Nachrichten aus und über Kuba
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Vor 70 Jahren: "Die Geschichte wird mich freisprechen"
"Verurteilen Sie mich, es hat keine Bedeutung. Die Geschichte wird mich freisprechen." Mit diesen Worten beendete der 27jährige Rechtsanwalt Fidel Castro am 16. Oktober 1953 sein Plädoyer vor dem Militärgericht in Santiago de Cuba. Kurz darauf wurde er für den Angriff auf die Moncada-Kaserne, den er am 26. Juli 1953 mit seinen Kommandos geführt hatte, zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Melba Hernández und Haydeé Santamaría, zwei legendäre Frauen, die am Angriff auf die Moncada-Kaserne beteiligt waren, hatten sich die Verteidigungsschrift beschafft. Sie druckten heimlich 100.000 Exemplare und organisierten deren Verteilung auf der ganzen Insel.
Castro nach seiner Festnahme, Juli 1953
Foto: Wikipedia
Im Plädoyer stellt Fidel Castro die Probleme und Übel dar, die Kuba durchlebte. Er fasste sie in sechs grundlegenden Punkten zusammen: Grund und Boden, Industrialisierung, Wohnen, Arbeitslosigkeit, Bildung und Gesundheit. Die Regierung seiner Bewegung würde als erstes eine Verfassungsreform, eine Agrarreform, eine umfassende Reform des Bildungswesens, eine Verstaatlichung der Stromversorgung und eine Beschlagnahme der Vermögenswerte der Herrschenden für Rentenfonds, Krankenhäuser und Pflegeheime durchführen. Fidel bezeichnete das Volk als die wesentliche Kraft im revolutionären Kampf.
Im Plädoyer charakterisierte Fidel Castro das gesamte politische, wirtschaftliche und soziale System, das zu dieser Zeit in Kuba existierte, als US-Kolonie. Der Angriff auf die Moncada-Kaserne am 26. Juli scheiterte, doch mit dem Plädoyer Fidel Castros begann der Siegeszug der "Bewegung des 26. Juli". Der Angeklagte war zum Ankläger der korrupten Diktatur von Fulgencio Batista geworden.
Mit dem Plädoyer lieferte Fidel Castro gewollt oder ungewollt ein marxistisch-leninistisches Konzept, das José Martí folgend an die kubanische Realität angepasst war und alle Kräfte und sozialen Sektoren in die Revolution einband. Castros Verteidigungsrede gilt deshalb als programmatisches Manifest der Kubanischen Revolution.
Nach zwei Jahren Kerker auf der Isla de Pinos ging Fidel nach Mexiko ins Exil. Dort bereitete er zusammen mit 82 Gefährden den bewaffneten Kampf zum Sturz des Batista-Regimes vor. Am 2. Dezember 1956 landete die "Granma" aus Mexiko kommend in Alegría de Pío an der Ostküste Kubas. Die Landung verlief tragisch, die Gruppe verlor Männer und Gewehre. Sie landete nicht wie geplant an einem festen Brückenkopf, sondern weit entfernt davon in einem sumpfigen Gebiet. Nach diesem Fehlschlag organisierten Fidel, sein Bruder Raúl, Che Guevara und Camilo Cienfuegos verschiedene Guerilla-Fronten. Der Marsch durch die Sierra Maestra begann. Er endete am 1. Januar 1959 mit dem Sieg der Revolution. Damals prägte die kubanische Journalistin Marta Rojas den Satz: "Fidel verwandelt Rückschläge in Siege."
Wie im Plädoyer "Die Geschichte wird mich freisprechen" angekündigt, begann die revolutionäre Macht mit der Lösung der sechs Aufgaben. Fidel Castro sah voraus, dass Kuba nach der Veränderung der politischen Machtverhältnisse Hindernisse in den Weg gelegt würden: "Die Revolution beginnt jetzt. Die Revolution wird keine leichte Aufgabe sein. Sie wird ein schweres Unternehmen voller Gefahren sein."
Am 16. April 1960 verkündete Fidel Castro den sozialistischen Charakter der Revolution: "Sie werden uns nicht verzeihen, dass wir direkt vor der Nase der Vereinigten Staaten eine sozialistische Revolution machen… Wir verteidigen diese sozialistische Revolution mit dem Mut, mit dem unsere Schützen die angreifenden Flugzeuge mit Kugeln durchlöcherten… Wir verteidigen diese Revolution nicht mit Söldnern, wir verteidigen sie mit den Männern und Frauen des Volkes… Dies ist die sozialistische und demokratische Revolution der Bescheidenen, mit den Bescheidenen und für die Bescheidenen. Für diese Revolution sind wir bereit, unser Leben zu geben."
