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Bewahrtes Erbe auf Kuba

Für Kubas Hauptstadt Havanna ist der Tourismus Teil der Lösung ihrer vielfältigen Probleme.

Plaza de la Catedral
Die sorgfältig restaurierte Casa del Marqués de Aguas Claras auf der Plaza de la Catedral neben dem barocken Dom ist eine typische Kolonialvilla der adligen Elite Havannas aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Foto: Peter Steiniger


Das Haus San Ignacio 255, an der Ecke zur Calle Lamparilla, stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Noch vor wenigen Jahren war der einstige stolze Besitz der hochgestellten Familie Lombillo und Montalvo in Habana Vieja, Alt-Havanna, zur Ruine verfallen. Nach der gründlichen Restaurierung durch das »Büro des Stadthistorikers von Havanna« ist das Gebäude seit 2019 ein Projekt seiner »Abteilung für humanitäre Angelegenheiten« und dient dem Betreuten Wohnen von Menschen im »dritten Lebensalter«. Im Obergeschoss befindet sich ein Dutzend kleiner Appartements, unten sind die Gemeinschaftsräume.

»Die Bewohner nutzen die Wohnungen kostenlos«, erläutert Stadtführer Norberto Hernández Suárez in flüssigem Deutsch. Gelernt hat es »Norbe« einmal an der zur Fremdsprachenfakultät der Universität Havanna gehörenden Cátedra Humboldt. Den Duden nennt er »meine Bibel«. Der bärtige Mittvierziger im roten T-Shirt ist bei der Agentur San Cristóbal beschäftigt.

Als Villa de San Cristóbal de La Habana wurde die Stadt 1519 gegründet, strategisch günstig an einer riesigen Bucht gelegen. Kubas Hauptstadt ist Havanna seit 1552. Da war sie bereits der Haupthafen für die Gold-und-Silber-Flotte des spanischen Kolonialreiches in der »Neuen Welt«. Ein großer Schatz an prächtigen Bauten zeugt bis heute von der Bedeutung Havannas in jener Epoche. Norbertos auf das historische und Kulturerbe spezialisierte Agentur wurde 1995 mit dem Ziel ins Leben gerufen, einen finanziellen Beitrag zur Sanierung des historischen Zentrums der kubanischen Hauptstadt zu erwirtschaften. Auch San Cristóbal gehört zum Stadthistoriker-Unternehmen »Oficina del Historiador de la Ciudad de La Habana«.

Die Behörde hat bei der Restaurierung des historischen Zentrums das Sagen und verfolgt das Ziel, dabei die Interessen der lokalen Bevölkerung zu berücksichtigen. Neben der Planung und Ausführung der Bauprojekte unterhält das Stadthistoriker-Büro Hunderte Läden und gastronomische Einrichtungen oder ist an deren Einnahmen beteiligt. Auch angegliederte Hotels im historischen Zentrum von Havanna werden dazu genutzt, Geld sowohl für die Restaurierungen als auch für soziale Belange der Altstadtbewohner zu erwirtschaften.

»San Ignacio 255 ist nur ein Beispiel unserer Bemühungen zur Verbesserung der Lebensqualität«, hebt der Stadtführer hervor. Einrichtungen für Senioren hätten dabei Priorität, denn »nach der Bevölkerungsstatistik sind wir ein altes Land«. Nach den offiziellen Daten wird 2025 bereits jeder vierte Kubaner 60 Jahre oder älter sein. Für die raren Senioren-Wohnungen - ein halbes Dutzend Gebäude sind hierfür bereits hergerichtet - gibt es eine Warteliste.

Eines der beeindruckendsten Sozialprojekte, in das Geld aus dem Tourismus fließt, ist das frühere Belén-Kloster in der Compostela-Straße. Das prächtige, 1718 für den Bethlehem-Orden erbaute erste Gebäude des kubanischen Barocks ist ein großes Tageszentrum für pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren mit einem breiten Beschäftigungsbereich und vielen kulturellen Angeboten. Nur wenige Schritte entfernt hat das Historiker-Amt vor zwei Jahrzehnten in einer ehemaligen Druckerei die berühmte, 1991 von Lizt Alfonso gegründete Tanz- und Ballettschule untergebracht, die stark in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen engagiert ist.

In diesen Kontext gehört auch das Stadthistoriker-Projekt der Klassenzimmer in Museen. Ursprünglich wurde es gestartet, um Ausweichräume für Grundschulen während der Überholung ihrer maroden Gebäude zu haben. Weil sich zeigte, dass die Schüler nun motivierter lernten, wurde für jede Klasse ein Schuljahr im Museum auch nach Abschluss der Schulsanierungen obligatorisch.

