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Lateinamerika: Revolution oder Transformation?
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Lateinamerika und die Karibik wenden sich zurzeit nach links. Der Integrationsprozess schreitet voran. In den Schlüsselländern für die geopolitische Ordnung der Region verliert die reaktionäre Rechte die Regierung gegen die Mitte-Links-Bewegung.
Das geht Washington gegen den Strich. Es entwarf die Strategie der verdeckten Putschversuche, offenen Sanktionen und Invasionsdrohungen und setzt sie gegen die "Abweichler" ein.
Natürlich ist der Subkontinent nicht von der allgemeinen Dynamik auf dem Planeten ausgeschlossen. Lateinamerika und die Karibik standen schon immer im Mittelpunkt fortschrittlicher Befreiungskämpfe. Nach der Niederlage des sozialistischen Lagers in Europa nahmen das unipolare Denksystem der westlichen "Demokratien" und damit der Aufbau einer auf den Monetarismus zugeschnittenen Ordnung auf der Weltbühne Platz. Dieser Ordnung widersetzt sich die Mehrheit der Länder Lateinamerikas und der Karibik, die eine multipolare Weltordnung bevorzugen.
Die fortschrittlichen Befreiungsprozesse sind nicht unbedingt mit revolutionären Veränderungen verbunden. Die ehemaligen reaktionären und revolutionären Pole haben sich auf die kühlere Dialektik zwischen Konservativem und Progressivem eingestellt. Nicht alle linken und progressiven Regierungen Lateinamerikas und der Karibik betrachten den Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus. Zudem gibt es unterschiedliche Vorstellungen vom Sozialismus. An seine Stelle tritt vorerst der Wandel. Kuba, Nicaragua und Venezuela trugen jedoch dazu bei, Lateinamerika und die Karibik zu einer Region zu machen, die der Revolution nicht abschwört. Ihre regierenden Parteien haben verstanden, dass die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft eine Geschichte von Klassenkämpfen ist.
Die Geschichte Lateinamerikas und der Karibik kann nicht von der Geschichte der USA getrennt werden. Der Subkontinent erlebte ständig den Konflikt zwischen Unabhängigkeit und Annexion. Der wiederum resultiert aus dem Streit zwischen monroistischem und bolivarischem Denken. Der Gedanke Monroes führte zur panamerikanischen Idee. Sie bestimmt die Hegemonie der USA über die Region. Die übrigen Länder sollen Untertanen sein. Der Gedanke Bolívars entstand aus der Notwendigkeit, sich zu koordinieren, um die "spanischen Kolonien durch amerikanische Republiken abzulösen". 1891 erschien das Essay "Nuestra América" ("Unser Amerika") von José Martí. Darin beschrieb er die Idee Bolívars von der Einheit und Integration. 1929 veröffentlichte Augusto Cesar Sandino den Plan zur Erfüllung des Traums Bolívars von der Einheit Lateinamerikas.
Die Beziehungen der USA zu jedem lateinamerikanischen oder karibischen Land und zum gesamten Subkontinent bestimmten seit jeher die sich abwechselnden sozialen und politischen Systeme der Länder. Revolutionäre und reformistische Erfahrungen entstanden. Wahlsiege der Rechten oder der antikapitalistischen Linken wechselten sich ab. Im Verlauf dieser Prozesse sind politische Modelle gereift, die mit der Beendigung der Unterordnung des Subkontinents zu tun haben. Die Beziehungen Lateinamerikas und der Karibik zu den USA spielen also eine wichtige Rolle im Denken und Handeln der linken und Fortschrittskräfte der Region.
Innerhalb dieser Kräfte haben sich drei Tendenzen herausgebildet. Die revolutionäre Tendenz lebt und regiert auf Kuba, in Nicaragua und Venezuela. Dort existiert eine in revolutionären Prozessen geborene Linke, die weiß, wie gesiegt und anschließend verteidigt wird. Ihre Modelle sind Alternativen zum Kapitalismus. Die zentrale Achse ihres Projekts ist die Rolle des Staates als allgemeines politisches Subjekt und Regulator des Marktes. Sie sind von einer sozialökonomischen Ordnung mit einem gemischten Wirtschaftsmodell sozialistischer Natur überzeugt, die den Kapitalismus überwindet. Wegen des subversiven Charakters der entmachteten Klassen, die den USA untertan waren und sind, verteidigen sie das politische und institutionelle Terrain mit ihrem Machtmonopol. Sie bauen ihre Außenpolitik auf der Grundlage nationaler Interessen und internationaler Solidarität auf. Sie fördern die Einheit, die regionale Zusammenarbeit und Integration des Subkontinents und profitierten davon. Sie sind von der Nützlichkeit kontinentaler Institutionen für Freiheit und Gleichheit ohne USA und Kanada überzeugt. Sie lehnen die OAS und alle anderen von Washington gegründeten und gelenkten Organisationen als Mittel der politischen Kontrolle über den Subkontinent ab. Sie verurteilen und bekämpfen die Unterdrückungspolitik der USA und üben Solidarität mit den Opfern der permanenten Destabilisierung.
