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Der nächste schwere Schlag

Kuba: Hurrikan »Ian« verschärft Versorgungs- und Energiekrise. Hilfe aus Lateinamerika, Hetze aus Washington.


Hintergrund: Proteste in Kuba

Nach dem durch Hurrikan »Ian« verursachten Zusammenbruch der Stromversorgung gingen Bürger in Havanna und anderen Orten auf die Straße. Mit den Protesten würden die Demonstranten bloß »die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse fordern«, unterstützte US-Außenminister Antony Blinken umgehend die teils gewalttätigen Aktionen. Das von seinem Ministerium finanzierte Contraportal 14 y medio erklärte parallel dazu: »Denkt daran: Die Blockade kommt von der Kommunistischen Partei. Es gibt keinen Strom, kein Öl, keine Lebensmittel, aber es gibt Mittel zur Unterdrückung.« Und Marco Rubio, der ultrarechte US-Senator aus Florida, formulierte, worum es US-Politikern und ihren Anhängern wirklich geht. »Die Menschen sind auf der Straße. Natürlich ist ihnen der Mangel an Strom unangenehm, aber noch unangenehmer ist ihnen der Mangel an Freiheit.«

Westliche Medien griffen den Ball sofort auf. »Stromausfälle schüren Wut auf Kubas Regierung«, überschrieb Spiegel Online einen Bericht über die Auswirkungen des Hurrikans. In einigen Stadtteilen hatten einzelne Demonstranten tatsächlich Kreuzungen blockiert, warfen mit Steinen und behinderten den Verkehr ebenso wie Reparaturbrigaden, die die Stromversorgung wieder herstellen wollten. Es sei verständlich, dass es Verärgerung über den Mangel an Strom gebe, und die Menschen hätten das Recht, friedlich zu protestieren, erklärte Havannas KP-Sekretär Luis Antonio Torres Iríbar in der Parteizeitung Tribuna de la Habana. »Aber niemand hat das Recht, zur Gewalt aufzurufen.« Während die vom US-Dienst NED finanzierte und in Madrid von Systemgegnern publizierte Onlinezeitung Diario de Cuba am Freitag vergangener Woche jubelte: »Der Bruch zwischen dem Regime und dem Volk wird immer größer, die Bedingungen sind reif für einen totalen Zusammenbruch«, blieben Ausschreitungen wie am 11. Juli 2021 aus.

In der Bevölkerung fanden die US-freundlichen Gewalttäter keine Unterstützung. Bereits vor 60 Jahren hätte die US-Regierung die Blockade verhängt, weil sie erkannte, dass »das Einzige, was Fidel zu Fall bringen würde, der Krieg der Verzweiflung sei«, schrieb der ehemalige Koordinator des Proyecto Tamara Bunke, Julián Gutiérrez Alonso, im Blog »La pupila insomne«. »Damals war es für viele Kubaner, die keinen Strom kannten, kein Problem, eine Woche ohne Elektrizität zu sein. Deshalb gelang es nicht, das kubanische Volk davon zu überzeugen, dass die Revolution ihm Not, Hunger und Mangel bringen würde«, erinnerte der Autor. Heute habe sich die Situation geändert, und wenn wir drei Tage ohne Strom sind, ist der »Krieg der Verzweiflung« für diejenigen nützlicher, die uns zum alten System zurückbringen wollen«, in der ein Großteil der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Strom und sauberem Wasser gehabt habe. (vh)

Zwei Wochen nach Durchzug des Tropensturms »Ian« im Westen der Insel steht Kuba vor einer humanitären Krise. Der Hurrikan hat Versorgungsmängel und Energieknappheit weiter verschärft. Während mehrere lateinamerikanische Länder und befreundete Staaten wie China, Vietnam und Russland die Bevölkerung mit Medikamenten, Lebensmitteln, Sachspenden und Experten unterstützen, setzen die USA auf eine Zuspitzung der Situation. US-Außenminister Antony Blinken versicherte Anfang vergangener Woche, dass Washington Kuba nicht von der Liste der Länder, die zum Terrorismus anstiften, streichen will. Am Donnerstag meldete das staatliche US-Propagandaportal Martí Noticias dann, dass Blinken auf der Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Lima seine Unterstützung auch für gewaltbereite Systemgegner erklärte, die mit Straßenprotesten, wie er sagte, »von ihrer Regierung die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse fordern«.


