Nachrichten aus und über Kuba
Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.
»In der Demokratie heißt Zensur, Informationen zu verschweigen«
Über Medien in Spanien, deren Berichterstattung zu Kuba, Venezuela und anderen Ländern sowie alternative Informationspolitik. Ein Gespräch mit Pascual Serrano.
In mehreren Ihrer Bücher weisen Sie nach, dass Medien Unwahrheiten über Länder wie Kuba verbreiten. Wie hat man vor diesem Hintergrund in Spanien über die Kontrolle der Pandemie auf der Insel und über den kubanischen Impfstoff »Soberana« berichtet?
Die großen Medien in Spanien wie in der westlichen Welt insgesamt schweigen, wenn etwas in Ländern besser funktioniert, die nicht als Vorbilder gelten. Im Falle Kubas ist das nicht anders, denn das Land bewegt sich in Fragen der öffentlichen Gesundheitsversorgung auf einem sehr hohen Niveau. Kuba ist zum Vorbild geworden, hat als erstes sogenanntes Entwicklungsland einen Impfstoff entwickelt. Auch von anderen gesellschaftlichen Bereichen lässt sich viel Positives berichten: Bildung und Pflege beispielsweise. Wer jedoch permanent den Eindruck erzeugen will, der Sozialismus funktioniere dort nicht, darf über solche Errungenschaften nicht sprechen.
Sie kennen sich auch mit Venezuela aus, haben für den dortigen Sender Telesur gearbeitet und mehrere Bücher zu dem Land geschrieben. Wie wurde in Spanien über die venezolanischen Parlamentswahlen berichtet?
Die diesbezügliche Berichterstattung drehte sich beinahe ausschließlich um den Hinweis auf die niedrige Wahlbeteiligung. Damit sollte der Abstimmung die Legitimation abgesprochen werden. Weiter wurde gesagt, es gebe keine europäischen Wahlbeobachter. Doch das ist bestenfalls die halbe Wahrheit: Die EU hat gar nicht erst welche geschickt, obwohl die venezolanische Regierung sie angefordert hatte. Die EU dagegen hat von Caracas verlangt, den Wahltermin zu verschieben. Das ist eine Erniedrigung. Im EU-Land Rumänien wurde im vergangenen Dezember ebenfalls gewählt. Die Wahlbeteiligung lag bei kümmerlichen 31 Prozent. Hat man je vernommen, dass die Legitimität dieser Wahl im öffentlichen Diskurs in Frage gestellt worden wäre? Auch die Beteiligung an den Wahlen zum Europaparlament liegt immer sehr niedrig. Bei der vergangenen Abstimmung gab es vier Länder, in denen die Teilnahme noch niedriger als in Venezuela lag. Seit wann ist das also ein Kriterium, um zu entscheiden, ob eine Wahl legitim ist oder nicht? Es könnte eines sein, dann aber müsste es unterschiedslos auf alle Länder angewandt werden und nicht etwa nur auf Venezuela.
Zumeist fällt die Berichterstattung über Venezuela negativ aus. Skandalisiert werden oft die Beziehungen, die das Land mit Iran unterhält. Was haben Sie diesbezüglich beobachtet?
Die kommunikative Strategie basiert darauf, alle Länder zu stigmatisieren, die keine Vorbildfunktion haben sollen. Meistens sind das Staaten, deren Interessen sich nicht mit denen der EU in Einklang befinden – wie Russland oder Iran –, oder andere, deren Politik- und Gesellschaftsmodell als dysfunktional diskreditiert werden soll – also Kuba, Venezuela oder Ecuador unter Rafael Correa und Bolivien unter Evo Morales.
Geraten die Dinge bei »Verbündeten« in Schieflage, spricht man selbstverständlich nicht von »Failed State«. Wie bewerten Sie den Umstand, dass Twitter den Account von Donald Trump gesperrt hat?
