Nachrichten aus und über Kuba
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Inflation als Waffe
Hintergrund: Das Contra-Portal El Toque
Am vergangenen Mittwoch ermordeten Paramilitärs in der kolumbianischen Ortschaft El Basal drei Personen. Die Toten wiesen nach Angaben des Nachrichtensenders Telesur Anzeichen von Folter und Verbrennungen auf. Laut der kolumbianische Nichtregierungsorganisation Indepaz war es das 15. Massaker seit Anfang Januar. In diesem Jahr seien 17 soziale Anführer ermordet worden, seit Unterzeichnung des Friedensabkommens (2016) bereits 1.303, teilte die NGO mit. In den großen deutschsprachigen Medien war davon nichts zu lesen. Während diese über Hintergründe der politischen Morde, die Beteiligung von Militärs und Regierung, die Rolle der USA sowie die Massenproteste in Kolumbien nur selten berichten, steht Kuba permanent am Pranger. So hieß es im BRD-Auslandssender Deutsche Welle am 22. Januar über die ein halbes Jahr zurückliegenden Ausschreitungen vom 11. Juli in Kuba: »Das kommunistische Regime reagierte, wie man es in einer Diktatur erwartet: Es ließ die Proteste blutig niederschlagen.« Die aktuellen Massaker in Kolumbien erwähnte der deutschsprachige Dienst des Senders dagegen nicht.
Während diese Art der Berichterstattung hierzulande kaum hinterfragt wird, haben zwei Wissenschaftler der renommierten kalifornischen Stanford University die Art und Weise, wie US-Medien Vorgänge in Lateinamerika darstellen, genauer unter die Lupe genommen. In einer von der NGO NACLA (North American Congress on Latin America) im November veröffentlichten Analyse haben die Autoren Ergebnisse einer Untersuchung von 74 Beiträgen der Washington Post und der New York Times über die Proteste vom 11. Juli in Kuba und die zehn Wochen zuvor begonnen Unruhen in Kolumbien vorgestellt. »Beiden Zeitungen haben über die Proteste in Kuba weitaus negativer berichtet als über Kolumbien«, stellten Stanford-Assistenzprofessor Mikael Wolfe und Koautorin Jessica Femenias fest. Obwohl die Demonstrationen sich in beiden Ländern gegen ähnliche Missstände wie Armut und hohe Lebenshaltungskosten gerichtet hätten, dauerten die kolumbianischen Proteste länger und wurden härter niedergeschlagen als in Kuba, schickten sie voraus. »Die kolumbianische Polizei tötete nicht nur unverhältnismäßig viele Menschen, sondern verletzte die Demonstranten auch schwerer als ihre kubanischen Kollegen, indem sie beispielsweise Dutzenden von Demonstranten absichtlich in die Augen schoss«, gaben die Autoren zu bedenken. Trotzdem habe US-Präsident Joseph Biden zehn Wochen nach Niederschlagung der Proteste in Kolumbien »noch nicht einmal damit gedroht, einen Teil der für das Haushaltsjahr 2021 für Kolumbien vorgesehenen US-Hilfe in Höhe von 460 Millionen US-Dollar auszusetzen. Doch nur einen Tag nach dem 11. Juli verurteilte Biden nicht nur die kubanische Regierung, sondern verschärfte auch die Sanktionen gegen das Land.«
Die Berichterstattung der Zeitungen habe weitgehend Bidens außenpolitischer Agenda entsprochen. Erst fünf Tage nach Beginn der Proteste in Kolumbien habe eines der beiden Blätter darüber berichtet, selbst als die gewaltsame Niederschlagung durch die Polizei immer mehr Todesopfer forderte. Die Berichterstattung über Kuba habe dagegen innerhalb weniger Stunden nach Beginn der Demonstrationen begonnen. Obwohl die Bevölkerung Kolumbiens mehr als viermal so groß ist wie die Kubas und das Land für die USA weitaus größere wirtschaftliche Bedeutung hat, hätten die Proteste in Kuba eine unverhältnismäßig große Aufmerksamkeit erhalten: »In der New York Times erschienen 13 Artikel über Kuba gegenüber zwölf über Kolumbien und in der Washington Post 36 Artikel über Kuba gegenüber nur 13 über Kolumbien.« Auch in qualitativer Hinsicht stellte die Analyse einen deutlichen Unterschied fest: In beiden Zeitungen wurden positive Adjektive für die kubanischen Demonstranten verwendet, darunter »mutig«, »unterdrückt«, »friedlich«, »um Freiheit kämpfend« und »prodemokratisch«. Im Gegensatz dazu waren die Bezeichnungen für die kubanische Regierung in allen Artikeln fast ausschließlich negativ, darunter »autoritär«, »Diktatur«, »repressiv«, »brutal«, »totalitär« und »Polizeistaat«. Insgesamt waren die Medien viel schneller dabei, Kuba zu beschuldigen als das mit den USA verbündete Kolumbien, obwohl das Vorgehen gegen die Demonstranten dort härter war, fassen die Autoren ihre Untersuchung zusammen.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 10.02.2022