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Apologie des Diego
Glenn Jäger erhellt die politische Biographie von Maradona.
Kurz nachdem Diego Armando Maradona am 25. November 2020 verstorben war, schickte mir ein argentinischer Freund einen Nachruf, den er auf den Fußballer verfasst hatte, den viele als den begnadetsten des 20. Jahrhunderts ansehen. Mein Freund wollte eine »ehrliche Meinung« hören. Ich schrieb, dass ich den Artikel gut fände, er jedoch ein kleines bisschen in Richtung Heldenverehrung ginge. Mein Freund sprach monatelang nicht mehr mit mir.
Bereits zu Lebzeiten ließ Maradona die Gefühle hochkochen. Geliebt und gehasst, bejubelt und beleidigt, verehrt und verhöhnt. Medien und Öffentlichkeit überboten sich in wilden Gerüchten, was sein Privatleben betraf. Dies setzte dem Menschen Maradona zweifelsohne zu.
Glenn Jäger hat sich der komplexen Persönlichkeit Maradona in seinem neuen Buch gewidmet, einer Art politischer Biographie unter dem Titel »Diego Maradona. In den Farben des Südens«. Es ist das zweite Fußballbuch Jägers, das innerhalb kurzer Zeit im Papyrossa-Verlag erscheint. In »In den Sand gesetzt: Katar, die FIFA und die Fußball-WM 2022« beleuchtete er, der auch für die Sportseite der jungen Welt schreibt, die Machenschaften rund um die überraschende Vergabe der nächsten Herrenfußball-WM an den Golfstaat. Es ist erfreulich, dass sich linke Verlage des Themas Fußball annehmen. Dies verspricht kritische Analysen eines Gesellschaftsphänomens, das allzu oft als zwar überkommerzialisiertes, aber letztlich unschuldiges Spektakel porträtiert wird.
Wie im Titel angedeutet, interpretiert Jäger Diego Maradona als Repräsentanten des globalen Südens, der die Vorherrschaft des Nordens herausforderte. Dabei vermischen sich symbolische und handfeste Aspekte: das Ausnahmetalent aus dem globalen Süden, das der süditalienischen Metropole Neapel zur Meisterschaft in einem von den urbanen Zentren des Nordens dominierten Land verhilft, in Indien zu einem antikolonialen Helden wird und nach seinem Karriereende bei antiimperialistischen Demonstrationen aufläuft und US-Präsident George W. Bush als »Mörder« und »Kriegsverbrecher« brandmarkt. Auch mit den Mächtigen des Fußballweltverbandes FIFA lag Maradona immer wieder im Clinch.
Jäger beschreibt Maradonas Kindheit in Villa Fiorito, einem Armenviertel von Buenos Aires, verfolgt dessen Karriere von den Argentinos Juniors über Barcelona und Neapel zurück zu den Boca Juniors und zeichnet die Weltmeisterschaften nach, an denen dieser als Spieler (1982–1994) und Trainer (2010) teilnahm. Dabei gibt Jäger immer wieder Querverweise, um das gesellschaftliche Umfeld zu erhellen, in dem das Leben Maradonas Form annahm. Natürlich wird der politischen Geschichte Argentiniens viel Platz eingeräumt, ebenso finden sich jedoch Abschnitte zur US-Politik in Südostasien und zum kubanischen Gesundheitssystem.
Kuba spielt in »In den Farben des Südens« eine besondere Rolle, was angesichts Maradonas Freundschaft mit Fidel Castro und den Entziehungskuren, denen sich der mit seiner Drogenabhängigkeit kämpfende »Jahrhundertfußballer« mehrfach auf der Insel unterzog, nicht überrascht. Auch zu Venezuela pflegte Maradona eine enge Beziehung. Hier liefert ein Gastkapitel des Venezuela-Experten und früheren jW-Redakteurs André Scheer wichtiges Hintergrundwissen.
Wie es in einer guten Biographie sein soll, hat »In den Farben des Südens« einige anekdotische Leckerbissen zu bieten. Etwa die Geschichte der mit 2.500 Ostmark gesponserten Reise des DDR-TV-Journalisten Gottfried Weise, der den damals frischgebackenen Weltmeister Maradona im September 1986 in Neapel interviewte. Zwei Jahre später traf in der zweiten Runde des UEFA-Cups der SSC Neapel auf Lokomotive Leipzig. Sehr charmant ist auch der Bericht über Maradonas Besuch im autonomen Frankfurter Infoladen »Exzess« im Jahr 2010 anlässlich der »Gegenbuchmasse«, einer linken Parallelveranstaltung zur Frankfurter Buchmesse. Maradona war bei der Buchmesse aufgetreten, da Argentinien dort 2010 Gastland war. Dass er sich am Abend zur »Langen Lesenacht« in den »Exzess« verirrte, ist eine schöne und passende Ironie der Geschichte.
Jäger erinnert uns auch daran, dass das vielleicht größte Lob für Maradona ungewollt von Uli Hoeneß ausgesprochen wurde. 1990 erklärte der Bayern-Zampano, dass er Maradona »nicht einmal mehr umsonst nehmen« würde. Wer Maradona bis jetzt nicht gut fand, muss es nun tun.
Diego Maradonas Laufbahn verlief alles andere als rund. Als Spieler gab es Rückschläge durch medial aufgebauschte Skandale und Dopingsperren, als Trainer in Argentinien, Mexiko und den Vereinigten Arabischen Emiraten war sein Erfolg mäßig, und als Vorstandsvorsitzender reichte es bei FK Dinamo Brest in Belarus 2018 nur zu einem eher bizarren, dreimonatigen Auftritt.
Sein Privatleben wurde im Boulevard zur Genüge ausgeschlachtet. Es gebührt sich nicht, darüber zu urteilen. Jäger begegnet dem Großteil der Kritik an Maradona mit Verweisen auf die Heuchelei und die Doppelmoral der Kritiker. Daran ist nichts zu monieren, eine Auseinandersetzung mit den Inhalten der Vorwürfe ist es allerdings nicht. Man muss Jäger zugestehen, dass er auch nichts anderes verspricht als eine Apologie im besten Sinne. Im Eröffnungskapitel des Buches schreibt er: »Wer will, möge die folgenden Seiten auch als Verteidigungsschrift lesen.«
Diego Armando Maradona wurden zahlreiche Bücher, Filme, sogar Kirchen gewidmet. Er war auch abseits des Fußballplatzes ein Entertainer, in Nachtklubs wie in Fernsehstudios. Die genauen Umstände seines Todes bleiben ungeklärt. Als offizielle Todesursache wurde ein Herzinfarkt angegeben. Die Rolle seines medizinischen Teams ist Gegenstand zahlreicher kontroverser Diskussionen und polizeilicher Ermittlungen.
Glenn Jäger bietet einen differenzierten Blick auf eine schillernde, für viele inspirierende Sportpersönlichkeit, deren Vermächtnis noch lange weiterleben wird. Gibt es Tendenzen zur Heldenverehrung? Nun ja. Ich habe gelernt, hier vorsichtig zu sein. Die Lektüre des Buches lohnt sich allemal.
Glenn Jäger: Diego Maradona. In den Farben des Südens. Papyrossa-Verlag, Köln 2021, 264 Seiten, 16,90 Euro
Veröffentlichung |
Gabriel Kuhn
junge Welt, 18.10.2021