Nachrichten aus und über Kuba
Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.
Vor 40 Jahren stoppen die USA fortschrittliche Entwicklung in der Karabik
US-Truppen überrennen mit der Operation "Urgent Fury" die Insel Grenada
Der Kampf für eine von Ausbeutung, Unterdrückung, Neokolonialismus und Kriegen freie Welt hat in den vergangenen 100 Jahren weltweit unzählige Opfer gefordert. Darunter befinden sich nicht wenige charismatische Anführer und Vordenker von sozialistischen Bewegungen rund um den Globus. Stellvertretend für sie aus dem afrikanischen Kontinent seien Patrice Lumumba aus dem Kongo, Thomas Sankara aus Obervolta/Burkina Faso oder Frantz Fanon von Martinique sowie Maurice Bishop von Grenada aus der Karibik genannt. Die Geschichte aufständischer Bewegungen in dieser Region reicht weit zurück.
Auf Haiti begann 1791 unter Dutty Boukmann und Georges Biassou ein Aufstand von Sklaven, der zur Befreiung vom französischen Kolonialjoch führte und späteren Revolutionären ein Vorbild war. Andererseits war es auf den vielen kleinen Inseln immer schwer, die Menschen gegen die Obrigkeit, mag sie Spanisch, Britisch, Niederländisch oder Französisch gewesen sein, in Aktion zu bringen. Die sogenannten Mutterländer korrumpierten meist eine Reihe Einheimischer, die dann das Unterdrückungsgeschäft für sie vor Ort übernahmen. Ein Modell, das heute noch u.a. in weiten Teilen Afrikas funktioniert. Und doch wuchsen auch in der Karibik immer wieder Menschen heran, die sich mit den bestehenden Verhältnissen nicht abfinden wollten. Maurice Bishop war einer von Ihnen. Er wurde am 29. Mai 1944 auf der Insel Aruba (knapp 200 km 2 groß, zu den Niederlanden gehörend und 25 km nördlich Venezuelas gelegen) geboren. Seine Eltern zogen mit ihm sechs Jahre später 900 km weiter östlich auf ihre Heimatinsel Grenada zurück. In der Hauptstadt der Insel besuchte der junge Maurice einige, meist katholische Schulen, oft zusammen mit dem Sohn eines Angestellten seines Vaters, Winston Bernhard Coard. Maurice fiel in der Schule durch zwei Merkmale auf, erstens war er schon als Kind sehr groß und zum anderen durch Fleiß, gute Leistungen und Engagement in Schülervertretungen. Gerade weil er als "langer Lulatsch" viel Spott seiner Mitschüler ertragen mußte, war er gegen Ungerechtigkeiten sensibilisiert und lernte, sich zu wehren. Diese Haltung, Unrecht zu brandmarken und zu bekämpfen, sollte sein Leben bestimmen. Wegen seiner guten Leistungen erhielt er ein Stipendium und konnte zum Studium nach London gehen, die Insel war ja quasi eine britische Kolonie. In England nutzte er sein Studium der Rechtswissenschaften, um sich auch mit marxistischen und revolutionären Schriften vertraut zu machen. Er las Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao, aber auch Schriften über koloniale Unterdrückung z. B. von Julius Nyerere. Und er ging nebenbei arbeiten, um sich Reisen in europäische sozialistische Länder leisten zu können, er war u.a. in der CSSR und in der DDR. Nach Abschluß des Studiums kam er zurück nach Grenada, wo er als Anwalt arbeitete. Zusammen mit Gleichgesinnten, u.a. seiner späteren