Die reformistische Tendenz ähnelt der europäischen Sozialdemokratie des späten 20. Jahrhunderts. Zu ihr zählen die Regierungen in Bolivien, Chile, Honduras und Brasilien. Sie arbeiten für einen sozialen Ausgleich in ihren Ländern und für die Unabhängigkeit von den USA, dulden aber deren Rolle in der kontinentalen Geopolitik. Sie sind für die Einheit des Subkontinents, die regionale Zusammenarbeit und Integration. Sie halten einen ständigen Dialog mit der alternativen Linken für sinnvoll und betrachten ihn als Bindeglied zwischen den verschiedenen progressiven und sozialistischen Ausdrucksformen.
Die progressive Tendenz ist liberal in der Wirtschaft und progressiv in den Bürgerrechten. Sie erscheint in den Regierungen Mexikos, Argentiniens, Kolumbiens und Perus. Sie betont die Rolle des Staates als Ordnungsorgan der Gesellschaft unter Verzicht auf jegliche Eingriffe in die Wirtschaft. Ihre Vertreter glauben, dass der Markt sich selbst reguliert. Diese Tendenz der "leichten" Linken gefällt den Rechten, denn sie hinterfragt nicht das politische System. Sie präsentiert die importierte Version des Bürgerrechts. Importierte politische Systeme sind jedoch fragil. Sie berücksichtigen nicht die eigenen sozialökonomischen Erfahrungen. Die "leichten" Linken bevorzugen ein Modell der sozialen Demokratie, das von Natur aus die Stärkung der Mittelschicht fördert. Diese wird als sozialökonomischer und kultureller Motor angesehen. Bei den Vertretern dieser Tendenz besteht die Gefahr, dass sie zum Ankläger der Linken werden, mit denen sie kooperierten, bevor sie an die Regierung kamen. Zum Beispiel kritisieren sie die Regierungen von Kuba, Nicaragua und Venezuela, wenn diese ihre Mittel zum Machterhalt einsetzten. Die "leichte" Linke sieht den historischen Liberalismus Lateinamerikas und nicht den Sozialismus als Alternative. Sie will die kapitalistische Realität nicht abschaffen, sondern verbessern.
Wenn in Lateinamerika und der Karibik linke oder Fortschrittskräfte die Wahlen gewinnen, dann haben sie noch nicht die Macht gewonnen, um das System ändern zu können. Um alternativ zu sein, müssten sie eine völlig andere Gesellschaft erstreben, die Machtverhältnisse zwischen den Klassen verändern und das Gewicht der wirtschaftlichen und militärischen Kräfte verringern. Wenn nach gewonnenen Wahlen nicht das Kräfteverhältnis verändert wird, dann werden diejenigen geändert, die verändern wollten. Ein markantes Beispiel dafür war die Entwicklung in Ecuador während der Regierungszeit von Lenín Moreno.
Der VII. CELAC-Gipfel, der am 24. Januar 2023 in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires stattfand, widerspiegelte den Fortschritt, der sich in der Entwicklung der Region vollzog. Die Präsidenten Andrés Manuel López Obrador aus Mexiko und Alberto Fernández aus Argentinien hatten CELAC während ihrer Pro-Tempore-Präsidentschaften aus dem Koma geholt. Die Völker "Unseres Amerikas" haben aus der Vergangenheit gelernt. Der Gipfel würdigte den Wiederbeitritt Brasiliens in die CELAC. Die Anwesenheit des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva war ein Zeichen des Engagements für Einheit und gemeinsame Arbeit in der Region. Die Teilnehmer verurteilten die Inhaftierung des peruanischen Präsidenten Pedro Castillo und die Unterdrückung seines Volkes durch das Putschregime der De-facto-Präsidentin Dina Boluarte.
Der Gipfel verabschiedete die Deklaration von Buenos Aires. Die Regierungen bekräftigten ihr Engagement für die Entwicklung der regionalen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Einheit und Integration sowie für die weitere Zusammenarbeit zur nachhaltigen Bewältigung der Gesundheitskrise infolge der Covid-19-Pandemie. Außerdem wurde die Bereitschaft bekräftigt, für den internationalen Klimaschutz zusammenzuarbeiten. Die 111 Punkte des Dokuments bilden eine solide Arbeitsgrundlage, um die Zukunft zu gestalten. In der Erklärung wird die volle Gültigkeit der Proklamation Lateinamerikas und der Karibik als Zone des Friedens hervorgehoben und das Engagement für Demokratie, Förderung, Schutz und Achtung der Menschenrechte betont. Die Teilnehmer bekundeten ihren Willen, nach Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen, bei Beachtung der Vielfalt der politischen Ansichten und ideologischen Ausrichtungen, zu streben. Diese Einheit der Vielfalt ist faszinierend und kann als Vorbild für Dialoge zur Beilegung von Konflikten dienen. Sie birgt aber auch ein gewisses Risiko in sich. Wenn die progressive Tendenz in CELAC die Oberhand gewinnt, dann könnte der revolutionäre Inhalt der ursprünglichen Idee der Gründerväter Fidel Castro und Hugo Chávez verwässert werden. Nicht ohne Grund forderte Venezuelas Präsident Nicolás Maduro in seinem Videobeitrag: "Es ist an der Zeit, dass CELAC von innen heraus aufgebaut wird, mit einer sehr klaren Vision von der Zukunft unserer Länder. Es ist notwendig, solide Grundlagen für den Aufbau der Union zu legen." Er schlug den Aufbau einer eigenen Organisationsarchitektur der CELAC und die Schaffung eines Generalsekretariats vor.
