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Der Süden wehrt sich

G77-Gipfel der Entwicklungs- und Schwellenländer in Havanna: »Recht auf Entwicklung« gegenüber reichen Industriestaaten betont.

Mit einem dringenden Appell zur Schaffung einer neuen Weltwirtschaftsordnung geht am Sonnabend in der kubanischen Hauptstadt Havanna das diesjährige Gipfeltreffen der G77 (Gruppe der 77) zu Ende. Die G77 sind der größte Zusammenschluss der Entwicklungs- und Schwellenländer bzw. des globalen Südens. Ihnen gehören heute 134 Staaten an, in denen beinahe 80 Prozent der Weltbevölkerung leben. Ihr Name ergibt sich daraus, dass die Gruppe bei ihrer Gründung im Jahr 1964 insgesamt 77 Mitglieder hatte. Die Abschlusserklärung des Gipfels werde »das Recht auf Entwicklung« in einer »zunehmend exklusiven, unfairen, ungerechten und ausbeuterischen internationalen Ordnung« betonen, teilte der kubanische Außenminister Bruno Rodríguez vorab mit. Kuba hat in diesem Jahr den G77-Vorsitz inne.

Konkret befasste sich der diesjährige Gipfel mit einem auf den ersten Blick unscheinbaren Thema, das allerdings beispielhaft dafür ist, wie die reichen Industriestaaten des Westens ihre globale Dominanz sichern: Es ging um die Bedeutung von Wissenschaft, Technologie und Innovation für den Entwicklungsprozess. Wie der kubanische Botschafter in China, Alberto J. Blanco Silva, gegenüber der chinesischen Global Times monierte, monopolisieren wenige wohlhabende Staaten »die Mehrheit der Patente, Technologien und Forschungszentren«. In einer Zeit, in der der wirtschaftliche Aufstieg mehr denn je von der Verfügbarkeit modernster Technologien abhängt, halten sie damit die Entwicklungsländer dauerhaft nieder. Das Tüpfelchen auf dem i sei der Braindrain, das Abwerben hochqualifizierter Fachkräfte, durch das die Entwicklungsländer auch noch viele ihrer besten Köpfe verlören.

Der diesjährige G77-Gipfel findet zu einem für den globalen Süden sensiblen Zeitpunkt statt. Zum einen werden sie von den Krisen und Konflikten der vergangenen Jahre – von der Covid-19-Pandemie bis zu den Folgen des Ukraine-Kriegs und des westlichen Wirtschaftskriegs gegen Russland – empfindlich belastet. Die Armut nimmt wieder zu. Zum anderen geraten sie mehr denn je unter Druck, sich im Machtkampf des Westens gegen Russland und China auf eine Seite zu schlagen. Gleichzeitig bietet ihnen der Aufstieg Chinas, Indiens und weiterer Länder die Chance, zwischen verschiedenen Kooperationspartnern zu wählen und aus dieser neuen Wahlfreiheit Kapital zu schlagen. Das Gipfeltreffen in Havanna werde denn auch wieder von mehr Staaten frequentiert als die Veranstaltungen der Vorjahre, konstatierte Jiang Shixue, Professor am Zentrum für Lateinamerikastudien der Shanghai-Universität.

Tatsächlich wurden am Freitag prominente Gäste in Havanna erwartet. Zu den etwa 30 Staats- und Regierungschefs, die sich angekündigt hatten, zählen Luiz Inácio Lula da Silva (Brasilien), Gustavo Petro (Kolumbien), Nicolás Maduro (Venezuela) und Alberto Fernández (Argentinien); eingetroffen ist auch UN-Generalsekretär António Guterrez. Kommen wollten zudem Südafrikas Außenministerin Naledi Pandor, ihr saudischer Amtskollege Faisal bin Farhan sowie für China Li Xi, Politbüromitglied und Sonderbeauftragter von Präsident Xi Jinping. China wird von den G77 als Mitglied geführt; es gibt selbst allerdings an, mit der Gruppe zwar eng zusammenzuarbeiten, ihr aber nicht in aller Form anzugehören. Nur Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar sagte seine Teilnahme wenige Tage vor dem Gipfel ab. Der Schritt rief ein gewisses Erstaunen hervor, da Neu-Delhi sich als Sprachrohr des globalen Südens begreift.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Jörg Kronauer
junge Welt, 16.09.2023