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Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Das Volk als Souverän

Kubanisches Demokratiemodell für »die große rechtlose Masse« im Angesicht der US-Blockade.

Westliche Politiker und Medien bezeichnen Kuba gern als Diktatur. Angebliche Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen werden von den USA bis heute auch angeführt, um die seit mehr als 60 Jahren bestehende Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade zu rechtfertigen. Dabei waren die ersten US-Sanktionen nach dem Sieg der von Fidel Castro angeführten Rebellenarmee mit der Zustimmung des Volkes zur Revolution begründet worden.

»Die Mehrheit der Kubaner unterstützt Castro. Das einzige Mittel, um ihm interne Unterstützung zu nehmen, besteht darin, durch Enttäuschung und Unzufriedenheit aufgrund wirtschaftlicher Mängel und Elends das Wirtschaftsleben zu schwächen und Kuba Geld und Versorgung zu rauben, um Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung hervorzurufen«, hieß es in einem Memorandum des US-Staatssekretärs Lester Mallory vom 6. April 1960. Als Beginn der umfassenden Blockade gilt der 7. Februar 1962. An diesem Tag untersagte Präsident John F. Kennedy - als Reaktion auf die Verstaatlichung von US-Unternehmen - sämtliche Handelsbeziehungen zu Kuba. Mit dem 1996 unter Präsident William Clinton verabschiedeten Helms-Burton-Gesetz wurde »Kubas Rückkehr zur Demokratie« als Begründung für die extraterritoriale Ausweitung der Blockade hinzugefügt. In einer Art Präambel heißt es, die USA wollten mit diesem Gesetz »das kubanische Volk bei der Wiedererlangung seiner Freiheit« unterstützen und ihm dabei helfen, sich in die »Gemeinschaft der demokratischen Länder« einzureihen, die »in der westlichen Hemisphäre« existierten. Obwohl die Europäische Union die extraterritorialen Bestimmungen als »Verletzung des Völkerrechts« verurteilte, antwortete die Regierung in Berlin im Dezember 1996 auf eine kleine Anfrage der PDS (heute Die Linke): »Im Hinblick auf das Ziel der Demokratisierung Kubas sieht sich die Bundesregierung in voller Übereinstimmung mit den USA.«

Demokratie und Menschenrechte in Kuba sind für die USA, die BRD und andere westliche Länder allerdings erst ein Thema, seit Fidel Castro die Kubanische Revolution im April 1962 angesichts der von Washington unterstützten Söldnerinvasion in der Schweinebucht zu einer sozialistischen erklärt hatte. Der im März 1952 mit einem Militärputsch an die Macht gelangte Diktator Fulgencio Batista, unter dessen Herrschaft rund 20.000 Oppositionelle ermordet wurden, war von Washington zuvor großzügig mit Geld und Waffen unterstützt worden. Die BRD zeichnete den Schlächter 1957 sogar mit der »Sonderstufe des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland«, dem höchsten Orden des Landes, aus.

Während Washington und Bonn den Diktator hofierten, distanzierte sich der von diesem 1953 ins Gefängnis gesteckte junge Anwalt Fidel Castro zunehmend vom westlichen Demokratiebegriff. Als Schüler sei er von der »Demokratie in Athen« begeistert gewesen, »wo das Volk sich auf dem Marktplatz versammelte, um die politischen Entscheidungen zu diskutieren«, erzählte Castro dem Befreiungstheologen Frei Betto. »Später wurde mir bewusst, dass sich auf dem Marktplatz nur eine unbedeutende Minderheit von Bürgern versammelte.« In Kuba solle dagegen künftig das Volk bestimmen. »Unter Volk verstehen wir die große rechtlose Masse, der alle Versprechungen machen und die doch alle betrügen und verraten«, skizzierte der damalige Präsident das kubanische Demokratieverständnis.

»In der Republik Kuba liegt die Souveränität unübertragbar beim Volk, von dem sich die gesamte Staatsgewalt ableitet. Das Volk übt sie direkt oder über die Volksversammlungen (Asambleas del Poder Popular) und andere von ihnen abgeleitete Staatsorgane aus«, heißt es in Artikel 3 der 2019 in einem Referendum mit 86,8 Prozent der Stimmen angenommenen Verfassung. Das Wahlgesetz garantiert »allgemeine, freie und geheime Wahlen« zu den Parlamenten (Asambleas) der Kommunen, Provinzen und auf Landesebene. Teilnahme und Mandat sind in Kuba jedoch nicht von der Mitgliedschaft in einer Partei abhängig. Die Kandidaten stellen sich in Wahlbezirken vor und werden direkt gewählt. Abgeordnete sind dann ihren Wählern zur Rechenschaft verpflichtet und können von diesen - auch zwischen den Wahlterminen - wieder abgesetzt werden. Entgegen einer von westlichen Medien oft aufgestellten Behauptung darf sich die Kommunistische Partei Kubas gemäß Wahlgesetz nicht an der Kandidatenaufstellung beteiligen. Die Nominierung erfolgt in Nachbarschafts- oder Betriebsversammlungen, durch die Gewerkschaften, die Organisationen der Frauen und der Jugend oder andere Verbände der Zivilgesellschaft. Zu den Neuerungen in der Verfassung, deren Umsetzung 2019 im neuen Wahlgesetz geregelt wurde, gehört unter anderem die Begrenzung der Amtszeit auf zweimal fünf Jahre für politische Führungspositionen.

Anders als in westlichen Demokratien werden wichtige politische Entscheidungen in Kuba vor der Beschlussfassung des Parlaments in Versammlungen landesweit zur Diskussion gestellt und können von den Bürgern beeinflusst und verändert werden. So waren die 2011 verabschiedeten »Leitlinien« zur Aktualisierung des Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells zuvor auf mehr als 163.000 Versammlungen in Betrieben und Stadtteilen diskutiert worden. Der im Juli 2018 veröffentlichte Entwurf zur neuen Verfassung war bis zum Referendum im Februar 2019 Gegenstand einer breiten Volksaussprache, bei der mehr als 60 Prozent des ursprünglichen Textes verändert wurden. Schließlich waren 134 der 224 Artikel des ersten Entwurfs modifiziert und fünf neue hinzugefügt worden. Derzeit finden überall im Land Nachbarschaftsversammlungen statt, auf denen der Entwurf für ein neues Familiengesetz diskutiert wird, über das voraussichtlich im Herbst in einem Referendum abgestimmt werden soll.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf
junge Welt, junge Welt, 20.07.2022