Lebensgefährtin, gründete er eine Organisation, die von den Ideen Nyereres inspiriert war. Diese schloß sich Anfang 1993 mit der JEWEL-Bewegung zur New JEWEL zusammen, in der Maurice einer der Co-Vorsitzenden wurde. Zu dem Zeitpunkt herrschten in Grenada, einer Insel, die nur ein Drittel der Größe Rügens hat, brutale Verhältnisse. Die Briten ließen ihr schmutziges Kolonialgeschäft seit Jahren von einem Mann namens Eric Gairy betreiben, ein ehemaliger Gewerkschafter, der auch schon mal wegen Korruption abgesetzt worden war, jedoch mit Hilfe seiner britischen und US-Freunde wieder ins Amt gehievt wurde. Er ließ das Land verkommen und setzte gern seine private Schlägerbande gegen Oppositionelle und Andersdenkende ein. Die wurden übrigens von den "Bluthunden" seines Freundes Augusto Pinochet trainiert. Für all seine "Verdienste", er hatte Grenada 1974 auch in eine Scheinunabhängigkeit geführt, adelte ihn die Queen dann 1977. Die immer häufiger auftretenden inneren Unruhen auf der 100 000-Einwohner-Insel, ließ er gnadenlos und blutig niederschlagen. Dabei verlor auch Maurice Vater sein Leben. Unter diesen Umständen erstarkte die New-JEWEL-Bewegung (JEWEL steht für Joint Endeavor for Welfare, Education and Liberation, also Bewegung für Wohlfahrt, Bildung und Freiheit) schnell. Trotz einiger Verhaftungen war Bishop inzwischen zum Abgeordneten gewählt worden, denn die Menschen vertrauten ihm. So kam es, daß ein Aufenthalt "Sir Erics" in New York genutzt wurde, um in einer fast unblutigen Revolte die Regierung zu übernehmen. Bishop und seine Mitstreiter begannen sofort mit sozialen Reformen, einer Bildungsoffensive und förderten genossenschaftliche Produktion in der Landwirtschaft. Um all das zu stemmen, war Hilfe nötig und so wandte sich die neue Führung an viele Staaten und Institutionen, holte sich aber stets Absagen. Die Kubaner, zu denen Bishop schon eine Weile freundschaftliche Beziehungen pflegte und deren Revolution er bewunderte, waren bereit zu helfen. Natürlich konnte von Sozialismus in Grenada noch nicht die Rede sein, aber aus US-amerikanischer Sicht war das bisher Erreichte schon höchst verdächtig - für ein Land, dessen Administration die Einführung einer flächendeckenden Sozialversicherung für abhängig Beschäftigte bereits für Kommunismus hält, kein Wunder. Dem mußte ein Riegel vorgeschoben werden, was mit Ronald Reagan, der 1981 als Präsident der USA ins Weiße Haus einzog, auch gelang. Reagan, dessen antikommunistische "Mission" bekanntlich der Kampf gegen das "Böse" war, ließ seinen Geheimdienstchef George Bush sen. Sofort Pläne ausarbeiten, jene "kommunistischen" Bestrebungen auf Grenada auf die eine oder andere Art zu beenden. Die Agency ging sofort mit Feuereifer daran, die Sache zu "bearbeiten". Die Kubaner machten den USA schon genug Ärger, da konnte man einen potentiellen Verbündeten, und sei er noch so klein, nicht dulden. Zuerst wurden Lügengeschichten über Bishops Grenada in die Welt gesetzt, dann wurden mit viel Geld genehme karibische Regierungen geschmiert, um eine karibische "Achse des Guten" zu schmieden. Die Wirtschaft Grenadas wurde boykottiert und behindert.