»Wir sind wie eine Familie. Und jedes Mitglied hat seine Aufgabe.« Mit Tausenden Mitarbeitern ist es eine große Familie, zu der sich Norberto Hernández zählt. Historiker und Archäologen, Stadtplaner und Architekten, Bauarbeiter und Handwerker, Touristiker und Gastronomen sind ebenso dabei wie Straßenkehrer, die zum Stadthistorikerbüro gehören. Sie alle wirken im Geist von Eusebio Leal Spengler. Havannas 2020 im Alter von 77 Jahren verstorbener Stadthistoriker war führender Kopf und Pionier der Altstadtsanierung und erwirkte bei Revolutionsführer Fidel Castro dafür Carte blanche.

Leal baute das Firmengeflecht zur aufwendigen Rettung der historischen Bausubstanz und die kommerziellen Aktivitäten im Bereich des Tourismus auf, warb Gelder ein und gewann Investoren. Die Restaurierung von La Habana Vieja, seit 1982 Unesco-Weltkulturerbe, begann in den 90ern mit den prächtigen Kolonialpalästen an den Hauptplätzen und rückt seitdem in westlicher Richtung vor. Sie nimmt denselben Weg, auf dem die Stadt einst gewachsen ist. Das katholische Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas entwickelte mit seinem Büro Strategien gegen eine Verdrängung der Anwohner.

Dennoch musste das Problem der Überbevölkerung in der Innenstadt angegangen werden. Während der mehrjährigen Restaurierung stehen provisorische Unterkünfte bereit. Im Viertel bleiben dürfen Familien, die aus Havanna stammen. Sie erhalten ein vererbbares Wohnrecht. Für den Umzug in einen Neubau hinter dem Hafen oder im östlichen Stadtteil Alamar gibt es als Anreiz die Möglichkeit, die Wohnung zu erwerben.

Trotz aller Bemühungen: Der Verfall der Bausubstanz in Havannas Altbauvierteln schreitet sichtbar voran. Das feuchte Seeklima setzt den Gebäuden stetig zu. Die Ressourcen sind knapp: Das sozialistische Kuba erlebt die schwerste Krise seit der sogenannten Sonderperiode nach dem Verschwinden der Sowjetunion. Die Versorgungslage ist prekär, besonders kritisch steht es um den Energiesektor. Die Phase eines langsamen, doch stetigen Wirtschaftswachstums endete abrupt: Die Pandemie brachte den internationalen Tourismus als wichtigen Devisenbringer für den Staat und Einkommensquelle vieler Familien zum Erliegen. Eine 2021 durchgeführte Währungsreform führte zu einer Preisexplosion.

Nach dem leichten Tauwetter der Obama-Ära haben die US-Präsidenten Trump und Biden die wirtschaftliche Blockade der Insel weiter verschärft. Die Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf die Weltwirtschaft bekommt auch Kuba deutlich zu spüren. Fehlende Perspektiven haben die größte Auswanderungswelle seit Jahrzehnten zur Folge. Wie man hier sagt: Die Taube fliegt dorthin, wo es Futter gibt.

Für mehr Licht am Ende des Tunnels soll nicht zuletzt die Tourismusindustrie sorgen, Besucherzahlen und Einnahmen haben aber noch längst nicht wieder den früheren Stand. Wie sich mithilfe des Fremdenverkehrs wirtschaftliche und soziale Fragen zusammen lösen lassen, zeigt das Modell der Altstadt-Sanierung in Havanna.

Seniorin im Convento de Belén
Die Seniorin Justa Emilia Ruiz (80) hat im Tageszentrum im früheren Kloster »Convento de Belén« Besuch von ihrer Enkelin Darilys Domokos (34).
Foto: Peter Steiniger

San Ignacio 255
San Ignacio 255 ist dank des Stadthistorikerbüros eine von mehreren Adressen für das Betreute Wohnen von Senioren.
Foto: Peter Steiniger

Café »Columnata Egipciana«
Das Café »Columnata Egipciana« in Alt-Havannas Mercaderes-Straße besitzt heute Lissabon-Flair. Hier verkehrte einst der portugiesische Schriftsteller und Konsul Eça de Queiroz (1845–1900)
Foto: Peter Steiniger


Peter Steiniger
ND, 07.07.2023