Im Frühjahr 1960 begannen die Terrorakte ehemaliger Batista-Leute gegen die revolutionären Veränderungen. Washington nutzte diese Elemente für intensive Kampagnen gegen Kuba. Die Wirtschaftsblockade begann. Am 17. April 1961 landeten in der Schweinebucht Kriegsschiffe der USA. Das Pentagon und die CIA nannten die Operation "Pluto". Sie hatte zum Ziel, das Gebiet zu isolieren, einen Flughafen zu besetzen und eine Exilregierung einzusetzen. Nach zweitägigem Kampf befreiten die kubanischen Streitkräfte die Schweinebucht. Fidel Castro bezeichnete diesen Sieg als "eine große Schule für das kubanische Volk, das lernte, keine Angst vor dem Feind zu haben". 1962 schloss die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf Betreiben Washingtons Kuba aus ihren Reihen aus.
Die kubanische Revolution setzte trotz alledem ihren Konsolidierungsprozess fort und begann ihre Mission für die Interessen der Dritten Welt. Das Land trat der Bewegung der Blockfreien bei. Anfang 1965 bereiste Che Guevara Afrika. Er wollte die Revolution in Algerien unterstützen. 1966 ging er mit einer Gruppe kubanischer Kämpfer nach Bolivien, um dort zusammen mit der Nationalen Befreiungsarmee die Militärjunta zu bekämpfen. Im Oktober 1967 wurde er vom Militär gefangen genommen und am 9. Oktober 1967 erschossen. Der Tod seines Mitkämpfers traf Fidel Castro zutiefst. Die Unterstützung der Befreiungskämpfe in den Ländern der Dritten Welt ging jedoch weiter. Kuba unterstützte die Regierung Salvador Allendes in Chile. Nach dem Putsch 1973 half sie den Verfolgten der Pinochet-Diktatur. Kuba half mit Truppenkontingenten oder militärischen Beratern in Algerien, Äthiopien, der Republik Kongo, Angola, Mozambique, Namibia und Südafrika. Nach dem Sieg der Sandinistischen Volksrevolution am 19. Juli 1979 half Kuba bei der Umgestaltung Nicaraguas und der Verteidigung der Revolution gegen die Contras.
Die Niederlage des Sozialismus in Europa traf Kuba schwer. Es verlor seine strategischen Verbündeten und mit ihnen 1990 seine bedeutenden Energie- und Warenlieferer. Die kubanische Führung führte die "Spezialperiode in Friedenszeiten" ein. Sie sah unter anderem vor, die Zuckerproduktion umzugestalten, die Maschinenarbeit in der Landwirtschaft zu verringern, neue Energiequellen zu akquirieren und den Tourismus als neue Devisenquelle zu forcieren.
Und Fidel ging noch weiter. Er suchte neue Verbündete in Lateinamerika. Zu Beginn des Jahres 1990 traf er sich mit dem brasilianischen Gewerkschaftsführer und späterem Präsident Brasiliens Lucio Ignacio "Lula" da Silva in dessen Haus. Sie vereinbarten, die linken Parteien und Organisationen Lateinamerikas und der Karibik zu einer Beratung einzuladen. Am 4. Juli 1990 kamen Vertreter von 48 kommunistischen, sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Lateinamerikas und der Karibik in die brasilianische Hafenstadt São Paulo. Ein Jahr später gab sich die Versammlung in Mexiko-Stadt den Namen "Forum von Sao Paulo". Es ist heute ein bedeutender Zusammenschluss linker Parteien und Organisationen.
Foto: Prensa Latina
In seiner These von der Integration Lateinamerikas und der Karibik bekräftigte Fidel, dass die politische und wirtschaftliche Union ihrer Nationen dazu beitragen würde, ihre eigene Entwicklung voranzutreiben und den Einfluss der USA in der Region zu verringern. "Wir haben gemeinsame Wurzeln. Gestern waren wir eine riesige Kolonie. Morgen können wir eine große Gemeinschaft eng vereinter Völker sein. Die Natur hat uns unermessliche Reichtümer geschenkt, die Geschichte hat uns Sprache, Kultur und gemeinsame Bindungen gegeben wie in keiner anderen Region der Erde."
Auf der Grundlage der Prinzipien der Einheit und Integration gründete Fidel Castro zusammen mit Hugo Chavez im Dezember 2004 die Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas (ALBA-TPC). 2005 folgte zunächst PETROCARIBE und 2007 die Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR). 2011 trafen sich die Regierenden der Völker Lateinamerikas und der Karibik in Caracas, um die Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) zu gründen.
