Nachrichten aus und über Kuba
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Smarter Imperialismus, primitiver Journalismus
Unveröffentlichter Leserbrief an die TAZ in Bezug auf folgenden Beitrag: Kommentar von Bernd Pickert: "Demonstrationsverbote auf Kuba: Primitiver Antiimperialismus" 15.11.2021
Abgesehen von dem äußerst überheblichen Ton wundert mich doch sehr die Faktenverkennung, die aus jenem Kommentar spricht. Denn Herr Pickert erwähnt z.B. nicht die differenzierten, auf der Verfassung Kubas beruhenden juristischen Gründe der Provinzgerichte in Kuba für das Verbot dieser sehr speziellen Märsche. Sie sind speziell, weil in bislang nicht dagewesenem Maße der langen Geschichte der Sanktionen, Subversionen und vielgestaltigen geheimen Attacken der US-Regierungen gegen Kuba, eine offensichtlich international koordinierte Kampagne mit immensem Aufwand läuft. Der harte Kern der Kubagegner im US-Kongress und in Miami knüpft nun an ihrer seit über 60 Jahre versuchten Implementation einer internen "Opposition" an, um das sozialistische Gesellschaftssystem Kubas umzustürzen. Wenngleich unter den unzufriedenen DemonstrantInnen nur wenige direkte Handlanger zu finden sein dürften, die wenigen genügen den neoliberal kultivierten Narrativen und den US-dominierten Massenmedien, ihre alten Klischees á la Claas Relotius gegen Kuba gebetsmühlenartig zu wiederholen bzw. nun provokativ ins Skurile zu steigern. An ihrer schwarz-weiß-Logik und dem Hass sind sie erkennbar.
An dem Kommentar finde ich geradezu obszön und nach eurozentrischer Arroganz (und Ignoranz) schmeckend, wie Herr Pickert die weit über zweihundert international angesehenen und ausgezeichneten KünstlerInnen und Intellektuellen (darunter Nobelpreisträger) herabwürdigt, weil sie eine anderen Einschätzung der Gesamtlage haben. Diese haben in einem bemerkenswerten Aufruf ihre Solidarität mit dem sozialistischen Kuba und gegen die permanenten, nun eskalierenden (natürlich verdeckten) Aggressionen der benachbarten Supermacht ihre Stimme bekundet. Auch scheint Herrn Pickert entgangen zu sein, welche persönlichen Kontakte z.B. die neu inszenierte Galionsfigur jener Märsche mit CIA und US-Administration hat, welche nachweisbaren Unterstützungen aus dem US-Staatshaushalt an diese Kreise fließen. All das wird von ihm verschwiegen, obwohl auch hier in Deutschland ExpertInnen mit einer völlig anderen Lageeinschätzung als er. Die aber kommen bei ihm nie zu Wort. In der TAZ wurde bislang nicht über die unzähligen Solidaritätsaktivitäten mit Kuba berichtet. Warum dieses Verschweigen? Herr Pickert ist ja beileibe nicht der einzige, dem das Schicksal einiger weniger kubanischer Dissidenten mehr wert zu sein scheint, als dasjenige von elf Millionen KubanerInnen insgesamt, deren Menschenrechte durch die US-Blockade verletzt werden. Und die zerstörerischen
Aktivitäten der USA gegen fast alle südlichen Nachbarn scheinen verdrängt zu sein.
Herr Pickert weist nicht darauf hin, dass sich die offiziellen Veranstalter der Gruppe "Archipiélago" nicht unmissverständlich und klar gegen die permanente Unterstützung und Subversion aus den USA äußern, und auch die Blockade gegen ihr Land nicht verurteilen, sondern gemeinsame Sache mit den erklärten Feinden ihres Landes machen. In unserem Lande hier könnten sie wegen solcher Unterstützung durch eine ausländische, noch dazu offen feindselige Macht angeklagt werden (§ 92 ff StGB). Im antikommunistischen Diskurs jedoch wird die Verteidigung des selbstgewählten Regierungssystems in Kuba zu einem Thema von Menschenrechtsverletzung umgedichtet! Das Herr Pickert all die unterschlägt, das ist meines Erachtens eine Schande.
Edgar Göll
(Soziologe, Verwaltungswissenschaftler und Zukunftsforscher, seit 1993 an und für Kuba ehrenamtlich tätig, Autor zahlreicher Artikel über Kuba sowie USA, vor allem in amerika21)
16.11.2021, Edgar Gäll