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Linke Hoffnungsträger

Mit den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Brasilien und Kolumbien könnte Lateinamerika in diesem Jahr vom einstigen »Hinterhof« der USA erneut zu einer Region werden, deren Politik fast ausschließlich von progressiven oder zumindest sozialdemokratischen Regierungen bestimmt wird.

Die Wahlsiege linksliberaler Präsidentschaftskandidaten in Chile, Honduras und Peru haben die Position des rechten Blocks in Lateinamerika 2021 weiter geschwächt. Sollte sich dieser Trend 2022 in Brasilien und Kolumbien fortsetzen, wie derzeitige Umfragen vermuten lassen, würden die acht größten Staaten der Region (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Mexiko, Peru, Kolumbien und Venezuela) mit mehr als 85 Prozent der lateinamerikanischen Bevölkerung von progressiven Regierungen geführt. Das könnte inmitten der Coronapandemie neue Kooperationen in der Gesundheits- und Bildungspolitik ermöglichen, gemeinsamen sozialen Projekten zur Armutsbekämpfung neuen Auftrieb geben und die Position der Region gegenüber dem Hegemonieanspruch der USA stärken. Washington nutzt derzeit vor allem das mit US-Basen gespickte Kolumbien, aber auch Brasilien als Hauptaufmarschgebiete für politische Aggressionen und die militärische Bedrohung Venezuelas.

Die Wahlberechtigten unter den knapp 51 Millionen Einwohnern Kolumbiens sind für den 13. März zunächst aufgerufen, die Kongressabgeordneten des Zweikammerparlamentes zu wählen. Dazu gehören in diesem Jahr 108 Mitglieder des Senats und 188 Abgeordnete des Repräsentantenhauses. Dabei könnte sich zwar bereits eine politische Trendwende abzeichnen, eine Entscheidung über die künftige politische Ausrichtung des Landes wird aber mit der Wahl eines neuen Präsidenten und dessen Stellvertretung am 29. Mai gefällt. Um im ersten Wahlgang zu gewinnen, muss ein Kandidat 50 Prozent plus eine der gültigen Stimmen erhalten. Anderenfalls findet am 19. Juni eine Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen statt.

Aussichtsreichster Kandidat ist den Prognosen zufolge der linke Exbürgermeister von Bogotá (2012 bis 2015) und derzeitige Senator Gustavo Petro, ein ehemaliges Mitglied der Stadtguerilla M-19. Petro und der von ihm initiierte, aus verschiedenen progressiven Parteien und Organisationen bestehende »Historische Pakt« (Pacto Histórico) lagen in einer fünf Monate vor der Präsidentschaftswahl veröffentlichten Umfrage des kolumbianischen Meinungsforschungsinstituts »Invamer« mit einer Zustimmung zwischen 42 und 48 Prozent deutlich vor den Konkurrenten, die derzeit von 15 bis 26 Prozent der Befragten unterstützt werden. Ob dieser Vorsprung am Ende reicht, ist jedoch offen. Die Anhänger des ultrarechten Präsidenten Iván Duque und ihnen nahestehende paramilitärische Auftragskiller, die in den vergangenen Monaten Dutzende Gewerkschafter und Vertreter sozialer Bewegungen ermordet haben, werden alles unternehmen, um die Wahl eines progressiven Präsidenten zu verhindern.

In Brasilien, dem größten und bevölkerungsreichsten Land Südamerikas, liegt Expräsident Luiz Inácio Lula da Silva, der von 2003 bis 2011 schon an der Staatsspitze stand, vor den Megawahlen am 2. Oktober in Umfragen weit vorne. Neben einem neuen Präsidenten und dessen Vize werden unter anderem die neuen Abgeordneten im nationalen Kongress sowie die Gouverneure und stellvertretenden Gouverneure der Bundesstaaten gewählt. Sollte kein Kandidat im ersten Wahlgang die erforderlichen 50 Prozent plus eine der gültigen Stimmen erhalten, findet am 30. Oktober eine Stichwahl statt. Nach einer Mitte Dezember veröffentlichten Wahlumfrage des »Institute for Research and Consulting Intelligence« (IPEC) würde Lula derzeit 48 Prozent der Stimmen erhalten, gegenüber 21 Prozent für den derzeitigen ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro.

Auch in anderen Ländern stehen 2022 Wahlen oder Volksabstimmungen an. Den Aufschlag macht Costa Rica, wo bereits am 6. Februar ein neuer Präsident, zwei Vizepräsidenten und die 57 Abgeordneten des Parlaments gewählt werden. Am 11. März erfolgt in Chile mit dem Amtsantritt des im Dezember zum Präsidenten gewählten Sozialdemokraten Gabriel Boric ein Machtwechsel. Für die zweite Jahreshälfte ist das endgültige Referendum über eine neue Verfassung vorgesehen, die das seit der Pinochet-Diktatur geltende Grundgesetz ablösen soll.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf
junge Welt, 18.01.2022