Mit seiner strategischen Vision von der Einheit und Integration der Völker Lateinamerikas und der Karibik setzte Fidel Castro die Ideen großer Unabhängigkeitsführer wie Simón Bolívar, Emiliano Zapata, José Martí und Augusto C. Sandino fort.
Ein weiterer Grundsatz Fidels war, "nicht zu geben, was übrig ist, sondern zu teilen, was man hat." Das erklärt die große Hilfsbereitschaft mit der Kuba auf den Gebieten der Medizin, des Sports und der Bildung international auftritt. Auf Initiative Fidel Castros wurde 1999 die Lateinamerikanische Schule für Medizin (ELAM) ins Leben gerufen.
Zusammen mit Venezuela entwickelte Kuba die "Misión Milagro" zur Heilung von Augenerkrankungen. Mit Hilfe der Methode "Yo sí puedo" lernten Millionen Menschen in der Region lesen und schreiben. Dank Kubas Hilfe wurden Länder wie Bolivien, Nicaragua und Venezuela frei vom Analphabetismus erklärt. Der Internationalismus wurde Praxis der Außenpolitik der kubanischen Revolution.
Fidel Castro legte großen Wert auf den Schutz der Natur, die nachhaltige Entwicklung und die Umweltbildung der jungen Generation. Bereits in den 1960er Jahren, als über diese Themen kaum gesprochen wurde, ergriff Kuba Maßnahmen zum Umweltschutz. Fidel verurteilte verschwenderisches Konsumverhalten und sagte die Auswirkungen des Klimawandels und seine Folgen für Entwicklungsländer und kleine Inselstaaten voraus. Er prangerte die Industrienationen an, die am meisten zum aktuellen Zustand der Umwelt beigetragen und versuchen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen.
Fidel Castro legte im kubanischen Volk die Grundlagen für dessen Widerstandsfähigkeit. 2022 überstand die Inselrepublik die jüngsten Sanktionen des US-Imperialismus und seiner Verbündeten. Sie überstand den Brand in Matanzas und den Hurrikan Ian. Kuba bekämpfte erfolgreich die Corona-Pandemie und entwickelte die wirksamen Impfstoffe Abdala und der Soberana-Reihe, die es millionenfach auch anderen Ländern vorbehaltslos zur Verfügung stellt.
Kuba fiel nie vor den USA auf die Knie, wie Washington hoffte. Auf Fidel gab es Hunderte Attentat-Versuche, um ihn auszuschalten. Kuba überlebte. Der Respekt und die Unterstützung der Menschen auf der ganzen Welt für die Kubanische Revolution sind aufgrund ihres anhaltenden Widerstands ständig gewachsen.
Der Politikwissenschaftler Atilio Borón von der Universität Buenos Aires meinte, dass die Geschichte Lateinamerikas und der Karibik ohne die von Fidel Castro angeführte Revolution anders verlaufen wäre: "Wir hätten nicht Lula, Dilma, Chávez, Maduro, Néstor, Cristina, Lugo, Rafael, Evo, Daniel, Sánchez Cerén, Tabaré und ‚Pepe‘. Populäre und revolutionäre Führer wie Allende, Velasco, Alvarado, Juan J. Torres, Goulart, Torrijos und Roldós standen unter dem Einfluss der kubanischen Revolution."
Im Dezember 2003 führte der Chefredakteur der französischen Monatszeitung "Le Monde" Ignacio Ramonet ausführliche Gespräche mit Fidel Castro. Ihr Wortlaut wurde im Buch des Rotbuch-Verlags "Fidel Castro – Mein Leben" veröffentlicht.
Auf dem Cover steht geschrieben: "Er gilt als der am längsten amtierende Staatsmann der Geschichte: Ein halbes Jahrhundert stand der ‚Maximo Lider‘ an der Spitze Kubas und beeinflusste das Weltgeschehen. Er überdauerte neun US-Präsidenten und unterhielt persönlich Kontakte zu den wichtigsten Köpfen der Welt. Er rauchte Zigarren mit Nikita Chruschtschow und Willy Brandt, empfing Papst Johannes Paul II., pflegte Freundschaften mit Gérard Depardieu, Nelson Mandela und Ernest Hemingway."
Als sich im November 2016 das kubanische Volk auf dem Platz der Revolution in Havanna von Fidel Castro verabschiedete, sprach auch der nicaraguanische Comandante Daniel Ortega.
Er fragte die Massen: "Wo ist Fidel?"
Einige unter den Zehntausenden antworteten: "Hier ist Fidel."
Ortega wiederholte die Frage zweimal.
Und Zehntausende riefen: "Ich bin Fidel. Ich bin Fidel."
Die Geschichte hat Fidel Castro freigesprochen.
Wolfgang Herrmann, Dreesch
Nueva Nicaragua – Informe, Oktober 2023