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»Uns gefällt nicht, dass sie in unserem Namen sprechen«

Über Kunstfreiheit in Kuba, Destabilisierungsversuche und kapitalistische Gespenster. Ein Gespräch mit Claudia Alejandra Damiani Cavero.

Jugendkundgebung
Foto: Alejandro Azcuy/www.presidencia.gob.cu
Es geht bei den Vorwürfen gegen Kuba nicht um künstlerische Freiheit, sondern um die Freiheit, den Staat zu bekämpfen ...


International ist die Frage der künstlerischen Freiheit in Kuba im Zusammenhang mit einer sich kulturell inszenierenden Dissidentengruppe in den Medien stark thematisiert worden. Wie steht es um die Freiheit von Kunst und Kultur auf Kuba?

In Kuba gibt es künstlerische Freiheit. Jeder, der sich das zeitgenössische kubanische Kino, Theater, die bildende Kunst und die Literatur anschaut, kann bestätigen, dass die Werke in der Regel sehr kritisch sind, oft sogar hyperkritisch gegenüber der nationalen Realität. Das geht mitunter sogar so weit, dass sie überflüssig und entmutigend sind – ohne dass dies ein Grund für Zensur ist. Das Anliegen der erwähnten Gruppe ist nicht künstlerische Freiheit, sondern die Freiheit, den Staat zu bekämpfen. Und ich glaube, eine solche Freiheit existiert auch in einem liberalen Staat nicht.

Warum dienen Kunst und Kultur als Einfallstor für konterrevolutionäre Destabilisierungskampagnen?

Ich denke, dass es einerseits Präzedenzfälle für eine wirkliche Begrenzung des künstlerischen Ausdrucks im untergegangenen realen europäischen Sozialismus und in seinem kubanischen Echo in den 1970er Jahren gibt. Dieses Gespenst beleben die kapitalistischen Länder immer wieder, um zu erschrecken und zu verunsichern. Ein weiterer Grund ist, dass es Präzedenzfälle gibt, wie über Kunst und Kultur gegenhegemoniale politische Projekte destabilisiert wurde. Der Kulturkrieg wurde als Vorwand genutzt, um die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu katalysieren.

Die Konterrevolution weiß, dass sie die sozialen Netzwerke, die von ihr finanzierten digitalen Medien und die Dynamik der Kulturindustrie, in der nur kritische oder oppositionelle Ausdrücke gegenüber dem kubanischen Projekt sichtbar gemacht werden, auf ihrer Seite hat. Sie weiß auch, dass der Kulturbereich und die junge kubanische Intelligenz zumeist einer bürgerlichen Gesellschaftsschicht und dem universitären Umfeld angehört, also Zugang zum Internet und zu sozialen Netzwerken hat, weiß, wie man digitale Werkzeuge benutzt, Produzent von Inhalten und Ideologie ist und Einfluss ausübt, sei es als Lehrer, Künstler oder Kommunikator. Außerdem gehören die Personen dieses Milieus einer Altersgruppe an, die durch die wirtschaftlichen und sozialen Widersprüche der Sonderperiode geprägt wurde.

Welche Rolle spielen soziale und ethnische Herkunft in der kubanischen Jugendkultur?

Zunächst muss festgehalten werden, dass in Kuba der Zugang zu universitärer Bildung oder künstlerischer Ausbildung nicht durch den sozialen oder ethnischen Hintergrund einer Person bestimmt wird. Obwohl das so ist, weisen diese Bildungseinrichtungen dennoch eine Zusammensetzung auf, in der zum Beispiel durch ihren familiären Hintergrund Privilegierte überrepräsentiert sind. Diese Ausgrenzung, die einen historisch-sozialen Ursprung hat, begünstigt die Entwicklung einer Kultur des Randständigen in großen Teilen der wegen rassifizierter Zuschreibungen marginalisierten städtischen Bevölkerung mit geringerer Kaufkraft, die sich durch eine Kriminalität verherrlichende und patriarchalisch geprägte Ästhetik auszeichnet. Die hat sich aber auch in privilegierten sozialen Schichten ausgebreitet. Es handelt sich also nicht um einen kulturellen Ausdruck von Unterprivilegierten, sondern um eine Form der Massenkultur, die von randständigen Ästhetiken und Verhaltensweisen inspiriert ist und die auf ein globales Phänomen der Trivialisierung der Kultur und Konsumparadigmen reagiert.

Wie hat sich aus Ihrer Sicht die kubanische Kultur verändert?

