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Chronistin der Revolution
Zum Tod der kubanischen Schriftstellerin und Journalistin Marta Rojas.
Mit der Schriftstellerin Marta Rojas ist am Sonntag in Havanna eine der bedeutendsten kubanischen Autorinnen verstorben, die sich auch international hohes Ansehen erworben hat. Bekannt wurde die am 17. Mai 1931 in Santiago de Cuba geborene Journalistin zunächst durch ihre Berichte über den Prozess gegen Fidel Castro und die von ihm angeführten Guerilleros nach dem misslungenen Angriff auf die Moncada-Kaserne im Jahr 1953. Später war sie unter anderem als erste lateinamerikanische Kriegsberichterstatterin in Vietnam tätig. Neben ihrer journalistischen Tätigkeit verfasste die mit vielen Preisen ausgezeichnete Autorin mehrere Sachbücher und Romane. Der kubanisch-französische Schriftsteller Alejo Carpentier bezeichnete seine Kollegin als »Romanautorin aus Instinkt«. Ihre Fiktion »hat mit unserer Geschichte zu tun, mit der Würde des Menschen und der Herausbildung unserer kubanischen Identität«, sagte der Literaturkritiker Pedro de la Hoz am Dienstag auf der Trauerfeier im Redaktionsgebäude der Zeitung Granma.
Zur »Chronistin der Revolution« wurde Rojas eher zufällig. Nach dem Journalistikstudium in Havanna arbeitete sie im Juli 1953 für einen Fernsehsender an einem Bericht über den Karneval in Santiago de Cuba, als den überlebenden Rebellen des Angriffs auf die Moncada-Kaserne der Prozess gemacht wurde. Durch Beziehungen gelang es der jungen Reporterin, daran teilzunehmen. Die erste Begegnung mit dem in Handschellen vorgeführten Hauptangeklagten, dem nur fünf Jahre älteren Anwalt Fidel Castro, beschrieb sie als Moment, der ihr Leben veränderte. »Ich habe bemerkt, dass du dir Notizen machst. Sie werden es nicht veröffentlichen«, hatte Fidel, dessen Verteidigungsrede »Die Geschichte wird mich freisprechen« sie beeindruckt und motiviert hatte, ihr zugeflüstert. Trotzdem zeichnete Rojas den gesamten Prozessablauf minutiös auf. Sie schmuggelte das Manuskript nach Havanna, wo der Direktor von Kubas ältester Zeitschrift Bohemia ihr riet, es gut zu verwahren, da es unter der Batista-Diktatur nicht veröffentlicht werden könne.
Nach dem Sieg der Rebellen am 1. Januar 1959 druckte Bohemia Teile der Chronik, die später als Buch mit dem Titel »Der Moncada-Prozess« in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Es sei ein »großes Glück«, dass diese entscheidenden Momente der kubanischen Geschichte so detailliert dokumentiert sind, weil eine junge Journalistin die Bedeutung des historischen Augenblicks erkannt hatte, schrieb Alejo Carpentier im Vorwort.
Dieses Gespür zeichnete Rojas zeitlebens unter ihren Kolleginnen und Kollegen aus. Nach dem Sieg der Rebellen wechselte sie von Bohemia zur Zeitung der »Bewegung des 26. Juli«, Revolución, und mit deren Gründung im Oktober 1965 zum Organ des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas, Granma. Sie begleitete Castro auf dessen historischen Reisen nach Chile und Vietnam, von wo sie zwischen 1965 und 1975 als Kriegskorrespondentin berichtete. Als das von dem britischen Philosophen und Literaturnobelpreisträger Bertrand Russell ins Leben gerufene »Russell-Tribunal«, dem auch Melbá Hernandez angehörte, Ende der 1960er Jahre die US-Kriegsverbrechen in Vietnam untersuchte, trugen Rojas Erlebnisse zur deren Aufklärung bei. Sie blieb dem Land verbunden. Präsident Ho Chi Minh gewährte ihr das letzte Interview vor seinem Tod im Jahr 1969. Von den zahlreichen literarischen Werken Rojas erschien in deutscher Sprache der von ihr als Koautorin verfasste Bericht über das Leben von Tamara Bunke, »Tania la Guerrillera«.
Marta Rojas starb am 3. Oktober im Alter von 93 Jahren in ihrem Haus in Havannas Stadtteil Vedado an einem Herzinfarkt. »Ihr Leben war von Engagement geprägt und ist ein Beispiel für Journalisten, die sich für die Wahrheit und das Schicksal ihres Volkes einsetzen«, würdigte der Vorsitzende des Lateinamerikanischen Journalistenverbandes (Felap), Juan Carlos Camaño, die Verstorbene am Montag.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 07.10.2021