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Selbstgemachte Krise
Hunderte Bootsflüchtlinge aus Kuba an US-Küste gelandet. Grund sind die Sanktionen gegen die Karibikinsel.
US-Behörden haben am Montag den Dry-Tortugas-Nationalpark, der eine Gruppe unbewohnter Inseln in den Florida Keys umfasst, geschlossen, nachdem dort am Wochenende innerhalb von zwei Tagen rund 300 Migranten gelandet waren. Die Verwaltung begründete die Maßnahme per Twitter damit, dass für die Versorgung der Personen, deren Herkunft zunächst nicht erwähnt wurde, »Ressourcen und Platz benötigt werden«. Auf der Internetseite des etwa auf halber Distanz zwischen den Küsten Kubas und Floridas liegenden Naturschutzgebietes wurde später gemeldet, dass die Migranten aus Kuba stammen. Sie sollen in den nächsten Tagen unter Aufsicht des US-Heimatschutzministeriums nach Key West verbracht werden.
Das staatliche US-Propagandaportal Martí Noticias warnte daraufhin am Dienstag vor einer »Krise auf den Florida Keys«. Der für die südlichen Keys zuständige Polizeichef von Monroe County, Rick Ramsay, warf der Regierung in Washington vor, keinen »Fahrplan zur Bewältigung eines riesigen Masseneinwanderungsproblems« zu haben, »das vorhersehbar war«. Bis Ende des Haushaltsjahres 2022 am 30. September hätten bereits 6.182 Menschen die Insel auf dem Seeweg verlassen, berichtete das jährlich mit zweistelligen Millionenbeträgen aus dem US-Haushalt finanzierte Portal unter Berufung auf eine Statistik der Küstenwache. Ein Grund dafür sei die »wirtschaftliche Krise« in Kuba, heißt es in der Meldung zutreffend, ohne jedoch die seit 60 Jahren bestehende US-Blockade, die Auswirkungen der Pandemie, die Folgen der globalen Inflation und der 200 von Donald Trump verhängten und von Joseph Biden fortgesetzten zusätzlichen Sanktionen als deren Hauptursache zu erwähnen. Statt dessen erklärte der Chef der Contraorganisation »Movimiento Democracia«, Ramón Saúl Sánchez Rizo: »Es handelt sich um einen Exodus, der durch ein System verursacht wird, das nicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung eingeht und den Exodus fördert, um ein Druckmittel gegenüber der US-Regierung zu schaffen.«
Während zahlreiche deutschsprachige Medien eine AFP-Meldung übernahmen, in der es zur Erklärung für die Zunahme der Migrantenzahlen lediglich heißt, Kuba erlebe »derzeit die schlimmste Wirtschaftskrise seit den 90er Jahren«, ergänzte die der grünen Regierungspartei nahestehende Taz den Bericht durch einen Kommentar der US-freundlichen Systemgegnerin Yoani Sánchez, die der Regierung in Havanna »repressive Wut« und verstärkte Unterdrückung der Opposition vorwarf. Tatsächlich dürfte es vielschichtige Gründe für die Zunahme von Bootsanlandungen aus Kuba auf den nur 160 Kilometer nördlich von Havanna gelegenen Florida Keys geben.
Dazu gehört die 2017 unter Trump mit erfundenen »Schallangriffen« begründete Einstellung der Visavergabe. Statt der vereinbarten Anzahl von 20.000 Einreisegenehmigungen für Kubaner hatten die USA zeitweise nur 1.000 Visa ausgestellt und es damit für viele Menschen unmöglich gemacht, legal in die USA auszuwandern. Darüber hinaus stimulieren Privilegien, die Kubaner gegenüber Migranten aus anderen Ländern in den USA genießen, den Exodus. Doch die damit provozierte Zunahme der »illegalen« Migration aus Kuba führt mittlerweile auch in den USA zu Problemen. Im September vergangenen Jahres kündigte Washington deshalb an, dass die Botschaft in Havanna Anfang 2023 wieder die vollständige Bearbeitung von Einwanderungsvisa aufnehmen werde. Am 9. November fanden daher in Havanna die bislang hochrangigsten Gespräche zu Migrationsthemen zwischen Vertretern beider Regierungen statt. Von rechten Hardlinern in den USA waren sie schon vorab als »Verrat« gebrandmarkt worden.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 05.01.2023