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Nachrichten aus und über Kuba

Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Am Abgrund

Vor 60 Jahren drohte der Kalte Krieg zu eskalieren. Die Kuba-Krise brachte die Welt an den Rand eines mit Atomwaffen geführten Dritten Weltkriegs.

Im Oktober 1962 stand die Welt am Rande eines Atomkriegs. Genau 17 Jahre, nachdem die USA mit den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki als einziges Land der Welt Nuklearwaffen eingesetzt hatten, stationierten sie im April 1962 Atomraketen in der Türkei, die auf das Gebiet der Sowjetunion gerichtet waren. Im Gegenzug begann die UdSSR im Juli, Trägerraketen per Schiff nach Kuba zu transportieren. Von der nur 150 Kilometer von der Küste Floridas entfernten Insel hätten sowjetische Atomraketen große Teile der USA in wenigen Minuten erreichen können. US-Präsident John F. Kennedy erklärte in einer Fernsehansprache, dass Washington gegnerische Waffen direkt vor der eigenen Haustür nicht hinnehmen werde. Sollten die sowjetischen Schiffe nicht abdrehen, seien die US-Streitkräfte auf jeden Gegenschlag vorbereitet. Bevor die Lage außer Kontrolle geriet, lenkten beide Seiten ein. Um eine Eskalation mit dem Risiko eines Atomkriegs zwischen den USA und der Sowjetunion zu vermeiden, einigten sich die Regierungschefs Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy auf einen diplomatischen Kompromiss. Moskau ordnete den Abzug der Raketen aus Kuba an. Washington stimmte zu, die US-amerikanischen Jupiter-Atomraketen in der Türkei abzubauen und verzichtete auf die bereits vorbereitete Invasion Kubas. Der von vielen befürchtete dritte Weltkrieg fiel aus. Die Welt konnte nach 13 Tagen wieder aufatmen.

Operation Mongoose

Die Entwicklungen, die zur akuten Krise führten, hatten mehr als ein Jahr zuvor begonnen. Nach der missglückten Invasion durch CIA-Söldner im April 1961 in der Schweinebucht hatte Washington zunächst auf Sanktionen gesetzt, um die Revolutionsregierung in Kuba zu stürzen. Da die Wirtschaftsblockade infolge des kubanischen Ausbaus der Beziehungen zur Sowjetunion und den sozialistischen Ländern Osteuropas nicht die beabsichtigte Wirkung erzielte, bereiteten die USA eine Intervention mit eigenen Truppen vor. Das Drehbuch dafür war bereits seit November 1961 in einem Programm mit dem exotischen Namen »Operation Mongoose« entworfen worden. Unter der Aufsicht des Justizministers und Präsidentenbruders Robert Kennedy wurde es zum größten Unternehmen, das US-Geheimdienste bis dahin durchgeführt hatten. Ende 1961 richteten mehr als 600 CIA-Agenten eine Kommandozentrale auf dem Campus der Universität von Miami ein, von wo aus Sabotage- und Terroreinsätze koordiniert und Pläne zur ökonomischen Destabilisierung der Insel umgesetzt wurden. Das letztendliche Ziel der »Operation Mongoose« bestand darin, in Kuba ein Chaos aus Hunger, Not und Gewalt anzurichten, um einen anschließenden US-Militäreinsatz zu rechtfertigen. Sollte diese Situation nicht erreicht werden, empfahlen die Verantwortlichen, einen Kriegsgrund vorzutäuschen und die US-Truppen in Marsch zu setzen. Die Richtlinien für den Einmarsch mit Namen wie »ORTSAC« (Castro in umgekehrter Richtung) wurden im Weißen Haus ständig aktualisiert. Präsident Kennedy wünschte, dass nach seinem Einsatzbefehl die Landung auf Kuba innerhalb von drei Tagen durchgeführt werden konnte. Nikita Chruschtschow hatte bereits während der Kämpfe in der Schweinebucht erklärt, dass sein Land den Kubanern in einem derartigen Fall jede erforderliche Hilfe leisten werde, um eine Invasion zurückzuschlagen. Im Laufe des Jahres 1961 hatte der sowjetische Geheimdienst KGB dann zahlreiche Informationen über die konkrete Planung der USA erhalten, Kuba – diesmal mit ihrer Marine, der Luftwaffe und Bodentruppen – zu überfallen.

