschotten. Nicht nur, aber vor allem Benzin ist daher im ganzen Land momentan eine Rarität; der inländische Transport ist zum Luxus geworden, den sich Einheimische kaum noch leisten können. Umso außergewöhnlicher war es, dass den angehenden Sozialarbeitenden vor Ort ein Bus bereitgestellt werden konnte, um der Gruppe Begegnungen und vor allem Einblicke ins Land gewähren zu können: Es wurden zahlreiche Exkursionen in verschiedene Gemeinden weit außerhalb von Sancti Spíritus unternommen, die aufzeigten, wie der Alltag und die Arbeitsweise der kubanischen Sozialarbeitenden aussieht und etliche Aha-Erlebnisse zur sozial-kulturellen Arbeit in Kuba bereithielten.
Einer dieser Besuche führte uns zum Radiosender Radio Sancti Spíritus, dem größten Sender der Region. Vor Ort empfingen uns Rundfunksprecher, Journalisten, Kommunikatoren, Kunstschaffende und Programmdirektoren, die Einblicke in das Schaffen des Senders gaben. Im Programm gibt es vorwiegend an die ländliche Bevölkerung gerichtete Sendungen, Informations- und Nachrichtenrubriken zu Neuigkeiten aus Politik, Landwirtschaft, Umweltschutz und Kultur, sowie eine sorgfältig zusammengestellte »mezcla« (Mischung) aus Salsa, Guaracha, Mambo, Guaguancó, Son und zeitgenössischer Musik, um allen Altersklassen etwas zu bieten.
Eine Führung durch das Tonträgerarchiv unterstrich das breite musikalische Programm des Senders und ließ unsere Herzen höher schlagen: unzählige Schallplatten, Kassetten und Tonbänder – nicht wenige mit der Aufschrift »Hergestellt in der Deutschen Demokratischen Republik« – werden hier sorgfältig aufbewahrt, gepflegt, restauriert und digitalisiert. In verschiedenen Studioräumen finden sich bis heute noch Geräte wie Mixing-Konsolen aus der DDR an, deren Funktion die Tontechniker seit Jahrzehnten sorgfältig erhalten.
Angekommen im Senderaum konnten die Studierenden einem Rundfunksprecher live zusehen und -hören, ehe eine Studierende sogar zu einem kurzen Interview in dessen Box gebeten wurde. Schließlich wurde die Gruppe in einem der Aufnahmeräume Augenzeuge, wie eine lokale Band einen Song aufnahm. Ein Songwriter trug einen extra für den Berliner Besuch verfassten Song vor, mit rhythmischer Untermalung der Band – und das live auf Sendung! Eine wunderbare Geste, die viele der Studierenden sehr rührte.
Vielseitige Angebote
Eine weitere Exkursion führte die Studierenden in die Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigungen, EMPROVA, in Sancti Spíritus. In dieser Werkstatt werden Textilien und Haushaltswaren von Dutzenden Personen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen hergestellt. Anders als in der BRD ist es in dieser Werkstatt eine Selbstverständlichkeit, dass die Menschen den gesetzlichen Mindestlohn für ihre Arbeit erhalten. Als Dankeschön für ihren Besuch erhielten die Studierenden handgefertigte Topflappen, Kissenbezüge und Tischdecken, die jetzt das eine oder andere Berliner WG-Zimmer schmücken.
Ein weiteres Projekt, dass die Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule besuchten, war die »Cátedra del Adulto Mayor« in der Galería de Arte »Oscar Fernández Morera«, ein mit Unterstützung der UNISS geförderter Lehrstuhl für Senioren. In dieser Einrichtung können sich Menschen fortgeschrittenen Alters nicht nur fortbilden, sondern auch an zahlreichen Gruppenaktivitäten und kreativen Workshops teilnehmen. Von Poesie über kreatives Schreiben bis zum Vortrag eines Frauenchors bekamen die Studierenden hier berührende Werke geboten, die nicht alle Augen trocken ließen. Neben den facettenreichen Angeboten der Cátedra del Adulto Mayor fungiert diese Einrichtung aber auch als Ort der Vernetzung für ältere Menschen. Denn wenn die besuchten Einrichtungen eine Sache herausstellten, dann, dass in Kuba niemand alleine gelassen wird.
Die Kooperation zwischen der Alice-Salomon-Hochschule und der kubanischen UNISS ist eine der besonderen Art: Sie ist auf Langfristigkeit angelegt, dieses war das erste persönliche Treffen, das trotz infrastruktureller Hürden vor allem dank des Organisations- und Improvisationstalents der beiden federführenden Professoren José Ramón Neira und C. Doralquis León González stattfinden konnte. Vorträge von Lehrenden der UNISS über Sozialpolitik, Wirtschaft bis hin zu Umweltpolitik und -wissenschaft wurden dabei unermüdlich von Professor C. Felipe Hernández Pentón übersetzt, der einen Austausch über die sprachlichen Barrieren hinaus überhaupt erst ermöglichte.
Ökologisches Vorbild
So gewährte etwa ein Vertreter des Umweltministeriums Einblicke in die ökologischen Katastrophen, mit denen sich Kuba aufgrund des Klimawandels neben der jahrzehntelangen US-Blockade konfrontiert sehen muss: Wegen seiner geografischen Lage ist Kuba sehr anfällig für Hurrikane und Extremwetter, die oftmals Schäden in Milliardenhöhe hinterlassen. Der Anstieg des Meeresspiegels führt zur Versalzung von wertvollem Agrarland, steigende Wassertemperaturen zur Zerstörung der bunten Korallenriffe. Kuba schaffte es trotz dieser Hürden eine globale Vorbildfunktion einzunehmen: Das Land stellte die eigene Agrarproduktion vollständig auf ökologisch-nachhaltig um und wird schon seit langem für seine ausgeklügelte Schutzstrategie bezüglich tropischer Wirbelstürme gelobt, die in Kuba stets weniger Todesopfer fordern als in den Nachbarländern. Laut dem SDI-Bericht (Sustainable Development Index) von 2019 rangiert Kuba unter den Top fünf der am nachhaltigsten entwickelten Ländern der Welt, während Deutschland sich gerade einmal auf Platz 134 wiederfindet.
Auch abseits der akademischen Ebene war Austausch stets ein zentraler Punkt: Die kubanischen Studierenden zeigten ihr Zuhause und brachten den deutschen Studierenden Gastfreundschaft, vor allem aber ebenjene Herz- und Menschlichkeit entgegen, die man in der BRD teils vergeblich sucht. So sagte ein Kubaner zum Thema Rassismus: »Hier sitzen alle am gleichen Tisch und trinken alle aus demselben Glas Rum.« Ein Sinnbild dafür, was dieser Austausch erreichen wollte: einen Überblick, um nicht nur das sozialistische System Kubas kennenzulernen, sondern vielmehr, um den Teilnehmenden auch aufzuzeigen, was Gemeinschaft eigentlich bedeutet. Mit kultureller sozialer Arbeit. Vor allem aber mit Solidarität. Denn Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.
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Aaron Benjes, Nerea Moratilla Lozano und Sophie Strauß
junge Welt, 27.07.2024