Ich finde, hierbei handelt es sich um eine Falle. Wenn wir zulassen, dass große Konzerne wie Twitter oder Facebook darüber befinden, wer sich äußern darf und wer nicht, wäre das ein großer Fehler. Selbst wenn man die Mitteilungen von Trump als gefährlich erachtet, bin ich nicht der Meinung, dass es gut wäre, Twitter diese Macht zu geben. Oft empören sich die Menschen darüber, dass Staaten gegen falsche Informationen, gegen Fake News, vorgehen wollen. Aber wenn das ein Unternehmen wie Twitter oder Facebook tut, applaudieren viele. Das ist ein verhängnisvoller Präzedenzfall. Wir können nicht die Entscheidung darüber, ob etwas stimmt oder nicht, ob man sich mitteilen darf oder nicht, an solche Firmen delegieren. Dafür sind die Gerichte da.
Sie haben staatliche Maßnahmen gegen Fake News erwähnt. Die spanische Regierung plant ein entsprechendes Gesetz. Was genau verbirgt sich dahinter?
Darin steckt viel heiße Luft. Es handelt sich eher um ein Protokoll, wie sich der Staat verhalten soll. Informationen, die die Sicherheit des Landes betreffen, sollen mit bestimmten Maßnahmen kontrolliert werden. Da ist vieles mehrdeutig und komplett offen, was daraus werden soll. Die Aufregung in den Medien war groß, und ich bedauere sehr, dass auch die linken Medien in die Kritik einstimmten. Meiner Meinung nach sollten wir die Regierungen auffordern, viel mehr gegen falsche Informationen zu unternehmen. Die Annahme, eine staatliche Kontrolle öffentlich verbreiteter Lügen sei Zensur, halte ich für falsch. Wir dürfen vom Staat verlangen, dafür zu sorgen, dass unser Essen nicht kontaminiert ist, dass die Ärzte, die mir ein Herz transplantieren, auch tatsächlich qualifiziert dafür sind. Und deshalb braucht es auch Mechanismen der Kontrolle über Informationen. Wenn man die Verbreitung von Lügen erlaubt, dann haben die Bürger keine Möglichkeit, sich ein Urteil über ein bestimmtes Thema zu bilden. In einem kapitalistischen System kann derjenige häufiger und wirksamer lügen, der über die entsprechenden Mittel verfügt. Was ist Zensur in einer Diktatur? Bestimmte Dinge nicht öffentlich verbreiten zu dürfen. Was ist Zensur in einer Demokratie? Bestimmte Informationen zu verschweigen, was im Grunde der Lüge gleichkommt.
In einem Interview mit dem russischen Sender Sputnik haben Sie darauf hingewiesen, dass besagtes spanisches Gesetz die Umsetzung einer EU-Norm ist, mit der angebliche Attacken aus Russland abgewehrt werden sollen.
Es wird versucht, alles zu durchmischen und die Fake News als eine Bedrohung aus Russland darzustellen. Wenn auf EU-Ebene über Fake News gesprochen wird, ist nie die Rede von den offensichtlichen Manipulationen, denen die Menschen ausgesetzt sind: Die Pandemie wird verharmlost, die Nützlichkeit der Impfungen in Frage gestellt, Kuba als ein Land dargestellt, das den Terrorismus fördert, das Wahlergebnis in Venezuela als gefälscht bezeichnet … Aber Hauptsache, es bleibt hängen, dass russische Bots die Informationen im Netz steuern.
Wie haben die spanischen Medien über den Fall Assange berichtet, wie über den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny? Lässt sich das vergleichen?
Sicher, der Vergleich ist zulässig. Wir erkennen daran sehr deutlich die herrschende Doppelmoral. Die Medien haben damals Julian Assanges Enthüllungen ausgeschlachtet, den Krimi um seine Auslieferung aber sportlich ignoriert. Dabei war der Vorgang von allergrößtem öffentlichen Interesse. Er berührte Fragen der Pressefreiheit, es ging um Folter und Staatsverbrechen. Dieselben Medien, die eine Verbreitung der Informationen von Wikileaks verteidigt haben, haben die Person, die das ermöglicht hat, ignoriert. Ganz anders im Fall Nawalny: Wochenlange Berichterstattung über die Vergiftung des Mannes, und der Schuldige, der russische Staat, war von Anfang an ausgemacht.