Im Mai 1962 wurde Chruschtschow bei einem Staatsbesuch in Bulgarien von der Stationierung US-amerikanischer Mittelstreckenraketen des Typs »Jupiter« in der Region Izmir (Türkei) unterrichtet. Die Raketen konnten mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden und hatten eine Reichweite von rund 2.400 Kilometern. Während die UdSSR das Gebiet der USA mit ihren Raketen nicht erreichen konnte, deckten die nunmehr in drei NATO-Staaten aufgestellten US-Mittelstreckenraketen einen großen Teil des sowjetischen Territoriums ab. Der Vorgang alarmierte den Ersten Sekretär der KPdSU, der erkannte, dass die USA keine Bedenken hatten, nukleare Waffen außerhalb des eigenen Territoriums bei Bündnispartnern in Stellung zu bringen. Noch im selben Monat stimmte der Verteidigungsrat der UdSSR dem Vorschlag zu, im Gegenzug zur US-Bedrohung und zum Schutz Kubas vor einer Invasion sowjetische Mittelstreckenraketen auf der Insel zu stationieren.

Moskau schickte den Oberbefehlshaber der Luftverteidigung und der Strategischen Raketentruppen, Marschall Sergei Semjonowitsch Birjusow, sowie das ZK-Mitglied Scharaf Raschidowitsch Raschidow nach Havanna. Sie informierten den Oberkommandierenden Fidel Castro und dessen Bruder, Verteidigungsminister Raúl Castro, über die Invasionspläne der USA und schlugen zur Abschreckung die Stationierung einer kleinen Anzahl von Mittelstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen vor. Die Kubaner zögerten. Sie wollten keine Atomwaffen in ihrem Land. »Ich gestehe, dass ich mich nicht besonders wohl bei dem Gedanken fühlte, solche Waffen in Kuba zu haben«, vertraute Castro seinem Biografen Ignacio Ramonet an. Er schlug Moskau vor, statt dessen eine Erklärung abzugeben, dass die Invasion Kubas als Angriff auf die Sowjetunion mit entsprechenden militärischen Konsequenzen betrachtet würde. Die USA, so Castros Kalkül, würden es nicht wagen, der UdSSR den Krieg zu erklären und damit den Beginn des dritten Weltkrieges zu riskieren.

Chruschtschow entgegnete, dass es töricht sei zu erwarten, die zweite US-Invasion würde ebenso schlecht geplant werden wie die erste. »Warnend wies ich darauf hin, dass Castro im Falle einer weiteren Invasion gegen Kuba vernichtet werden würde, und sagte, wir seien die einzigen, die verhindern könnten, dass sich eine solche Katastrophe ereignet«, schrieb er in seinen Memoiren. Sollten die USA einen Blitzkrieg gegen Kuba führen, so die Überlegung des Generalsekretärs, würden sowjetische Truppen zu spät auf der Insel eintreffen, um den Kubanern beistehen zu können. Fidel Castro beriet sich zunächst nur mit Raúl und Che Guevara, denen Chruschtschows Argumente einleuchteten. Alle drei kamen schließlich zu dem Ergebnis, ihr Land im Ernstfall nur mit Hilfe der UdSSR und des sozialistischen Lagers gegen die Aggressionspläne der USA verteidigen zu können. Auch die Nationale Leitung der Revolution stimmte dem Vorschlag zu und gab grünes Licht für »Anadyr«, die größte Militäroperation der UdSSR im Kalten Krieg.

Sofort wurde mit dem Bau der Anlagen für Trägerraketen, Sprengköpfe und Flugzeuge begonnen. Auf Einladung des sowjetischen Verteidigungsministers Rodion Malinowski reiste Raúl Castro am 2. Juni 1962 zu zweiwöchigen Beratungen nach Moskau und unterzeichnete mehrere Beistandsverträge. Bis zum Herbst war jedoch noch keine einzige Mittelstreckenrakete in der Karibik angekommen. Während Fidel Castro den Plan zur Stationierung der Raketen auf Kuba am liebsten sogleich öffentlich machen wollte, war es Chruschtschows ausdrücklicher Wunsch, damit zu warten. Die USA, so ließ er ausrichten, sollten die Raketen auf Kuba möglichst erst entdecken, wenn sie einsatzbereit seien. Dann wolle er ihre Stationierung persönlich vor den Vereinten Nationen in New York begründen.

