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Washington scheiterte auf dem 9. Amerika-Gipfel
Drei Tage währte der 9. Amerika-Gipfel in Los Angeles. Am 8. Juni 2022 hielt der Präsident der USA Joe Biden die Eröffnungsrede. Seine Botschaft: "Demokratie ist ein Kennzeichen unserer Region." Er beklagte, dass die Demokratie in der ganzen Welt angegriffen werde, wo sie doch ein wesentlicher Bestandteil der Zukunft Amerikas sei.
Einige Regierungen Lateinamerikas wollen nicht mehr hinhören, wenn das Imperium aus dem Norden ihnen die westlichen Werte vorbetet. Sie haben die bittere Erfahrung gemacht, dass es Washington nicht um Demokratie, sondern um Rohstoffe geht, über die Lateinamerika reichlich verfügt und die weltweit knapp werden. Nicaraguas Präsident Daniel Ortega hatte bereits vor dem Gipfel reagiert: "Yankees, lasst uns doch einfach in Ruhe."
Eigentlich bevorzugte der Gastgeber drei Themenkomplexe: Umgang mit Kuba, Venezuela und Nicaragua; Migrationsbewegungen aus dem Süden in Richtung USA; Sanktionen gegen Russland. Außerdem sollte über den Klimawandel, die Folgen der Pandemie und die Digitalisierung gesprochen werden. Bereits vor dem Gipfel protestierten zahlreiche Staatschefs gegen den Ausschluss Kubas, Nicaraguas und Venezuelas und kündigten an, nicht am Gipfel teilzunehmen, wenn deren Präsidenten nicht eingeladen würden.
Präsident Joe Biden schickte zwar noch seine Leute auf Reisen, um die eine oder den anderen für die Teilnahme zu gewinnen. Es nutzte nichts: Die Präsidenten Mexikos, Guatemalas, El Salvadors, Honduras, Boliviens, Uruguays und mehrerer Länder des karibischen Marktes CARICOM erschienen nicht zum Gipfel und schickten Vertreter.
Die Absage des mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO), am Gipfel teilzunehmen, war eine schwere Niederlage für Washington. Sie muss aber in Mexiko gut angekommen sein. Bei den Gouvernements-Wahlen, die kurz zuvor stattfanden, gewann die Partei AMLOs vier der sechs Gouvernements. Mexikos Außenminister Marcelo Ebrard sagte auf dem Gipfel, dass dieser nicht darüber befinden könne, wie mit Kuba, Nicaragua und Venezuela umzugehen sei, sondern darüber, dass endlich die unmenschliche US-Blockade gegen Kuba aufgehoben werden müsse. Ebrard schlug vor, die OAS neu zu gründen. Sie habe auf der ganzen Linie versagt. Während der Pandemie des Covid 19 gab sie keine gute Figur ab. Die OAS spielte 2019 eine schäbige Rolle beim Staatsstreich nach den demokratischen Wahlen in Bolivien. Mexiko erwarte vom Weißen Haus einen anderen Politikstil in der Gestaltung der Beziehungen der USA in der Region.
Auch der argentinische Präsident Alberto Fernández hatte erklärt, dem Gipfel fernzubleiben, wenn Kuba, Nicaragua und Venezuela nicht eingeladen würden. Die Präsidenten Mexikos und Venezuelas überzeugten ihn jedoch, zum Gipfel zu reisen, um die Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) zu vertreten, deren turnusmäßige Präsidentschaft Argentinien innehat. Fernandez erfüllte die Bitte mit Bravour. "Wir hätten uns definitiv einen anderen Gipfel gewünscht… Die Tatsache, dass ein Land Gastgeber des Gipfels ist, gibt ihm nicht das Zulassungsrecht über die Mitgliedsländer des Kontinents", erklärte er. Und weiter: "Lateinamerika blickt mit Schmerz auf die Leiden, die unsere Bruderländer erdulden müssen. Kuba leidet unter einer 60jährigen grausamen Blockade und Venezuela muss die nächste ertragen." In Bezug auf CELAC sagte er, dass dort ein Weg für Lateinamerika festgelegt sei, auf dem es keinen Druck und keine Erpressung gäbe. "Niemand wird ausgeschlossen, um diesen gemeinsamen Weg mitzugehen. Wir bauen ihn im Kampf, mit Freude und Liebe." Er schloss: "Mister Präsident Biden, ich bin hier, um Brücken zu bauen und Mauern niederzureißen. Als Präsident von CELAC lade ich Sie ein, an unserer nächsten Vollversammlung teilzunehmen."