Sie sind Teil der Redaktion von Mundo Obrero, dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE). Wie haben die Medien darauf reagiert, dass es in der Regierung nun mehrere kommunistische Minister gibt?
Widersprüchlich, oder besser gesagt: uneinheitlich. Einerseits bietet dieser Umstand eine willkommene Vorlage für die Behauptung, in Spanien sei eine bolivarische marxistische Regierung an der Macht. Aber selbst als der rechte Sozialdemokrat Felipe González das Land zwischen 1982 und 1996 regierte, sprach die Rechte davon, dass »die Linke« an der Macht sei. Manche linke Medien und Intellektuelle sind der Meinung, die amtierende Regierung unternehme zuwenig. Die Zugeständnisse der kommunistischen Minister seien zu viele, und sie hätte ihre Prinzipien über Bord geworfen. Klar ist jedenfalls: Wir haben keine kommunistische Regierung.
Zu Beginn der Pandemie herrschte ein martialischer Ton, Generäle traten auf Pressekonferenzen auf. Wie schätzen Sie die Kommunikation der spanischen Regierung ein?
Darüber hat man viel geredet, aber das war nicht das größte Problem. Die spanische Regierung ist angesichts der medizinischen Tragödie nicht entschieden genug vorgegangen. Das hat die Rechte ausgenutzt und die Regierung des Versagens bezichtigt. Während der ersten Welle gab es fast keine Bilder von den Opfern und ihren Familien, wir sahen nicht, was sich in den Altenheimen oder auf den Intensivstationen abgespielt hat, und von institutioneller Seite wurde die Tragödie mehr oder weniger heruntergespielt. Die Regierung hat die Dramatik der Lage nicht ausreichend kommuniziert und versäumt, viele Maßnahmen durchzusetzen. Man hat das Gefühl, dass in den kapitalistischen Ländern im Namen der Freiheit viele Tausende Menschen sterben mussten.
Was ist mit marginalisierten Gruppen wie den Roma oder Migranten? Haben die eine Stimme in den spanischen Medien?
Sie haben keine eigene Stimme, aber sie werden instrumentalisiert. Auch die Linke behandelt das Thema sehr oberflächlich. Da ist es dann eine Nachricht, dass während eines Schneesturms in einem Hüttendorf bei Madrid der Strom ausgefallen ist. Dabei wäre grundsätzlich zu sagen, dass dies keine Wohnungen sind, dass oftmals weder Abfluss- noch Wasserleitungen vorhanden sind. Unter diesen Bedingungen kann keiner angemessen leben. Das Problem ist nicht dann gelöst, wenn die Menschen, die dort hausen, wieder Strom haben. Aber in der politischen Debatte geht man dem leider nicht auf den Grund.
Ein anderes Thema. Hat die negative Berichterstattung zur Unidas Podemos, UP, einen Einfluss auf das schlechte Ergebnis bei den im Sommer abgehaltenen Regionalwahlen in Galicien und im Baskenland gehabt?
Ich schätze, wichtiger waren die Fehler, die Podemos gemacht hat. Die internen Konflikte waren ein Problem. Sicher, es gab viele Attacken auf die UP – von den rechten Parteien, von den Medien. Aber Podemos hätte viel stärker die Basis mobilisieren müssen. Die Vereinigte Linke, IU, war da besser, stabiler und breiter aufgestellt als Podemos. Sieben Jahre nach ihrer Gründung befindet sich die Organisation in einem prekären Zustand. Sie hat ihre soziale Basis vernachlässigt.
Spanien wird zur Zeit von einem Skandal erschüttert, den der ehemalige Polizeikommissar José Manuel Villarejo ausgelöst hat. Er soll illegal Informationen über Kriminelle, Richter, Politiker und Konzernchefs gesammelt und diese zu Geld gemacht haben. Viele Medien in Spanien veröffentlichten diese Informationen. Was sagt das über die spanische Presse aus?
Deutlich wurde dabei: Es gibt nicht nur hie und da Korruption, sondern ein komplettes System im Untergrund. Es ist indes wie immer: Solche Wahrheiten geraten erst dann ans Licht, wenn Mafiosi sprechen.
Die spanische Monarchie befindet sich in der schwersten Krise ihrer jüngeren Geschichte. Wie berichten die Medien?