Militärs auf Eskalationskurs

Als ein U2-Spionageflugzeug der USA am 15. Oktober 1962 die Installationen auf der Insel entdeckte, Kennedy die US-Streitkräfte weltweit in Alarmbereitschaft versetzte und am 16. Oktober eine totale Seeblockade verhängte, stand die Welt am Rande eines Krieges. In Florida wartete eine 150.000 Mann starke US-Invasionsarmee auf ihren Einsatzbefehl. Eine vom US-Präsidenten berufene »Beratungsgruppe« mit der Bezeichnung »Executive Committee of the National Security Council« (ExComm) diskutierte drei Alternativen: Luftangriffe mit anschließender Invasion, Verhängung einer Blockade oder diplomatische Schritte. Am 18. Oktober empfing der US-Präsident den ­sowjetischen Außenminister Andrej Gromyko zu einem seit langem geplanten Besuch in Washington. Im Laufe der Unterhaltung betonte Gromyko, die von der UdSSR an Kuba gelieferten Waffen seien keineswegs offensiver, sondern lediglich defensiver Natur. Kennedy versicherte dem Gast, dass die USA keine Invasion Kubas beabsichtigten. Am folgenden Tag traf er die Oberkommandierenden der Streitkräfte, die ihm einen schweren Luftangriff auf Kuba vorschlugen. Kennedys Hinweise auf eventuelle Reaktionen der UdSSR in Berlin und die Folgen eines möglichen Nuklearkrieges für die USA beeindruckten die Chefs der Streitkräfte nicht. Sie bestanden auf einer militärischen Lösung. Ihre starre Haltung führte dazu, dass der Präsident ein weiteres Treffen mit ihnen während der Krise als »überflüssig« ablehnte.

Am 22. Oktober beschloss die ExComm-Gruppe die strenge Kontrolle aller Schiffe, um den Transport von Waffen nach Kuba zu verhindern. Präsident Kennedy ordnete gleichzeitig an, die Einsatzbereitschaft (defense readiness condition, DEFCON) der nuklearen Streitkräfte auf Stufe 3 von 5 anzuheben, um »die Entschlossenheit der USA« zu signalisieren. In einer Fernsehansprache drohte er noch am selben Tag mit einem Atomkrieg, falls die Raketen nicht wieder abgezogen werden sollten. Während der konservative britische Premierminister Harold Macmillan und andere ausländische Politiker zur Behutsamkeit mahnten und darauf hinwiesen, dass eine Seeblockade völkerrechtlich als »kriegerischer Akt« gelte, forderte der westdeutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Bombardierung und Invasion Kubas. Der US-Präsident folgte den Argumenten der Besonnenen, vermied die Eskalation und verwendete anstelle des Begriffs »Blockade« das Wort »Quarantäne«. Moskaus Botschafter Anatoli Dobrynin erhielt vorab den Text der Rede, in der Kennedy die Entscheidung ankündigte.

Trotz der Kontakte im Hintergrund donnerten seit dem 25. Oktober ununterbrochen US-Kampfjets über die Insel. Die Piloten simulierten Bombenangriffe auf die Raketenstellungen; sie näherten sich im Sturzflug, fingen ihre Maschinen in knapp 200 Meter Höhe ab und steuerten imaginäre Ziele über den Baumkronen an. Man praktizierte den Psychokrieg. Fidel Castro behielt die Nerven, ließ jedoch Kampfalarm auslösen. 300.000 kubanische Soldaten und Milizionäre wurden an die Waffen gerufen. Beim Kommandeur der sowjetischen Truppen in Kuba, Issa Plijew, erzielten die Scheinangriffe der US-Bomber dagegen die beabsichtigte Wirkung. Er meldete nach Moskau, dass die Raketenbasen binnen 24 Stunden attackiert würden. Am 26. Oktober erklärte Chruschtschow sich gegenüber Kennedy bereit, die Raketen im Fall einer offiziellen Verzichtserklärung der USA auf eine Invasion Kubas abzuziehen. Einen Tag später sagte der KPdSU-Generalsekretär zu, die Anlagen in Kuba zu demontieren, wenn die USA die »Jupiter« aus der Türkei abzögen.

Sozialismus gerettet

Als am Nachmittag desselben Tages beim Abschuss einer U2 über Kuba der US-Pilot des Spionageflugzeugs ums Leben kam, fürchteten die beiden Staatsmänner, dass eine weitere Eskalation zum Dritten Weltkrieg führen könne. Kennedy entschloss sich, Chruschtschows Bedingungen für den Raketenabzug anzunehmen. Nach dem Austausch mehrerer Depeschen vereinbarten die beiden Regierungschefs am 28. Oktober den Abbau der Raketenanlagen in Kuba. Im Gegenzug stimmten die USA zu, ihre Jupiter-Atomraketen aus der Türkei abzuziehen. Kennedy erklärte zudem verbindlich, dass die USA Kuba nicht militärisch angreifen würden. Chruschtschow verkaufte das als Erfolg, relativierte die ursprüngliche Euphorie später jedoch. »So hatten wir die Existenz eines sozialistischen Kubas zumindest für weitere zwei Jahre gesichert, auf jeden Fall, solange Kennedy im Weißen Haus saß. Und wir hatten Grund zu der Annahme, dass der Präsident für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wird«, schrieb er in seinen Memoiren.

