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Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Austausch auf Augenhöhe

In Theorie und Praxis: Das Proyecto Tamara Bunke ermöglicht jungen Menschen aus Deutschland, den kubanischen Sozialismus kennenzulernen.

Proyecto Tamara Bunke
Die Namenspatronin des Proyecto, Tamara Bunke, ging 1961 nach Kuba, um dort am Aufbau der sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken.
Foto: Collage Jessica Weber/jW Fotos: imago stock&people/UIG/gemeinfrei


Anfang 2019 in Santa Clara, der von Che Guevaras Guerillafront befreiten Stadt in Zentralkuba. Mehrere Teilnehmer des Proyecto Tamara Bunke stehen in einem holzvertäfelten, relativ dunklen Raum, der einer Höhle nachempfunden ist. Am Rand wachsen Farne und andere Pflanzen, die an einen Dschungel erinnern sollen. Die hellste Lichtquelle ist eine Flamme, das ewige Feuer. Vor der Gruppe vorwiegend junger Deutscher befindet sich eine Wand, an der metallene Tafeln mit Konterfeien befestigt sind. An jeder von ihnen steckt in einer Halterung eine rote Nelke. Die Reliefs der Tafeln zeigen unter anderem die Gesichter Ernesto »Che« Guevaras und Tamara Bunkes. Eingelassen in die Mauer verbergen sich ihre sterblichen Überreste.

Die Gruppe des Proyecto Tamara Bunke ist hier auf Einladung der Che-Guevara-Gedenkstätte und befindet sich im Mausoleum für die Guerillakämpfer, die in Bolivien im Oktober 1967 bei dem Versuch ermordet wurden, die sozialistische Revolution nach Südamerika zu tragen. Zuvor hatten sich die Delegationsteilnehmer bereits mit Historikern der Gedenkstätte über den Nachlass Tamara Bunkes ausgetauscht. Das Proyecto, dessen Namenspatronin kurz nach Che Guevaras Besuch in der DDR 1961 nach Kuba gegangen war, um dort am Aufbau der noch jungen sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken, unterstützt kubanische Historiker bei der Sichtung, Sortierung und Einordnung von archivierten Zeugnissen aus dem Leben der Revolutionärin.

Einige Tage später treffen die Teilnehmer des Proyecto im Haus der Sociedad Cultural José Martí in Havanna auf René González. Er ist einer der »Cuban Five« und heute Vorsitzender der nach dem Nationalhelden Martí benannten kubanischen Kulturinstitution. Die »fünf Helden«, wie die ehemaligen Aufklärer auf der Insel genannt werden, unterwanderten in Miami im US-Bundesstaat Florida konterrevolutionäre Gruppen mit subversiven bis hin zu terroristischen Plänen gegen das sozialistische Kuba. Ende der 90er Jahre flog die Gruppe auf, auch González wurde in den USA inhaftiert. Erst unter der Regierung von Barack Obama kamen die »fünf Helden« zum Teil im Austausch mit auf Kuba gefangenen US-Spionen frei. René González, der als »Held der Republik« stets ein gefragter Mann ist, hat sich Zeit genommen für die Delegationsteilnehmer. Ausführlich und mit bildreicher Sprache, gleichzeitig sachlich und ruhig, erzählt er aus seinem bewegten Leben für die Revolution, und es ergibt sich ein reger Austausch, in dem er selbst auch Fragen an die jungen Deutschen stellt.

Dieser Austausch auf Augenhöhe, sowohl mit herausragenden Persönlichkeiten der kubanischen Gesellschaft als auch mit Angestellten in Staatsbetrieben oder Jugendlichen, ist elementarer Bestandteil des Proyecto Tamara Bunke. Üblicherweise reisen zweimal im Jahr Solidaritätsgruppen für eine Dauer von sieben Monaten aus der BRD nach Kuba. Doch die Coronapandemie mit all ihren Einschränkungen der Reisefreiheit machte dem Projekt einen Strich durch die Rechnung. Seit Februar 2020 konnten sich keine Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehr aus Deutschland auf den Weg nach Kuba machen.

Die Hoffnung, dass ihnen dieser wohl einmalige Zugang zur kubanischen Gesellschaft bald wieder geöffnet wird, ist jedoch groß. Auch wenn die Zahl der Neuinfektionen in Kuba vor allem seit Juni ansteigt, gibt es Lichtblicke auf der Insel. So meldete das staatliche Pharmaunternehmen Bio-Cuba-Farma am 21. Juni, der selbst entwickelte Impfstoffkandidat gegen Covid-19, »Abdala«, verfüge über eine Wirksamkeit von 92,28 Prozent. Auch ein weiterer Vakzinkandidat, das Präparat »Soberana 2«, ruft nach Angaben des Finlay-Instituts nach der Verabreichung von zwei Dosen mit 62 Prozent Wirksamkeit eine vielversprechende Immunreaktion hervor. Eine dritte Impfstoffdosis mit »Soberana plus« erhöht die Wirksamkeit auf 91,2 Prozent. Bis Ende dieses Jahres soll die gesamte kubanische Bevölkerung mit den auf der Insel entwickelten Vakzinen gegen das Coronavirus immunisiert sein.

Auch die Schließung der kubanischen Universitäten im Zuge der Pandemiebekämpfung traf das Proyecto Tamara Bunke hart. Eigentlich besuchen die Delegationsteilnehmer im Rahmen ihres Kuba-Aufenthalts Kurse an der Technischen Universität Havanna zu den Themen kubanische Geschichte, Politische Ökonomie und Philosophie des Marxismus. So soll erreicht werden, dass sie die Widersprüche im Alltag nicht ohne theoretische Kenntnisse erleben. Gleichzeitig wird darauf geachtet, dass sie das sozialistische Gesellschaftsmodell nicht nur in der Theorie kennenlernen. Insbesondere durch Exkursionen und Besuche beispielsweise von Pflegeeinrichtungen oder einem Stahlwerk gewinnen die Proyecto-Teilnehmer Einblicke in die kubanische Gesellschaft. Durch den intensiven Austausch lernen auch die Menschen auf kubanischer Seite einiges über die Lebensrealität in Deutschland.

Getragen wird das strömungsübergreifende Solidaritätsprojekt von der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) sowie der Freundschaftsgesellschaft BRD–Kuba. Auf kubanischer Seite zeichnet die Technische Universität Havanna verantwortlich. Ehemalige Teilnehmerinnen und Teilnehmer engagieren sich weiterhin im Proyecto Tamara Bunke und übernehmen ehrenamtlich die Verwaltungsarbeit. Derzeit bereiten sie die nächste Reisedelegation auf ihren Kuba-Aufenthalt vor, der im Oktober beginnen soll.

Elias Korte ist Teilnehmer des Proyecto Tamara Bunke, dessen Ziel es ist, jungen Menschen das Kennenlernen von Kubas gesellschaftlicher Alternative zum Kapitalismus zu ermöglichen

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt


junge Welt, 21.07.2021