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Gipfel mit Konfliktpotential

In Brüssel beginnt zweitägiges Treffen von EU und CELAC. Streit um Wirtschaftsthemen wahrscheinlich.

Acht Jahre sind seit der letzten Zusammenkunft vergangen. Am Montag und Dienstag treffen sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU und ihre 33 Amtskollegen der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) in Brüssel, um über die Zukunft der Beziehungen beider Kontinente zu diskutieren. Angesichts einer ganzen Reihe strittiger Themen und eines neuen Selbstbewusstseins der lateinamerikanischen Teilnehmer dürfte der Gipfel allerdings nicht nur harmonisch ablaufen.

Besonders auf europäischer Seite ist der Druck groß, das Treffen mit konkreten Ergebnissen zu beenden. Spaniens Nochpremier Pedro Sánchez, dessen Regierung derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, zeigte sich am Freitag optimistisch. Der Gipfel werde einen »Wendepunkt« in den Beziehungen zu Lateinamerika und zur Karibik darstellen, erklärte er laut der Nachrichtenagentur Europa Press. Besonders wichtig: die Wirtschaftsabkommen der EU mit mehreren Ländern auf der anderen Seite des Atlantiks. Um diese endlich abschließen zu können, sei ein »politischer Impuls« nötig, so der spanische Sozialdemokrat weiter.

Sánchez’ Worte tragen der Tatsache Rechnung, dass die wechselseitigen Beziehungen in den vergangenen Jahren merklich abgekühlt sind – ein Problem für Brüssel. Europa braucht Lateinamerika heute mehr, als es umgekehrt der Fall ist. In Vorbereitung auch des nun beginnenden Gipfels hatte die EU-Kommission am 7. Juni ihre neue Lateinamerikastrategie veröffentlicht. In dieser heißt es: »Die Region verfügt in bezug auf biologische Vielfalt, natürliche Ressourcen, nachhaltige erneuerbare Energien, landwirtschaftliche Erzeugung und strategisch wichtige Rohstoffe über ein einzigartiges Potential.«

Auf dieses beanspruchen die EU-Staaten Zugriff – durch einen Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen zu selbstgestellten Bedingungen. Im Zentrum steht dabei das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, das seit dem Abschluss der Verhandlungen 2019 auf Eis liegt. Dass es nun in Brüssel ratifiziert wird, ist unwahrscheinlich. Erst vor zwei Wochen bekräftigten die Mercosur-Mitgliedstaaten auf einem Gipfel in Puerto Iguazú, das Abkommen in seinem jetzigen Zustand nicht akzeptieren zu wollen. Argentiniens Staatschef Alberto Fernández erklärte beispielsweise in seiner Eröffnungsrede: »Niemand kann uns dazu verdammen, Lieferanten von Rohstoffen für Waren zu sein, die dann zu Wucherpreisen an uns zurückverkauft werden.« Besonders für die sogenannte Energiewende benötigt Europa Rohstoffe wie Lithium, Kupfer oder »grünen« Wasserstoff.

Dass sich der Blick der EU wieder mehr in Richtung Lateinamerika richtet, liegt auch am Konfrontationskurs gegenüber Russland und China. Um das Engagement besonders der Volksrepublik zu kontern, sollen im Rahmen der EU-Initiative »Global Gateway« Investitionen in Höhe von bis zu Milliarden US-Dollar in »grüne« Projekte in Lateinamerika und Afrika fließen – eine Antwort auf das chinesische Infrastrukturprojekt »Belt and Road Initiative«. Die lateinamerikanischen Staaten hingegen haben sich gegenüber Moskau und Beijing größtenteils nicht abgeschottet, für viele handelt es sich bei beiden Ländern um immer wichtigere Handelspartner, die ihnen günstige Konditionen anbieten.

Entsprechend anders als die EU bewertet ein bedeutender Teil der 33 CELAC-Staaten den Krieg in der Ukraine. Das sorgte bereits vor Beginn des Gipfels für Konflikte. So protestierten mehrere Länder erfolgreich gegen eine Einladung des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Auch von der EU formulierte Passagen in der geplanten Abschlusserklärung, in der Russland als Aggressor scharf verurteilt wurde, strichen die CELAC-Mitglieder. Statt dessen brachten sie die Forderung nach Friedensverhandlungen ein, wie sie der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva vermitteln möchte. Und auch ein weiterer Abschnitt, den die Staaten aus Lateinamerika und der Karibik ins Abschlussdokument aufnehmen möchten, birgt Potential für Streit. So fordern die CELAC-Mitglieder »Reparationen und Entschädigungen« für den Sklavenhandel, von dem Europa profitierte.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Frederic Schnatterer
junge Welt, 17.07.2023