Kennedy hatte die Präsidentschaftswahl 1960 mit einem Bekenntnis zu militärischer Stärke und dem Versprechen gewonnen, der angeblichen militärischen Übermacht der Sowjetunion etwas entgegenzusetzen. Obwohl in Wahrheit die USA einen Vorsprung hatten und über rund 17mal so viele Atomwaffen wie die UdSSR verfügten, verdoppelte Kennedy die Rüstungsausgaben, um die militärische Überlegenheit auf Jahre hinaus festzuschreiben. Chruschtschow musste den USA in dieser Situation Paroli bieten. Bei seinem ersten Gespräch mit dem US-Präsidenten im Juni 1961 in Wien soll der Kreml-Chef Kennedy rhetorisch gefragt haben, was wohl die USA davon hielten, wenn an ihrer Türschwelle sowjetische Raketen stationiert würden. Als das gut ein Jahr später tatsächlich erfolgte, fürchtete Kennedy – kurz vor den Zwischenwahlen, bei denen die Abgeordneten des Repräsentantenhauses und ein Drittel der US-Senatoren gewählt wurden – auch um die Glaubwürdigkeit der USA als entschlossene und durchsetzungsfähige Großmacht. Doch entgegen aller Warnungen der Falken, dass eine diplomatische Lösung der Raketenkrise zum Machtverlust der Demokratischen Partei im Repräsentantenhaus führen würde, konnten die Demokraten bei den Wahlen am 6. November 1962 ihre absolute Mehrheit mit 260 Mandaten klar behaupten.

Vollendete Tatsachen

Die kubanische Regierung erfuhr von der Vereinbarung zwischen Kennedy und Chruschtschow erst am 28. Oktober aus den Nachrichten von Radio Moskau. Während sie vor der Stationierung in zahlreichen Gesprächen monatelang von der sowjetischen Führung gedrängt worden waren, den Raketen auf ihrem Territorium zuzustimmen, waren sie vor deren Abzug nicht einmal konsultiert worden, sondern wurden vor vollendete Tatsachen gestellt. Fidel Castro befand sich in einer schwierigen Situation. Da er den USA – trotz der Zusage Kennedys – nicht traute und mit einer Fortsetzung terroristischer Aktionen rechnete, war er auf den Bündnispartner UdSSR weiter angewiesen. Andererseits wollte Castro die Verletzung der Unabhängigkeit und Souveränität seines Landes durch den Führer der Sowjetunion nicht hinnehmen. Er warf Chruschtschow vor, mit den USA hinter dem Rücken der Kubaner verhandelt zu haben. »Wir waren nicht gegen irgendeine Lösung, denn es war vorrangig, einen nuklearen Konflikt zu vermeiden. Aber Chruschtschow hätte den US-Amerikanern sagen müssen: ›Man muss das auch mit den Kubanern besprechen.‹ Es mangelte ihm in diesem Augenblick an Besonnenheit und Standhaftigkeit, grundsätzlich hätten sie uns konsultieren müssen«, erklärte Castro. Wäre sein Land einbezogen worden, wäre das Abkommen zur Beilegung der Krise für Kuba vorteilhafter ausgefallen, argumentierte der Revolutionsführer. Aus Sicht der kubanischen Regierung hätten zur Vermeidung künftiger Aggressionen fünf Konfliktpunkte geklärt werden müssen. Unter anderem hätte über die Rückgabe des von US-Militärs besetzten Gebietes in der Bucht von Guantánamo, die Beendigung der Wirtschaftsblockade, die Aufgabe der US-Spionageflüge und die Einstellung der Finanzierung terroristischer Angriffe verhandelt werden müssen, heißt es in einem Fünf-Punkte-Papier Havannas.

