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»Das oberste Ziel besteht darin, Leben zu retten«

Über Klimawandel und kapitalistische Zerstörung sowie Kubas alternativen Weg. Ein Gespräch mit Leydis Iglesias Triana.

Leydis Iglesias Triana
Leydis Iglesias Triana
Annuschka Eckhardt/jW


Sie sind Dozentin für Geographie an der Universität in Pinar del Río und gerade auf Einladung der Organisation Eco Mujer auf Vortrags- und Begegnungsreise in Deutschland gewesen. Das Motto lautete: »Die Klimakatastrophe – Antworten auf kubanisch! Kann es sozialistische Lösungen für ein kapitalistisches Problem geben?« Können Sie zunächst einmal skizzieren, welchen Problemen Kuba im Zusammenhang mit dem Klimawandel ausgesetzt ist?

Kuba ist mit all den Problemen konfrontiert, mit denen jedes Land der Welt zu kämpfen hat. In diesem Jahr haben wir mehrere Temperaturrekorde für den Monat Juli registriert, der Meeresspiegel steigt an. Da wir ein Archipel sind, sind wir noch anfälliger, denn in den kommenden Jahren besteht die Möglichkeit, dass weitere Küstenabschnitte vom Wasser bedeckt werden und wir dadurch natürliche Reserven verlieren könnten. Aber es gibt immer noch Menschen, die in Küstennähe leben. Wir hatten auch lange Dürreperioden, die ebenfalls Probleme verursacht und Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben. Hinzu kommt der Verlust der Artenvielfalt. Aber es gibt noch andere Probleme, die sich auf den Klimawandel auswirken – Kriege, die Auswirkungen von Kriegen. Das hat Folgen auf globaler Ebene, denn es führt zu höheren Preisen im gesamten Wirtschaftsbereich. Und Kuba ist sehr stark betroffen, weil das Land zusätzlich unter Blockade steht.

Es gibt Länder, die jeden Tag weniger produzieren, weil sie immer mehr Land verlieren, wegen all der Probleme, die mit der Ausbreitung von Wüsten, Dürren und starken Regenfällen verbunden sind. Kuba ist auch stark von Wirbelstürmen betroffen, die, wenn sie durch unser Land ziehen, großflächig Ernten und Häusern verwüsten. Auch Tiere sind Leidtragende, weil sie an andere Orte ausweichen müssen und sich nicht anpassen können. Auch wenn wir viel tun können, werden wir am Ende immer betroffen sein, und deshalb müssen wir alle gemeinsam dafür kämpfen, dass der Klimawandel jeden Tag weniger Auswirkungen hat. Und bis jetzt haben wir das noch nicht erreicht. Bislang befindet sich die Welt diesbezüglich auf einem zunehmend komplizierten Weg.

Wie viele andere Länder des globalen Südens trägt auch Kuba nur einen sehr geringen Anteil an dieser Negativentwicklung, ist aber übermäßig betroffen. Was sind für Sie die größten Treiber im Kapitalismus, die das befeuern?

Kuba ist ein sozialistisches Land, das soziale Maßnahmen zugunsten der Bevölkerung und des Lebens ergreift, aber wir sind von vielen anderen Ländern betroffen, die im allgemeinen kapitalistische Länder sind. Deren Grundlage ist die Entwicklung des Kapitals, des Konsumismus, der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Die kapitalistischen Länder denken jeden Tag in ihrer Wirtschaftsstruktur darüber nach, mehr zu wachsen, mehr natürliche Ressourcen zu nutzen, um ihre Entwicklung, ihren Wohlstand, ihre Kapitalvermehrung zu fördern. Und all das hat Folgen für ein Land wie Kuba, das auch ein Land des globalen Südens ist, mit all den wirtschaftlichen Problemen, die wir haben, und das seit mehr als 60 Jahren von den Vereinigten Staaten blockiert wird.

Wir müssen hohe Preise für Lebensmittel zahlen, hohe Preise für den Transport von Lebensmitteln, weil wir in vielen Fällen nicht aus den Nachbarländern importieren dürfen. So wird alles komplizierter. Aber es gibt auch unterentwickelte kapitalistische Länder, die davon betroffen sind, weil der Klimawandel hauptsächlich von reichen Ländern verursacht wird und die armen Länder am meisten darunter leiden.

Im Gegensatz zum Westen setzt Kuba schon seit einiger Zeit auf offensive Gegenstrategien. 2017 etwa wurde das Programm »Tarea Vida« auf den Weg gebracht. Können Sie uns dessen Kernpunkte vorstellen?