Zwei Tage vor Eröffnung des Gipfels brachen von Mexiko aus Tausende Flüchtlinge in Richtung Norden auf. Das war eine Reaktion auf eine Erklärung zur Migration, welche die USA-Regierung für den Gipfel vorbereitet hatte. Sie sah vor, die Länder Lateinamerikas zu verpflichten, die illegale Migration in die USA zu bremsen. Nun nahmen aber ausgerechnet die Länder, aus denen ein beachtlicher Teil der Menschen kommt, die wegen Gewalt und Armut ihre Heimat verlassen und auf ein besseres Leben im "gelobten Land" hoffen, nicht teil. Zwanzig Staatschefs unterschieben die "Deklaration von Los Angeles". Dieses magere Ergebnis gilt als der größte Erfolg des Amerika-Gipfels.
Die Absicht des Gastgebers, die Teilnehmer für seine Sanktionspolitik gegen die Russische Föderation zu gewinnen, schlug fehl. Mehrere Teilnehmer kritisierten die Sanktionen. Der argentinische Präsident Alberto Fernandez hatte bereits vor dem Gipfel erklärt, dass auf dem amerikanischen Kontinent dadurch die Ernährungssicherheit der Menschen gefährdet ist.
Gewerkschaften, soziale und politische Organisationen eröffneten am 8. Juni in Los Angeles den Alternativ-Gipfel der Völker, der bis zum 10. Juni ging. Dort diskutierten die Teilnehmer die Themen Demokratie, Internationalismus, Zugang zu den Grunddienstleistungen, kulturelle Identität, Ernährungssicherheit und Klimagerechtigkeit. Im Plenum "Solidarität über die Grenzen hinaus" verurteilten die Teilnehmer die Sanktionen gegen Kuba, Nicaragua und Venezuela und forderten, sie sofort aufzuheben. Im Plenum "Kampf für Demokratie" konstatierten die Teilnehmer, dass der USA-Regierung die moralische Befugnis fehle, die Länder über Demokratie zu belehren. Der alternative Gipfel verabschiedete eine Erklärung, in der die Teilnehmer feststellten, dass ein Imperium, das die Hegemonie über die Welt aufrechterhalten wolle, die Menschheit und den Planeten gefährde. Der argentinische Journalist Carlos Aznares schrieb für teleSur: "Biden berief einen Gipfel der Freunde ein. Unter seinen Freunden befinden sich nicht nur einige Länder, die eine neoliberale Politik mittragen und den USA unterwürfig sind, sondern auch lokale Unternehmer und Politiker, die am Elend unserer Völker verdienen. Deshalb machen wir den Gipfel der Völker, um gemeinsam zu definieren, was heutzutage Kampf für Demokratie bedeutet: Nämlich eine Demokratie, die sich in Allem von der unterscheidet, die in den USA aktuell besteht."
Die Präsidenten Kubas und Venezuelas Miguel Díaz-Canel und Nicolás Maduro hatten das Scheitern Washingtons auf dem Gipfel vorausgesagt. Maduro reiste unterdessen in die Türkei, nach Algerien und in den Iran. Im Iran schloss er einen Vertrag der Zusammenarbeit für zwanzig Jahre ab. Das muss Präsident Biden wehtun.
Der Amerika-Gipfel machte deutlich, dass die USA nach jahrzehntelanger Vorherrschaft zunehmend an Einfluss in der Region verlieren. Die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) hatte in ihrem Bericht am 6. Juni veröffentlicht, dass in der Region die Inflation auf 8,1 Prozent, die Armut auf 33,7 Prozent und die extreme Armut auf 14,9 Prozent angestiegen sind. Das hält die Lateinamerikaner nicht bei Laune.
Die Volksrepublik China ist längst zum zuverlässigeren Geschäftspartner aufgestiegen. Bereits 21 Länder Lateinamerikas haben Abkommen über die Teilnahme am chinesischen Projekt der Neuen Seidenstraße abgeschlossen. Bisher ist es der Biden-Regierung nicht gelungen, Adäquates zu präsentieren, auch nicht auf dem Amerika-Gipfel. Reden über Demokratie, wie sie sich der Westen vorstellt, reichen eben nicht mehr aus.
Wolfgang Herrmann
Nueva Nicaragua - Informe, 01.07.2022