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»USA zu völkerrechtsgemäßem Handeln bewegen«
Internationales Tribunal in Brüssel gegen Blockade Kubas. Ein Gespräch mit Norman Paech.
»Besser ohne Blockade«: Die völkerrechtswidrigen US-Sanktionen gegen die sozialistische Inselrepunlik sind Gegenstand des Tribunals in Brüssel (16.11.2023)
Foto: Nick Brauns/jW
Sie sitzen dem Gremium vor, das diese Woche im EU-Parlament in Brüssel ein internationales Tribunal gegen die US-Blockade Kubas führt. Wer agiert neben Ihnen als Richter?
Es sind insgesamt fünf Juristen, die aus Deutschland, den USA, Spanien, Griechenland, Italien und Portugal kommen sowie die Publizistin Daniela Dahn. Simone Dioguardi ist Spezialist für internationales Handelsrecht, Ricardo Avelãs Nunes ist Experte in Verwaltungsrecht, Dimitris Kaltsonis lehrt als Professor Staats- und Rechtstheorie an der Universität Athen, und Suzanne Adely ist Kovorsitzende des internationalen Ausschusses der National Lawyers Guild. Wir haben hier seit einiger Zeit beraten und uns mit den Anwälten, die die Anklage vertreten, abgestimmt. Der belgische Rechtsanwalt Jan Fermon ist der Chefankläger und wird von zwei Juristen aus den USA und Spanien unterstützt.
Was sind die Kernpunkte Ihrer Prozessführung an den zwei Verhandlungstagen?
Wir haben eine Vielzahl von Zeugen eingeladen, um Beweise für die Auswirkungen der völkerrechtswidrigen Sanktionen auf die kubanische Gesellschaft zu sammeln. Und wir haben uns die juristischen Grundlagen klar gemacht, auf denen wir die Beweise analysieren und einordnen können, um während des Tribunals zu einem Urteil zu kommen. Das Problem bei einem solchen Tribunal ist, dass man bereits mit einem Entwurf in die Verhandlung gehen muss, weil man ja unmittelbar nach den Verhandlungen ein Urteil geben muss. Meine Aufgabe war es, diesen Entwurf, den wir dann diskutiert haben, zu erarbeiten. Er wird nach der Verhandlung sofort veröffentlicht.
Welche juristischen Grundlagen sind das in diesem Fall?
Das ist natürlich die UN-Charta, es sind die Pakte der Menschenrechte, insbesondere die sozialen und ökonomischen Menschenrechte. Dann ist es das Handelsrecht auf Basis der WTO, der Welthandelsorganisation, und dann ist es auch das EU-Recht.
Warum braucht es ein internationales Tribunal?
Am 2. November haben 187 Staaten die USA in der UN-Generalversammlung verurteilt. Das heißt fast einstimmig bis auf die USA und Israel, die dagegen gestimmt haben, und die Ukraine, die sich enthalten hat. International ist also klar: Das ist eine völkerrechtswidrige Sanktionspraxis. Unsere Aufgabe ist, das etwas klarer zu machen. Wo sind eigentlich die Verstöße? Wie breit angelegt ist diese Sanktionspraxis? Die Kubaner haben das Tribunal nach Brüssel, den Kern der Europäischen Union, verlegt. Auch alle Staaten der EU haben die USA in der Generalversammlung verurteilt. Aber der Effekt ist eigentlich null. Und wir mahnen jetzt, aufgrund unserer Erkenntnisse in unserem Urteil mehr zu unternehmen, um die USA zu völkerrechtsgemäßem Handeln zu bewegen.
Wie groß sind die Hoffnungen, dass der Druck mit dem Tribunal erhöht werden kann?
Nun, diese Sanktionen gibt es seit über 60 Jahren, und es gab viele Hoffnungen, dass sich die USA endlich einmal an das Völkerrecht gewöhnen. Das ist bisher zwecklos gewesen. Unsere Hoffnung ist aber immer noch da, und wir hoffen auch, dass irgendwann die europäischen Staaten merken, dass es so nicht weiter geht. Man kann nicht permanent offen völkerrechtswidrig eine Gesellschaft unter Druck setzen, die sehr darunter leidet. Die EU-Staaten müssen nun endlich etwas unternehmen, damit sich die USA von dieser Praxis entfernen.
Ist dies das erste Tribunal zur US-Blockade Kubas?
Die Tradition dieser Tribunale reicht bis in die 1960er Jahre. Das erste große war gegen den Vietnamkrieg, aber es gab auch eines gegen die Intervention der USA im Irak und über Menschenrechtsprobleme. Zu Palästina gab es insgesamt vier Tribunale. In Sachen Kuba ist es das erste.
Was passiert nach dem Urteilsspruch an diesem Freitag?
Es ist zunächst ein vorläufiges Urteil und schon lang genug. Aber wir werden beraten, ob wir aus der Verhandlung eventuell weitere Aspekte hinzufügen können, um es noch konkreter zu machen. Aber auch das vorläufige Urteil hat genug Substanz und Analyse. Am Tenor wird sich nichts ändern.
Norman Paech ist emeritierter Professor für Rechtswissenschaften und Spezialist für Völkerrecht und Menschenrechte.
Veröffentlichung |
Interview: Ina Sembdner
junge Welt, 17.11.2023