Der Präsident der VR China Xi Jingping betonte in einer Videobotschaft an den Gipfel, dass die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten sich zu einer unverzichtbaren Kraft in der Süd-Süd-Kooperation entwickelt habe. Die VR China sei bereit, das China-CELAC-Forum zu stärken. Die Beziehungen sollen nach den Prinzipien der Gerechtigkeit, des gegenseitigen Nutzens, der Innovation, der Offenheit und des sozialen Wohlergehens entwickelt werden.
Zum Abschluss des Gipfels ließ der argentinische Präsident Alberto Fernández über die Pro-Tempore-Präsidentschaft der CELAC abstimmen.
Sie wurde an den Premierminister von St. Vincent und Grenadinen Ralph Gonsalves übergeben. Damit übernahm erstmals ein Land der englischsprachigen Karibik den Vorsitz der CELAC.
Das Gipfeltreffen zeigte viel Licht, aber auch einzelne Schatten. Solche warfen die transnationalen Desinformationsmedien: "Der CELAC-Gipfel findet ohne Maduro statt"; "Der CELAC-Gipfel wird mit viel Abwesenheiten abgehalten"; "López Obrador distanziert sich von Alberto Fernández, reist nicht nach Buenos Aires". Die Schlagzeilen vermittelten den Wunsch nach Scheitern des Gipfels. Das Engagement der CELAC-Mitgliedstaaten für Integration und Einheit überdeckte nicht die ausgedehnte Präsenz von US-Militärbasen auf dem gesamten Kontinent, die ständigen Interventionen westlicher Mächte in der Region, die Schikane und Verachtung gegenüber indigenen und afrostämmigen Völkern, die Anwendung von "Lawfare"-Methoden gegen prominente politische Persönlichkeiten in verschiedenen Ländern und die grobe Manipulation von Menschenrechtsinstitutionen. Die Erfolge bei Wahlen führten dazu, dass Initiativen zur Sabotage der lateinamerikanischen und karibischen Einheit wie die Lima-Gruppe überwunden werden konnten. Diese Gruppe, die Venezuelas rechtmäßigen Präsidenten Maduro ignorierte und den von Washington beförderten Interimspräsidenten Juan Guaidó anerkannte, wurde zeitweilig von Argentinien, Barbados, Bolivien (während des Putschregimes), Brasilien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Grenada, Guatemala, Guyana, Haiti, Honduras, Jamaika, Mexiko, Panama, Paraguay, Peru und St. Lucia unterstützt. Der Atem der grausamen Interventionspolitik Washingtons gegen Venezuela war auf dem Gipfel immer noch zu spüren. Die Präsidenten Chiles, Paraguays und Uruguays kritisierten "die mangelnde Demokratie" in Venezuela. Es ist offensichtlich, dass die USA und ihre Verbündeten ihre Manipulations- und Zwangsmacht in der Region aufrechterhalten wollen. Sie warten nur auf günstige Bedingungen, um sie anzuwenden.
Das Licht des VII. CELAC-Gipfels ist jedoch unübersehbar. Es ist zu erwarten, dass die linken und Fortschrittskräfte Lateinamerikas und der Karibik ihre Differenzen überwinden und die Kräfte bündeln werden. Das ist möglich, wenn bestimmte Kräfte der progressiven Tendenz aufhören, Verbündete mit Feinden zu verwechseln; wenn sie aufhören, revolutionäre Prozesse als Bedrohung statt als Vorteil zu sehen. Ähnliches kann man dem radikalen Teil der revolutionären Tendenz gegenüber linken und progressiven Regierungen empfehlen. Sie alle wollen nicht mehr Wirtschaftspflanzen für andere sein. Sie wollen eigene Bäume in eigenen Gärten. Es wächst die Vernunft, trotz der unterschiedlichen politischen Ansätze, einig in den Forderungen gegenüber den USA und Europa zu sein. Das ist auch unbedingt notwendig, denn der Subkontinent verfügt über alle Ressourcen, die der Norden benötigt und erobern will. Es wäre nicht klug, die Solidarität der Brüder gegen das Wohlwollen der Henker einzutauschen.
Wolfgang Herrmann, gestützt auf Informationen von teleSUR, Prensa Latina
und tortilla con sal.
Nueva Nicaragua - Informe, 05.03.2023