Obwohl die Verhandlungen zwischen Chruschtschow und Kennedy geheim waren, hatte Castro Tage vor der Vereinbarung vage Hinweise erhalten, dass die Sowjetunion einen Abzug der Raketen vorschlagen könnte. Am 26. Oktober warnte er deshalb in einem Brief: Sollte es dazu kommen, »dass die Imperialisten Kuba mit dem Ziel überfallen, das Land zu besetzen, dann ist die Gefahr, die von dieser aggressiven Politik für die Menschheit ausgeht, so groß, dass die Sowjetunion niemals Umstände zulassen darf, unter denen die Vereinigten Staaten einen nuklearen Erstschlag gegen sie ausführen können«. Chruschtschow war über den Brief offenbar verärgert. Am 30. Oktober setzte er in einem langen Schreiben an Castro ein Gerücht in die Welt, dass sich – trotz sofortiger Dementis – bis heute hält. »In ihrem Telegramm vom 27. Oktober schlugen Sie uns einen atomaren Erstschlag vor«, schrieb der Moskauer Regierungschef, das Datum verwechselnd. »Sie wissen ja sicher, was das bedeuten würde. Es wäre kein einfacher Schlag, sondern der Beginn eines nuklearen Weltkrieges«. Castro antwortete: »Ich weiß nicht, welche Nachrichten Sie erhalten haben; ich selbst habe ihnen nur die Nachricht vom 26. Oktober geschickt. Darin habe Ihnen nicht vorgeschlagen, Genosse Chruschtschow, dass die Sowjetunion angreifen soll, denn das wäre inkorrekt, unmoralisch und niederträchtig von mir, sondern dass, wenn die Imperialisten Kuba angreifen und sich durch diese Tatsache – da Streitkräfte der UdSSR in Kuba dazu bestimmt sind, unsere Verteidigung im Fall eines Angriffs von außen zu unterstützen – in Aggressoren gegen Kuba und gegen die UdSSR verwandeln würden, ihnen mit einem Gegenschlag geantwortet werden müsse«. Obwohl Castro mehrfach darauf hinwies, niemals gefordert zu haben, »dass die UdSSR inmitten einer Krise angreifen solle«, hält sich die Behauptung, er habe Chruschtschow zum Atomkrieg gedrängt.

Souveränität missachtet

Die Regierung in Havanna sah in den Absprachen zur Lösung der Krise, die ohne ihre Beteiligung erfolgt waren, eine Missachtung der gegen Spanien und die USA erkämpften kubanischen Souveränität. »Unsere Beziehungen zur Sowjetunion verschlechterten sich. Das nahm über Jahre Einfluss auf unsere Zusammenarbeit«, erinnerte sich Fidel Castro im Gespräch mit Ramonet. Auch Chruschtschow fürchtete, dass die Kubaner das Vertrauen in Moskaus Bündnistreue verloren hatten. »Castro empfing nicht einmal mehr unseren Botschafter«, klagte er. Der Kreml-Chef schickte seinen mit Raúl Castro und Che Guevara gut bekannten Stellvertreter Anastas Mikojan als Unterhändler nach Havanna, um die Wogen zu glätten. Mikojan sprach dort erst einmal eine Einladung aus. Vom 27. April bis zum 3. Juni 1963 hielt Fidel Castro sich zu seinem – ungewöhnlich langen – ersten Staatsbesuch in Moskau auf. Während der Maiparade stand er neben Chruschtschow an der Kremlmauer, wurde mit dem Titel »Held der Sowjetunion« und als erster Ausländer mit dem Lenin-Orden ausgezeichnet. Der Kreml versicherte dem Revolutionsführer, dass die UdSSR Kuba auch nach dem Abzug der Raketen gegen jeden militärischen Angriff verteidigen würde.

US-Präsident John F. Kennedy erklärte – nach den für seine Partei erfolgreichen Zwischenwahlen – am 17. Dezember 1962 in einem Fernsehinterview, die Raketenkrise habe die Welt »an einen Wendepunkt« gebracht. Sein damaliger Verteidigungsminister Robert McNamara zog aus den Erfahrungen der 13 Tage, an denen die Menschheit an der Schwelle zum Atomkrieg stand, den Schluss, dass nukleare Krisen im Vorfeld vermieden werden müssten, um die damit verbundenen Gefahren zu minimieren. Auch in der BRD, deren rechtskonservative Regierung die USA zu einer härteren Haltung gedrängt hatte, wurden nachdenkliche Stimmen lauter. So schrieb der Politologe und CDU-Mitbegründer Otto Heinrich von der Gablentz Ende November 1962 in einem Beitrag für die Wochenzeitung Die Zeit, er hoffe, dass »jetzt das große Gespräch zustande kommt, wo beide Parteien sehen, dass sie den anderen ohne Atomkrieg nicht wesentlich schwächen können«.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf
junge Welt, 14.10.2022