Jeder, der seit längerem im journalistischen Geschäft ist, hat erlebt, dass man vor 30 Jahren so über die Krone schreiben konnte, wie das heute möglich ist. Gibt es einen Skandal, folgt eine Geste des Entgegenkommens. Ein Teil der Familie wurde aus der Öffentlichkeit verbannt, der alte König dankte zugunsten seines Sohnes ab und setzte sich dann auch noch ins Ausland ab. Es gibt einige Medien wie Infolibre, eldiario.es oder Publico, die über die Misere des Königshauses ungehemmt berichten.
Wie steht es um die Qualität des öffentlichen Fernsehens TVE?
Unter dem damaligen Premier José Luis Rodríguez Zapatero gab es den Versuch, TVE zu demokratisieren. Dieses Projekt wurde von seinem Nachfolger Mariano Rajoy gestoppt, und die jetzige Regierung war bisher nicht in der Lage, die Situation zu ändern. Zudem schrumpft das Budget der Anstalt immer weiter, viele Programme wurden outgesourct, und darunter leidet die Qualität immer stärker. Das ist das generelle Modell der Liberalisierung. Die öffentlichen Medien werden ausgeschlachtet, das Fernsehen rückt nach rechts, denn es handelt sich um ein Medium, das hohe Investitionen benötigt, und die stammen von den Konzernen.
Sie haben bereits in den 1990er Jahren eines der ersten alternativen spanischsprachigen Onlinemedien mitgegründet: rebelion.org. Es gibt nun auch mehrere Medien, die von Ländern wie Kuba oder Venezuela finanziert werden. Podemos hat seine eigene Onlinetageszeitung namens La última Hora. Kehren wir zu den Zeiten einer dezidiert ideologischen Presse zurück?
Das Projekt Rebelion war damals sehr wichtig, um überhaupt alternative Informationen anzubieten. Heute ermöglicht die Krise der Presse kooperativen Medienprojekten eine Chance. In einem meiner Bücher habe ich Ihrer Tageszeitung, der jungen Welt, ein Kapitel gewidmet. Sie ist ein Beispiel dafür, wie sich Medien anders organisieren können, mit einer Genossenschaft und damit Leserinnen und Lesern, die sich im Verlag engagieren, mit einer anderen Betriebslogik als bei den Medienkonzernen. Die Welt ist im Zuge der Globalisierung kleiner geworden, bestimmte Länder haben das Informationsmonopol der westlichen Mächte und der Vereinigten Staaten insbesondere durchbrochen. Das ist grundsätzlich eine begrüßenswerte Entwicklung. Sicher, diese Medien sind nicht neutral, aber das sind TVE, Fox oder CNN auch nicht. Die alternativen Medien tragen dazu bei, dass wir andere Sichtweisen auf die Nachrichtenlage erhalten. Parteimedien sind allerdings keine Alternative. Sie sind wichtig für die eigenen Mitglieder, richten sich aber nicht an die gesamte Gesellschaft.
Hat sich die öffentliche Wahrnehmung in Spanien zur Rolle Deutschlands in der EU inzwischen geändert?
Ja, nun gilt nicht mehr Deutschland als der Bösewicht, sondern andere Länder wie die Niederlande. Die Perspektive, wonach Deutschland das Land sei, das dem Süden Europas seine Austeritätspolitik aufzwingen wolle, ist tatsächlich verschwunden. Der spanischen Regierung lag daran, die auf Ebene der EU erreichten finanziellen Regelungen zur Bekämpfung der Pandemiefolgen als einen guten Deal zu verkaufen. Folglich erscheinen auch Länder wie Deutschland in einem anderen Licht. Zudem hat sich die Politik der Spardiktate selbst im Sinne der Aufrechterhaltung eines neoliberalen Europas als Fehler erwiesen.
Pascual Serrano …… ist Journalist und hat Dutzende Medienanalysen veröffentlicht, arbeitete für Telesur und gehört der Redaktion von Mundo Obrero an, dem Zentralorgan der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE)
Veröffentlichung |
Interview: Carmela Negrete
junge Welt, 30.01.2021