2017 verabschiedete die kubanische Regierung einen staatlichen Plan zur Bekämpfung des Klimawandels namens »Tarea Vida« – »Lebensaufgabe«. Denn das oberste Ziel besteht darin, Leben zu retten. Der Schutz des Lebens ist das Wichtigste. Ohne das ist alles andere, was wir tun können, unzureichend. Es ist ein staatlicher Plan, der allgemeine Ziele, spezifische Ziele und elf Aufgaben enthält, die in jedem Ministerium, in jedem Bereich, in dem sich Entwicklung auswirkt, sei es im Bildungswesen, im Verkehrswesen, im Energiesektor oder im Gesundheitswesen, umgesetzt werden müssen. All diese Faktoren müssen zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, denn diese ist im Staatsplan festgelegt. Mit anderen Worten handelt es sich um eine allgemeine Aufgabe.

Im Bildungsbereich besteht eine Aufgabe darin, den neuen Generationen von klein auf bis zur Universität ein Umweltbewusstsein für nachhaltige Entwicklung zu vermitteln. Sie sind diejenigen, die das Land in Zukunft führen werden. Und wenn wir ihnen nicht von Anfang an die Liebe zur Natur, den Schutz, die soziale Entwicklung und den Gedanken an das Gemeinwohl aller Menschen vermitteln, werden sie, wenn sie Fachleute, Unternehmensleiterinnen, Wirtschaftsführerinnen oder Politikerinnen werden, kein Konzept dafür haben. Deshalb arbeiten wir in Kuba in Schulen und Universitäten auf vielfältige Art an der Umwelterziehung, sei es im Unterricht, in Form von Wettbewerben, in Workshops, in Debatten, bei Feierlichkeiten und Gedenkveranstaltungen.

Darüber hinaus haben wir an der Universität Spezialisierungen bei pädagogischen Studiengängen, denn das werden die Lehrerinnen sein, die morgen in den Schulen diese Politik des Umweltschutzes weitergeben werden. Wir haben Lehrerinnen, die sich auf dieses Thema spezialisiert haben, wir haben Forschungsprojekte, bei denen Gruppen von Lehrerinnen, Wissenschaftlerinnen und Studierende dieses Thema in jeder Ortschaft untersuchen, sei es in Pinar del Río oder in einer anderen Provinz Kubas. Wir haben Studentinnen, die entsprechende Diplomarbeiten vorlegen, weil sie sich während ihrer vierjährigen Ausbildung mit diesem Thema befasst haben und es Teil ihrer Berufsausbildung ist.

Wie sind die entsprechenden Strategien entwickelt worden?

Es gibt in der Planung kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen. Mit anderen Worten: In Kuba denken wir darüber nach, welche Maßnahmen jetzt zu ergreifen sind und welche umgesetzt werden können, um in 100 Jahren eine angemessene nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten. Diese Maßnahmen beziehen sich auch nicht nur auf den Bereich der Bildung. Es geht um die Pflege und den Erhalt der Umwelt, überall, wo wir sind. Derzeit engagiert sich Kuba für die Entwicklung von sauberer Energie aus erneuerbaren Energiequellen, sei es Solarenergie, Windenergie oder Energie aus Biogas. Es gibt andere Arten von Energie, in die Kuba trotz der wirtschaftlichen Lage des Landes bereits investiert und begonnen hat, sie einzusetzen. Es ist geplant, so schnell wie möglich umzusteigen und die Energie aus fossilen Ressourcen zu eliminieren.

Die Kommune beteiligt sich am Austausch mit Universitäten, Schulen und in Stadtteilen, so dass alle darüber informiert sind, was passiert und was wir dagegen tun können. Mit anderen Worten: »Tarea Vida« umfasst alles. Es wurde eine Studie darüber erstellt, wie lange es dauern wird, bis jede Zone der tiefliegenden Küstengebiete Kubas von Wasser bedeckt ist. Und warum? Weil sich daran ablesen lässt, welche Gemeinde am stärksten gefährdet ist. Von dort aus wird die Bevölkerung in höher gelegene Gebiete umgesiedelt, je nach den wirtschaftlichen Bedingungen im Land, die im Moment überhaupt nicht gut sind.

Wir in Kuba sind an Hotelinvestitionen interessiert, die der kubanischen Wirtschaft zugute kommen würden, aber immer unter der Bedingung, dass sie nicht an der Küste liegen dürfen, da dies die Mangroven und die Küstengebiete schädigen würde. Es muss nach den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung erfolgen. Deshalb sind wir trotz aller wirtschaftlichen Probleme, die wir haben, verpflichtet, zur Pflege und zum Schutz der Umwelt beizutragen, bevor wir die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben, die zwar Hand in Hand gehen muss, aber wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, dass wir etwa, weil wir reich werden wollen, hier luxuriöse Gebäude bauen müssen, egal was es kostet. Das ist nicht das Konzept des Staatsplans in Kuba.

