Nachrichten aus und über Kuba
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Lebensfreude und Solidarität
»Gipfel der Völker«: Rege Diskussionen und kämpferische Reden lateinamerikanischer Präsidenten prägen die Alternativveranstaltung.
Die Stimmung ist euphorisch, fast schon kämpferisch, an diesem Montag abend in der Aula Q der Vrije Universiteit in Brüssel. Fast 1.000 Besucherinnen und Besucher sind es gewiss, die auf den abgestuften Rängen des Hörsaals Platz genommen haben. Anlass ist das »Kulturfestival der Solidarität zwischen den lateinamerikanischen, karibischen und europäischen Völkern«. Ein Abend voller Musikeinlagen und politischer Reden, der Höhepunkt des »Gipfels der Völker«, der Montag und Dienstag in der belgischen Hauptstadt stattgefunden hat.
Illustre Gäste sind an diesem Abend an die flämische Universität gekommen. Größtenteils unangekündigt – »aus Sicherheitsgründen«, betonen die Veranstalter gegenüber junge Welt. Darunter mehrere lateinamerikanische Präsidenten und Minister. Von der europäischen Linken sind unter anderem Jean-Luc Mélenchon, Chef der französischen La France insoumise, und der Vorsitzende der belgischen Partei der Arbeit, Raoul Hedebouw, zugegen. Der »Gipfel der Völker« wird als Gegengewicht zum offiziellen Spektakel des Gipfeltreffens der Europäischen Union und der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac) wahrgenommen, das nur wenige Kilometer entfernt in den Gebäuden der EU über die Bühne geht.
Gewollte Differenz
Als der kubanische Staatschef Miguel Díaz-Canel mitsamt Entourage an Personenschützern neben der Bühne in den Saal geschleust wird, geht der in dem Moment am Rednerpult Sprechende unter. Auch Boliviens Luis Arce und Kolumbiens Gustavo Petro, die wie Díaz-Canel direkt vom gleichzeitig stattfindenden Treffen zwischen EU- und Celac-Vertretern gekommen sind, werden mit Sprechchören und Jubel empfangen. Die Euphorie, die der jüngste Linksruck in Lateinamerika bei vielen ausgelöst hat, ist in diesen Momenten deutlich spürbar.
Der Gegensatz zwischen dem offiziellen Treffen im EU-Viertel der belgischen Hauptstadt und dem »Gipfel der Völker« könnte kaum größer sein. Besonders deutlich wird er während des Festivals am Montag abend. Auf der einen Seite ein großräumig abgesperrtes Gebiet mit viel Polizeipräsenz im Zentrum Brüssels, auf der anderen der Campus der Freien Uni, voller Leben, Lärm und Schildern mit politischen Botschaften. Beim offiziellen Gipfel gut sitzende Anzüge und höflich in die Kameras lächelnde Politiker – ganz nach Protokoll. Bei der Gegenveranstaltung Alltagskleidung, Lebensfreude und Solidarität. Obwohl für die Abendveranstaltung eigens Sicherheitskontrollen an den Eingängen aufgebaut wurden, dilettantisch will man auch nicht wirken.
Die Differenz ist gewollt. Ihr Zweck: Zu zeigen, dort, das ist die Elite, hier sind wir, die normale Bevölkerung, die Völker. Auch Díaz-Canel weiß das in seiner Rede zu betonen. Der »Gipfel der Völker« sei »ein Ort der Begegnung der Vertreter der lateinamerikanischen, karibischen und europäischen Zivilgesellschaft«, »ein wirklich pluralistischer, offener und partizipativer Raum«. Von hier gehe »eine gerechtere und solidarischere Welt« aus. Eine, die sich der systemischen Krise des Kapitalismus entgegenstelle, die die direkte Folge der ungerechten herrschenden Weltordnung sei. Der Applaus ist ohrenbetäubend, immer wieder wird der kubanische Staatschef von Sprechchören unterbrochen, in denen ein Ende der US-Blockade gegen die sozialistische Inselrepublik gefordert wird.
Veränderung möglich
Organisiert worden war der »Gipfel der Völker« von mehr als 200 Organisationen aus Europa, Lateinamerika und der Karibik – darunter soziale Bewegungen, internationalistische Gruppen, linke Bündnisse und Parteien, so auch die Partei der Europäischen Linken. Dem Aufruf folgten Hunderte, die sich an zahlreichen Workshops und Diskussionsveranstaltungen beteiligten. Rodrigo Suñe, einer der Sprecher des Alternativgipfels, nennt gegenüber junge Welt die Zahl von mehr als 1.300 Anmeldungen für die Veranstaltung. Wie viele letztlich tatsächlich anwesend sind, lässt sich angesichts der verwinkelten Räumlichkeiten des teils brutalistisch gestalteten Unicampus’ schwer sagen.
Klar ist aber: Das Bedürfnis nach solidarischem Austausch ist vorhanden. So diskutierten die Teilnehmer über so vielfältige Themen wie die Rolle von Medien, Migrationsbewegungen, Kolonialismus und Patriarchat oder die Notwendigkeit einer ökosozialen Transformation. Auf einer Veranstaltung mit dem Titel »Neue Formen des schmutzigen Krieges: Putsche, Lawfare, Desinformation, Sanktionen und Wirtschaftskrieg« wurden Strategien der Rechten gegen fortschrittliche Projekte beleuchtet. Weitere Podien widmeten sich der Verurteilung der seit mehr als 60 Jahren anhaltenden US-Blockade gegen Kuba sowie dem Kampf für die Freiheit des venezolanischen Diplomaten Alex Saab, der seit 2021 in den USA inhaftiert ist. Die mehrere Seiten lange Abschlusserklärung des Gipfels endet mit den Worten: »Bis zum endgültigen Sieg der Völker über den Imperialismus.«
Entsprechend fällt die Antwort des irischen Abgeordneten des EU-Parlaments, Michael Wallace, auf die Frage aus, was ihn zu seiner Teilnahme am »Gipfel der Völker« motiviert habe. Es gehe ihm um »Gerechtigkeit«, erklärte er am Dienstag gegenüber junge Welt. Die EU mische sich auch heute noch in lateinamerikanische Angelegenheiten ein, um ihre eigenen finanziellen Interessen durchzusetzen. Glücklicherweise wachse der Widerstand dagegen, vor allem in Lateinamerika. Ein Widerstand, von dem die Menschen in Europa durchaus lernen könnten, ist Wallace überzeugt. Denn: »Die Leute in Lateinamerika zeigen, dass Veränderung möglich ist.« Das habe auch der »Gipfel der Völker« eindrücklich gezeigt.
Veröffentlichung |
Frederic Schnatterer, Brüssel
junge Welt, 22.07.2023