Soldaten der Ostkaribischen Staatengemeinschaft OECS während der Invasion
Foto: Wikipedia, ID: DF-ST-84-09830
In der Zwischenzeit schaffte die Bishop-Regierung viele Veränderungen im sozialen und im Bildungsbereich. Die Bevölkerung stand hinter der neuen Führung. Die holte sich Rat und Hilfe auch von außen. Weil jedoch die USA und ihr Agency-Arm dafür gesorgt hatten, daß einige "Nachbarn" diese Hilfe verweigerten, wandte sich Grenada auch an sozialistische Länder. Kuba, die Sowjetunion und die DDR waren bereit zu helfen. Bishop hatte die DDR 1982 besucht und war auf viele offene Ohren gestoßen. Um das Geld für die Umsetzung der Reformen in Grenada aufzubringen, wollte man durch den Bau eines großen Flughafens im Südwesten der Insel den Tourismus ankurbeln, damit internationale Flüge direkt nach Grenada gehen könnten. Kuba schickte Maschinen, Bauarbeiter und Baumaterial, die Sowjetunion Spezialisten. Damit Sabotage und einheimische Kriminelle abgeschreckt werden, erlaubte Bishop den Kubanern, einige Wächter mit Handfeuerwaffen auszustatten. Kaum hatte der Bau begonnen, ging ein von der Agency gelenkter Aufschrei durch den bürgerlichen Blätterwald: Die Kubaner errichten einen schwerbewaffneten Stützpunkt auf Grenada, sie bauen einen Flugplatz für russische Bomber und die Russen schicken unentwegt schwere Waffen, Panzer, MiG´s, Artillerie und U-Boote nach Grenada. Frieden und Freiheit waren bedroht. In den USA begannen Militäreinheiten mit Übungen zur Einnahme der Insel. Was fehlte, war ein geeigneter Anlaß. Den lieferten tragischerweise die Grenader selbst. Am 12. Oktober 1983 wurden Bishop und sieben seiner Minister von Armeeeinheiten auf Befehl seines "Freundes" Bernhard Coard festgenommen und in einer Festung inhaftiert. Coard und der Armeechef hatten sich gegen Bishop verschworen. Offizieller Begründung war, daß Coard Bishop vorwarf, nicht revolutionär zu handeln, weil er bei "Feinden Grenadas" nach Geldquellen für die Fortsetzung der Reformen nachsuchte. Offensichtlich fühlte sich Coard gegenüber Bishop seit langem benachteiligt. Sein Vater war nur Angestellter von Bishops Vater und überhaupt hätte er mehr das Zeug zum Anführer. Ein egomanischer Karrieretyp. Doch die Grenader hielten zu Bishop, fast ein Drittel der Bevölkerung ging auf die Straße und konnte die Freilassung Bishops und seiner Mitstreiter erzwingen. Aber Stunden später wurden sie erneut festgesetzt und alle sieben sofort von einem Helfershelfer Coards erschossen. Darunter war auch die schwangere Lebensgefährtin Bishops, die Ministerin für Bildung Jacqueline Creft. Das war die Stunde der Konterrevolution. Der britische Generalgouverneur Paul Scoon rief nicht etwa seine Regierung, sondern die USA um Hilfe. Die setzte am Morgen des 25. Oktober ihre Invasionstruppen mit mehr als 7000 Mann, Navy-Seals, Ranger, Green Berets, Ledernacken sowie 300 Hilfssoldaten aus den geschmierten karibischen Nachbarländern sowie Jagdbomber und Hubschrauber, in Marsch, um über die Insel herzufallen. Der Widerstand war hartnäckig, aber aussichtslos, denn statt Panzern und schweren Waffen verfügten die Grenader nur über vier Schützenpanzer und Handfeuerwaffen. Hauptziel der ersten Angriffswelle waren die Kubaner am Flugplatz. Sofort wurden diese und andere ausländische Helfer festgenommen. Von den knapp 800 Kubanern wurden mehr als zwei Dutzend getötet und mehr als 400 verwundet. Alle Ausländer wurden unter schwierigen Bedingungen auf dem Flugplatz Point Salines interniert. Insgesamt starben auf grenadischer Seite mehr als 80 Menschen, darunter mehr als ein Viertel Zivilisten. Die Verluste der Invasoren beliefen sich auf 19 Tote und 116 Verwundete. Nach ein paar Tagen war der Widerstand gebrochen und Grenada wieder um Jahre zurückgeworfen. Bis heute hat es keine nennenswerte progressive Bewegung mehr auf Grenada gegeben.
Uli Jeschke
Rotfuchs, Dezember 2023