Ihr Land steht seit mehr als 60 Jahren unter einer umfassenden Blockade seitens der USA. Wird der Kampf gegen den Klimawandel und für eine lebenswerte Zukunft dadurch erschwert?

Nun, Kuba misst, wie ich bereits erklärt habe, der nachhaltigen Entwicklung und allen Ressourcen, die wir haben, eine sehr wichtige Rolle bei. Aber wir können nicht leugnen, dass die nachhaltige Entwicklung untrennbar mit der wirtschaftlichen Entwicklung verbunden ist. Wir hatten die Auswirkungen einer großen Pandemie zusammen mit der Blockade durch die Vereinigten Staaten, die auch ab 2020 ihre Maßnahmen gegen Kuba verschärften. Und dann kam der Krieg zwischen Russland und der Ukraine, der sich nicht nur auf Kuba, sondern auf die ganze Welt ausgewirkt hat. Mit anderen Worten, es gibt viele Faktoren, die mein kleines Land in der »Dritten Welt« beeinflusst haben, mit all den Bedingungen eines Entwicklungslandes und all den wirtschaftlichen Bedingungen, die es hat. Dennoch hat der kubanische Staat nie die Idee aufgegeben, dass alles auf einer nachhaltigen Entwicklung beruhen muss.

Und unter diesem Gesichtspunkt gibt es in Kuba viele ökologisch gut erhaltene Gebiete – es gibt Nationalparks oder Biosphärenreservate, wo man sich sehr bemüht, sie zu erhalten. Trotz des Bedarfs an vielen Dingen, die es dort gibt, Holz und so weiter, hat man das Ziel und den Leitgedanken beibehalten, dass alle diese Gebiete geschützt werden müssen. Überall in unserem Land wurden Studien über die Wasservegetation und die aquatischen Arten durchgeführt. Es gibt Arten, von denen wir dachten, dass sie fast vom Aussterben bedroht sind, aber sie wurden beobachtet, und das zeigt, wie gut unsere Meere und alles, was uns umgibt, noch erhalten sind. Im November 2019 wurde Kuba dann auch als das am nachhaltigsten entwickelte Land der Welt eingestuft, eine Auszeichnung, die in der Weltöffentlichkeit jedoch weitgehend untergegangen ist. Welche Rolle hat dies in Kuba gespielt?

Die Bevölkerung kennt die Rolle, die Kuba damit in der Welt spielt, und ist sich dessen bewusst, aber es wird in unserem Land auch sehr gut bekanntgemacht. Vor allem, wie ich bereits gesagt habe, als Teil der Lehrpläne und Bildungsziele. Darüber hinaus gibt es in Kuba viele Dokumentarserien über Umweltschutz, die täglich im Fernsehen verbreitet werden; Dokumentarfilme, die in Schulen eingesetzt werden, um Umweltbewußtsein in unserem Land zu fördern. In dem Programm »Mesa Redonda« (Runder Tisch) gibt es viele Sendungen, die sich ausschließlich mit »Tarea Vida« beschäftigen, um die Bevölkerung zu informieren. Alles, was in Kuba für eine nachhaltige Entwicklung getan wird, ist also bekannt, den Jugendlichen, den Kindern und der arbeitenden Bevölkerung. Obwohl die Welt die Maßnahmen manchmal nicht sieht, sieht Kuba sie und weiß, was es tut. In der UNO ist Kuba als Verfechter der nachhaltigen Entwicklung aufgetreten, als viele Länder sich weigerten, Abkommen zu unterzeichnen.

Frauen sind, wie in allen Krisenlagen, am stärksten von Veränderungen betroffen und müssen mehr Anstrengungen aufbringen, um den Alltag trotzdem für sich und ihre Familien bestehen zu können. Machen Sie sich auch Gedanken darüber, wie eine feministische Antwort auf den Klimawandel aussehen kann?

