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Ende der Einsamkeit und Epos des Aufstandes: Das war die 31. Internationale Buchmesse in Havanna.

Die zehntägige 31. Internationale Buchmesse in Havanna, eins der größten und bedeutendsten literarischen Ereignisse Lateinamerikas und der Karibik, fand am Sonntag auf der historischen Festungsanlage San Carlos de la Cabaña an der Hafeneinfahrt der Hauptstadt ihren Abschluss. Anschließend gibt es vier Wochen lang in allen 15 Provinzen und auf der »Isla de la Juventud« (Insel der Jugend) die Möglichkeit, Neuerscheinungen und die in Havanna präsentierte Literatur- und Kulturszene bei zahlreichen Lesungen, Ausstellungen und anderen Veranstaltungen kennenzulernen. Am 19. März wird sich die Buchmesse 2023 auf ihrer letzten Station, der Stadt Guantánamo im Osten der Insel, bis zum nächsten Jahr verabschieden.

Nach drei Jahren Corona und den dadurch bedingten Einschränkungen präsentierte sich die Messe lebendiger und erfolgreicher als selbst vor der Pandemie. Mit über 300 Ausstellern aus 52 Ländern wurde der bisherige Rekord aus dem Jahr 2019 übertroffen. Bei der Eröffnung am 9. Februar berichtete der Direktor des kubanischen Buchinstituts (ICL), Juan Rodríguez Cabrera, dass den Besuchern in diesem Jahr mehr als 4,2 Millionen gedruckte Exemplare von 4.200 Titeln und über 1.300 digitale Bücher vorgestellt werden könnten. Rund 300 neue Werke wurden auf der Messe präsentiert, die diesmal dem revolutionären Wissenschaftler Antonio Núñez Jiménez und der Dichterin Fina García Marruz gewidmet war. Der 1998 im Alter von 75 Jahren verstorbene Núñez Jiménez, ein Mitbegründer der ersten Bauernmiliz Kubas und später der erste Präsident der kubanischen Akademie der Wissenschaften, gilt als »Chronist der Revolution«. Sein literarisches Werk umfasst über 190 Bücher, hunderte Artikel, Dokumentarfilme und zahlreiche andere Publikationen. Fina García Marruz, die »Grande Dame der kubanischen Lyrik«, verstarb im vergangenen Juni im Alter von 99 Jahren. Poesie sei nichts anderes »als das Geheimnis des Lebens und das Unsichtbare transparent zu machen«, hatte die mit zahlreichen internationalen Preisen gewürdigte Dichterin, eine der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur, über ihre Passion gesagt. Beide Persönlichkeiten stehen für den literarischen Anspruch und die politische Botschaft der ihnen gewidmeten Messe.

Beides wurde auch mit der Wahl Kolumbiens zum diesjährigen Gastland unterstrichen. Dessen Vizepräsidentin, Francia Elena Márquez Mina, würdigte Kuba bei der Eröffnung am 9. Februar als »Protagonisten bedeutender politischer Prozesse in der Region«. Als Beispiel verwies sie auf die Vermittlung beim Friedensprozess in ihrem Land. Mehrere kolumbianische Intellektuelle, darunter die Dichterin und Kulturministerin Patricia Ariza, erinnerten an die besondere Beziehung ihres bekanntesten Autoren, Gabriel García Márquez (1927–2014), zu Kuba, das er seit dem Sieg der Revolution regelmäßig besucht hatte. »Havanna war sein zweites Zuhause«, erinnerte Jaime Abello, Mitbegründer von Márquez »Stiftung für den neuen iberoamerikanischen Journalismus«, auf der Messe an die freundschaftliche Verbindung des Literaturnobelpreisträgers zu Fidel Castro. Auf der Insel hatte »Gabo«, wie García Márquez genannt wird, die Internationale Hochschule für Film und Fernsehen gegründet, die Stiftung Neues Lateinamerikanisches Kino und das Internationale Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films. In Lateinamerika wird der Dichter sowohl wegen seiner literarischen Werke als auch wegen seines politischen Wirkens als einer der wichtigsten linken Intellektuellen, Antiimperialisten und politischen Journalisten des Kontinents geschätzt. Dennoch war »Kolumbien Gabo gegenüber nicht großzügig genug, weder zu Lebzeiten noch nach seinem Tod«, bedauerte Patricia Ariza. Sie träume davon, dass sein größtes Werk »Hundert Jahre Einsamkeit« (1967) in Kolumbien eines Tages »an jede Wand geschrieben würde«.

Zu einer der interessantesten Neuerscheinungen der Messe gehörte das neue Buch des französisch-spanischen Journalisten Ignacio Ramonet über die Verschwörungsmythen der Rechten. Den Sturm auf das US-Kapitol, die Verwüstung von Regierungsgebäuden in Brasília und ähnliche Ereignisse in Kanada und Europa analysierend, warnte Ramonet in Havanna davor, dass die extreme Rechte der Linken weltweit »das Epos des Aufstands wegnehmen« wolle. Er forderte »Wachsamkeit angesichts des Wiederauflebens des Faschismus in der Welt«, zu dem das Versagen der Medien beitrage. Heute würden es »die Kommunikationssysteme nicht mehr ermöglichen, zu unterscheiden, was wahr, richtig, falsch oder irreführend ist«, sagte Ramonet. Ermutigend wirkte danach die Aussage von Kubas Kulturminister Alpidio Alonso, der zum Abschluss der Messe feststellte, Havanna sei ein Ort, »an dem bedeutende Intellektuelle von unserem Kontinent und aus anderen Teilen der Welt zusammenkommen«, um sich offen und kritisch auszutauschen.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf
junge Welt, 20.02.2023