Seit den 90er Jahren ist die kubanische Kultur zunehmend von internationalen Trends durchdrungen. Da die Technologie einen besseren Zugang zu Informationen ermöglicht hat, haben sich auch die kulturellen Ausdrucksformen und Strömungen diversifiziert, was in einer globalisierten Welt unvermeidlich ist. In der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts blühten viele urbane Subkulturen wie elektronische Musik, HipHop und Rock, alternative Strömungen überhaupt, und es gab einige Festivals. Das war auch eine Blütezeit der staatlich betriebenen Literaturcafés im Zentrum Havannas, die die Konsolidierung einer Boheme-Subkultur förderten, die Trova und alternative Musik hörte und über Literatur sprach. All dies geschah hauptsächlich im universitären Bereich und in direktem Zusammenhang mit der Welt der Kultur. Die einfache kubanische Bevölkerung war schon immer mehr von lateinamerikanischer und karibischer Musik beeinflusst, ursprünglich Salsa und Timba, später von Reggaeton und in jüngerer Zeit von Trap.

Etwa ab 2013 nahm die Zahl privater Unternehmen zu, vor allem im Freizeit- und Gastronomiebereich, aber auch bei Galerien und Produzenten wurden in zunehmendem Maß staatliche Träger von privaten abgelöst. Im nachhinein erkenne ich, dass wie wir die Kunst wahrnahmen, sich zu verändern begann, sie wurde zu einem Geschäft. Bald darauf wurde der Zugang zum Internet erheblich erleichtert, zunächst durch WLAN auf Plätzen und in Parks, und dann mit dem mobilen Internet Ende 2018. Dies hatte erhebliche Auswirkungen auf die kubanische Gesellschaft. Alles vor 2018, so scheint es, war eine andere Ära. Heute übt die asiatische Kultur einen wachsenden Einfluss auf Jugendliche aus: japanische Manga, koreanischer K-Pop, Videospiele. Ich denke auch, dass alles viel stärker atomisiert und diversifiziert ist, ein Produkt des eigenständigen Zugangs zu Informationen.

Ende November 2020 versammelten sich Tausende junge Menschen als Reaktion auf konterrevolutionäre Provokationen in den Tagen zuvor zu einer Kundgebung im Trillo-Park in Havanna. Die Initiative dazu erwuchs nicht aus den Massenorganisationen der Jugend, fand jedoch auch ihre Unterstützung. Inwieweit zeigt diese Manifestation ein Potential für Erneuerung innerhalb der Revolution, und repräsentiert sie auch einen großen Teil der jungen, kritischen Künstler und Kulturschaffenden?

Die Kundgebung im Trillo-Park war am 29. November 2020. Am 27. hatte es ein Sit-in zur Unterstützung des Movimiento San Isidro (Dissidentengruppe aus Havannas Stadtteil San Isidro, Anm. jW) vor dem Kulturministerium gegeben, das in einem Treffen mit den Vertretern des Kulturministeriums gipfelte. Die Erzählung dazu wurde von den söldnerischen Teilen der heterogenen Gruppe, die das Sit-in durchführte, geprägt. Diese Erzählung hob hervor, dass die Ereignisse repräsentativ für die kubanische Zivilgesellschaft, insbesondere für den universitären Sektor der Intellektuellen und der jungen Künstler seien. Die meisten von uns, die die Kundgebung im Trillo-Park organisiert und daran teilgenommen haben, gehören auch zu diesen Sektoren, und es gefällt uns nicht, dass sie in unserem Namen sprechen, geschweige denn, dass sie uns die Unterstützung einer proimperialistischen Sache unterschieben. Wir jungen Menschen haben alle Sorgen und Wünsche und wollen aktive Subjekte unserer Gesellschaft sein, aber niemand kann im Namen der »kubanischen Jugend« oder der »kubanischen Künstler« und noch weniger der »kubanischen Zivilgesellschaft« sprechen. Die Manifestation im Trillo-Park war als Alternative gedacht, um die Forderungen zu stellen, die wir für den Aufbau einer besseren Gesellschaft für notwendig halten, aber von einer verantwortungsvollen Position aus, die nicht der Unterstützung von Agenden und Einmischungsgruppen und der Restauration des Kapitalismus in Kuba dient, sondern auf die Vertiefung des Sozialismus, die Macht des Volkes und den sozialen Fortschritt setzt. Aus meiner Sicht war das die revolutionäre Art und Weise, die Situation zu nutzen, die durch die Ereignisse von San Isidro ausgelöst wurde.

Claudia Alejandra Damiani Cavero ist Grafikdesignerin und Schriftstellerin, Mitglied der kubanischen Künstlervereinigung Asociación Hermanos Saíz. 2018 hat sie die beiden wichtigsten Literaturwettbewerbe Kubas gewonnen
Interview: Elias Korte

Elias Korte ist Teilnehmer des »Proyecto Tamara Bunke«, dessen Ziel es ist, jungen Menschen das Kennenlernen von Kubas gesellschaftlicher Alternative zum Kapitalismus zu ermöglichen berichteaushavanna.de

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Elias Korte
junge Welt, 05.05.2021