Zunächst einmal muss man sagen, dass der Klimawandel ein globales Phänomen ist, das uns alle betrifft: Männer, Frauen, Kinder, ältere Menschen, alle. Aber die Frauen, nicht nur in Kuba, sondern überall auf der Welt, sind mit am stärksten betroffen. In Kuba gibt es viele Frauen, die sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen, es gibt Gruppen, die sich gegründet haben. Ein Beispiel ist eine deutsch-kubanische Gruppe, die es seit 27 Jahren gibt. Sie heißt »Eco Mujer«, denn Frauen verteidigen die Ökologie, den Planeten, die Umwelterziehung, die nachhaltige Entwicklung. In den unterentwickelten kapitalistischen Ländern müssen die Frauen weite Strecken zurücklegen, um Wasser, Lebensmittel, Nahrung für ihre Kinder zu holen, um ihre Familien zu ernähren und zu versorgen.

Es gibt also noch viele Überbleibsel des Patriarchats in der Welt, wo der Mann derjenige ist, der draußen ist, und die Frau diejenige, die sich um alle Aufgaben im Haus kümmert. In Kuba hat sich das zum Glück geändert, und mit der neuen Familienverfassung noch mehr. Aber zweifellos sind die Frauen mit am stärksten betroffen. Aber glücklicherweise gehören sie auch zu denen, die für eine nachhaltige Entwicklung kämpfen. Überall auf der Welt demonstrieren Frauen für eine nachhaltige Entwicklung. Es gibt indigene Anführerinnen in den Ländern des Südens, in Bolivien, Ecuador und Guatemala, die mit ihrem Leben dafür bezahlt haben, dass die nachhaltige Entwicklung aufrechterhalten wird, dass die großen Flüsse nicht für die großen Industrien des Kapitalismus genutzt werden.

In Kuba haben wir dieses Problem nicht, weil es sich um eine soziale Entwicklung handelt, eine Entwicklung, die vom Staat ausgeht und für die es eine Organisation und Planung gibt. Wasser ist niemandes Privateigentum, der Fluss ist niemandes Privateigentum, das Land ist niemandes Privateigentum. Aber da es sich um globale Auswirkungen handelt, leiden wir letztendlich auch darunter. Mit »Eco Mujer« bringen wir Erfahrungen aus Kuba nach Deutschland und umgekehrt. Jeden Tag gibt es mehr und mehr Frauen, die die Welt damit konfrontieren und Fortschritte bei der Selbstermächtigung machen.

Wie sieht es mit einem »Export« des kubanischen Wegs in Klimafragen aus. Gibt es Kooperationen in diese Richtung bzw. haben Sie das Gefühl, dass es zumindest im globalen Süden ein Interesse an den Erfahrungen und Praktiken gibt?

Es geht nicht darum, dass Kuba, weil es sozialistisch ist, den kapitalistischen Ländern vorschreibt, was sie zu tun haben. Kuba ergreift Maßnahmen für sein eigenes Land, aber es sind Maßnahmen, die ergriffen werden können. Der Unterschied, den ich zu kapitalistischen Ländern sehe, besteht darin, dass man dort an die wirtschaftliche Entwicklung denkt, an den Wohlstand, an die Beschaffung von Kapitalressourcen. In Kuba gibt es eine staatliche Planung zum Schutz der Umwelt, aber es ist auch etwas, das eine Orientierung für das ganze Land ist. Es ist nicht freiwillig, es ist nicht spontan, es ist organisiert, es ist gesteuert, es steht in der Verfassung der Republik. In kapitalistischen Ländern gibt es viele Menschen, die viel für die Umwelt tun wollen, Nichtregierungsorganisationen, die sich zusammengeschlossen haben, aber es fehlt der politische Wille der Regierungen, dass dies allgemein gilt und nicht nur, weil eine Regierung ein Mandat hat und dann eine andere ein Mandat hat – heute werden wir zerstören, und morgen werden wir bewahren. Wir müssen alle, unabhängig von der Partei, von oben nach unten, ein Konzept haben, das auf das Wohl der Welt ausgerichtet ist.

Kommen wir zurück zu Ihrer Tour. Wie ist die bisherige Resonanz gewesen, und haben Sie das Gefühl, dass sowohl Sie als auch die Besucherinnen und Besucher der Veranstaltungen gestärkt daraus hervorgehen?

Es ist noch ein langer Weg zu gehen. Es gab einen sehr guten Austausch an verschiedenen Orten in Düsseldorf, in Hamburg, jetzt hier in Berlin. Wir haben unsere Erfahrungen, unsere Ideen, das, was wir tun, eingebracht. Wir haben auch hier viel zugehört, wir haben viele Orte besucht, und ich glaube, wir sind alle gestärkt daraus hervorgegangen, denn wir lernen immer voneinander.

Leydis Iglesias Triana ist Dozentin für Geographie an der Universität »Hermanos Saiz Montes de Oca« in Pinar del Río.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Interview: Ina Sembdner
junge Welt, 11.11.2023