Das klingt zynisch in einem Jahr, in dem das Land mit gleich mehreren Katastrophen konfrontiert war. Natürlich weiß auch Blinken, dass die Regierung in Havanna weder für die Folgen der seit über 60 Jahren aufrechterhaltenen US-Blockade noch für die Auswirkungen von Naturkatastrophen verantwortlich ist. Am Freitag meldete die Nachrichtenagentur Prensa Latina, durch Wirbelsturm »Ian« seien allein in der Provinz Pinar del Río 8.439 Häuser oder Wohnungen zerstört und rund 76.000 Gebäude beschädigt worden. Landesweit sind die Schäden noch größer. Durch den Zusammenbruch des Stromnetzes war die Versorgung im ganzen Land bis zu 24 Stunden, in einigen Gebieten sogar bis zu fünf Tagen ausgefallen. Die Folgen sind katastrophal, da auf Grund des Ausfalls von Kühlsystemen ein großer Teil der privaten Vorräte und derjenigen Ernten verdorben sind, die nicht schon durch den Sturm vernichtet worden waren.


Wegen der schweren Verwüstungen, die »Ian« in der Landwirtschaft anrichtete, hat die Nahrungsmittelproduktion erneute Rückschläge erlitten. Bereits im Juni hatte »Alex«, der erste atlantische Tropensturm der diesjährigen Saison, im Westen Kubas zahlreiche Stromleitungen beschädigt, Gebäude zerstört und über 4.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzflächen unter Wasser gesetzt. Obwohl die Regierung alle verfügbaren Mittel zur Beseitigung von Notlagen mobilisierte, gibt es noch keine Entwarnung. Die atlantische Hurrikansaison dauert noch bis zum 30. November, und – was schwerer wiegt – die US-Blockade hindert Kuba daran, das nötige Material für den Wiederaufbau von Schulen, Wohngebäuden und Krankenstationen, zur Instandsetzung von Straßen und Brücken sowie Ersatz für die vernichteten Agrarprodukte zu erwerben.


Die Auswirkungen des letzten Wirbelsturms sind – nach der Coronapandemie und den verschärften US-Sanktionen – der dritte schwere Schlag für die sozialistische Inselrepublik in diesem Jahr. Am Vormittag des 6. Mai hatte die Explosion eines Gastanks große Teile des Luxushotels »Saratoga« in der Altstadt von Havanna zerstört. Die Explosion riss die Fassade weg, auch weitere Gebäude in der Umgebung sowie ein Theater, eine Schule und eine Kirche wurden beschädigt. Bei dem Unglück verloren 46 Menschen, darunter mehrere Minderjährige und eine schwangere Frau, ihr Leben, fast 100 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.



Als einer der ersten ausländischen Staats- und Regierungschefs hatte Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador den Ort des Unglücks in Havanna besucht. Nur drei Monate nach dem Gasunglück schlug am 5. August der Blitz in eines der wichtigsten Rohöllager Kubas in der rund 100 Kilometer östlich von Havanna gelegenen Hafenstadt Matanzas ein. Das Feuer griff auf vier von insgesamt acht Tanks des Treibstofflagers über. Die Anwohner nahegelegener Wohngebiete waren rechtzeitig evakuiert worden, allerdings starben bei den Löscharbeiten 16 Menschen, mehr als 120 wurden verletzt. Der Großbrand führte in einer bereits angespannten Energielage zum Verlust von Millionen Litern Rohöl und Dieselkraftstoff.

Das Unglück traf Kuba in einer besonders schwierigen Lage. Die US-Blockade und westliche Sanktionen gegen Venezuela und Russland hatten die Wirtschaftskrise und die Probleme bei der Energieversorgung verschärft. Seit Jahren versuchen die USA Treibstofflieferungen nach Kuba zu unterbinden. Tanker aus Venezuela werden blockiert und ausländischen Reedereien mit Sanktionen bedroht, falls sie Rohöl auf die Insel transportieren. Auch deshalb sind Stromabschaltungen seit Monaten an der Tagesordnung.

Während Präsident Miguel Díaz-Canel den Regierungen Mexikos, Venezuelas, Nicaraguas, Argentiniens und Chiles sowie Russlands und Chinas für ihre solidarische Hilfe in der schwierigen Lage des Landes nach den Katastrophen dankte, warf Außenminister Bruno Rodríguez Washington am Wochenende vor, dass die am vergangenen Donnerstag beendete einwöchige Lateinamerika-Tour seines Amtskollegen Blinken auch das Ziel verfolgt habe, »die feindliche Politik der USA gegenüber Kuba zu legitimieren und fortzusetzen«.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf
junge Welt, 11.10.2022