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Zeichen der Emanzipation
EU-CELAC-Gipfel: Konflikt um Abschlusserklärung zeigt Gräben zwischen Westen und globalem Süden auf.
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Die Sprecher auf der Pressekonferenz waren demonstrativ um Harmonie bemüht. Mit fast drei Stunden Verspätung begannen am späten Dienstag nachmittag in der belgischen Hauptstadt Brüssel die für die Medien bestimmten abschließenden Statements des EU-CELAC-Gipfels. Den Elefanten im Raum, nämlich den Grund für die Verspätung, versuchten sowohl die Vertreter der Europäischen Union – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel – als auch der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (CELAC) – der derzeit Vorsitzende des Staatenbundes und Premier von Sankt Vincent und die Grenadinen, Ralph Gonsalves, sowie der argentinische Präsident Alberto Fernández – herunterzuspielen.
Bis zum letzten Moment hatten die Teilnehmer des zweitägigen Gipfeltreffens verhandelt, vor allem über Punkt 15 der Abschlusserklärung. In dem Absatz wird der Ukraine-Krieg thematisiert. In der Endfassung, auf die sich am Ende alle 27 EU- sowie 32 der 33 CELAC-Mitgliedstaaten einigen konnten, wird indes weder die Schuldfrage thematisiert noch Russland überhaupt benannt. Offensichtlich reichten diese weitgehenden Zugeständnisse an die mittel- und südamerikanischen Teilnehmer des Gipfels der Regierung Nicaraguas nicht aus. Der zentralamerikanische Staat weigerte sich bis zum Ende, die Erklärung zu unterzeichnen, weshalb deren Verabschiedung zwischenzeitlich sogar ganz auf der Kippe stand. Kuba und Venezuela, für die die Beziehungen zu Russland ebenfalls von großer Bedeutung sind, unterzeichneten das Dokument. Für sie stellte die Formulierung, die Gipfelteilnehmer drückten ihre »tiefe Besorgnis angesichts des anhaltenden Krieges gegen die Ukraine aus, der weiterhin immenses menschliches Leid verursacht«, kein Argument dafür dar, die Unterschrift zu verweigern. Die Ansicht, ein sofortiger »gerechter und nachhaltiger Frieden« sei nötig, entspricht ohnehin eher der Position der lateinamerikanischen Staaten als der des westlichen Blocks.
Angesichts einer so allgemeinen Formulierung zum Ukraine-Krieg überraschte die Aussage Michels auf der Pressekonferenz am Ende des Gipfels: Dieser stelle einen »politischen Erfolg« dar. Eine Verurteilung Russlands lässt sich in die Abschlusserklärung nicht hineinlesen. Auch der gesamte Hergang der Diskussionen zeigt ein monumentales Scheitern des EU-Kurses, die Länder des globalen Südens in die geopolitischen Machtkämpfe des Westens hineinzuziehen. Anfängliche Pläne, den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij persönlich zum Gipfeltreffen einzuladen, waren bereits im Vorfeld von lateinamerikanischer Seite abgeblockt worden.
Eigentlich hatten die Teilnehmer des EU-CELAC-Gipfels, der das erste Mal nach acht Jahren stattfand, andere Themen zu besprechen. Die Posse um die Abschlusserklärung fasst den Stand der Beziehungen zwischen Europa, Lateinamerika und der Karibik allerdings gut zusammen. Auch wenn auf europäischer Seite im vorhinein beinahe mantraartig wiederholt worden war, man wolle den CELAC-Staaten »auf Augenhöhe« begegnen, führt sich der Westen gegenüber den Ländern des globalen Südens teils noch immer wie ein Kolonialherr auf. Selbst ein Scheitern des Gipfels wurde dafür in Kauf genommen.
Die Staaten gerade Lateinamerikas und der Karibik haben in den vergangenen Jahren ein neues Selbstbewusstsein gewonnen. Heute fordern sie gleichberechtigte Beziehungen zur EU ein, die von gegenseitigem Respekt geprägt sind. Auch die Position vieler Staaten bezüglich des Ukraine-Krieges ist Ausdruck dieses neuen Auftretens. Der Konflikt wird als einer von vielen auf der Welt gesehen, als Folge des Machtkampfes zweier Großmächte. Entsprechend wenig Verständnis bringen sie für Erzählungen wie die auf, in der Ukraine verteidige der Westen »Demokratie« und »Menschenrechte«.
Auf einem Treffen mit Unternehmern, das am Montag im Rahmen des Gipfels stattfand, fasste Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva die Haltung vieler Länder des Kontinents zusammen: »Der Krieg in der Ukraine im Herzen Europas legt eine Decke der Unsicherheit über die Welt und verschlingt Ressourcen für Waffen, die eigentlich in der Wirtschaft und in Sozialprogrammen benötigt würden.« Das Wettrüsten erschwere zudem den Kampf gegen den Klimawandel.
Wie weit es mit dem »Neubeginn einer alten Freundschaft« her ist, den von der Leyen am Montag vor dem Gipfel beschworen hatte, ist nach dem Treffen fraglich. Um zumindest nicht weitere acht Jahre zu warten, bis EU und CELAC wieder zusammenkommen, beschlossen die Teilnehmer in Brüssel, von nun an alle zwei Jahre einen Gipfel organisieren zu wollen. Für 2025 ist Kolumbien als Gastgeberland vorgesehen. Zusätzlich sollen regelmäßige Treffen auf Ministerebene stattfinden.
Veröffentlichung |
Frederic Schnatterer, Brüssel
junge Welt, 21.07.2023