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In Bereitschaft
Kuba hat die Pandemie erfolgreich bekämpft und öffnet sich langsam wieder für den Tourismus.
In Zeiten der Coronapandemie bekommt der Begriff des alternativen Reisens eine zusätzliche Bedeutung:die des Schutzes vor Ansteckungsgefahr für Reisende und die Menschen in den bereisten Regionen. In Kuba kommt eine weitere Ergänzung hinzu, denn Touristen helfen dem Land und seiner Bevölkerung zumindest etwas dabei, den Versuch der USA zu durchkreuzen, die Wirtschaft der größten Karibikinsel »zu erdrosseln«. Kuba gilt in Bezug auf die Coronapandemie derzeit als eines der sichersten Länder der Welt, und bietet neben lebensfrohen Menschen, mitreißender Musik, historischen Städten und Traumständen eine Bevölkerung,die sich - trotz der Drohungen des mächtigen nördlichen Nachbarn - getraut hat, eine Revolution zu machen.
Besuche sind aus kubanischer Sicht theoretisch wieder möglich, da das Land seit Beginn der Pandemie insgesamt weniger mit dem Covid-19-Virus infizierte und daran verstorbene Menschen zu beklagen hat als Deutschland derzeit an einem einzigen Tag. Praktisch scheitern diese derzeit jedoch und Reiseexperten hoffen, dass Kuba im kommenden Jahr wieder für mehr Interessierte eine Option sein könnte, falls sich die Lage bis dahin auch andernorts entspannen sollte.
Kein Risikogebiet mehr
Nachdem die sozialistische Inselrepublik ihre Grenzen Ende März geschlossen hatte, um sich vor importierten Covid-19-Infektionen zu schützen, will sie sich jetzt wieder schrittweise für den Tourismus öffnen. Die Gesamtzahl von 9.267 Infizierten seit Beginn der Coronapandemie und der im internationalen Vergleich ebenfalls geringen Zahl von bisher 136 an oder mit dem Virus Verstorbenen (Stand 12. Dezember) ermutigten die dortigen Gesundheitspolitiker dazu.
Das deutsche Robert-Koch-Institut und das Auswärtige Amt hatten Kuba bereits Ende September von der Liste der Risikogebiete gestrichen. Am 31. Oktober nahm der Ferienflieger Condor mit drei wöchentlichen Flügen von Frankfurt am Main zunächst Varadero erneut ins Programm auf. Seit dem 15. November ist auch der Flughafen José Martí in Havanna wieder für den internationalen Flugverkehr geöffnet und wird unter anderem regelmäßig von Air France und der Swiss-Tochter Edelweiss Air bedient.
Bedingung für die »neue Normalität« in Kuba ist ein spezieller Kriterienkatalog, demzufolge innerhalb der letzten 15 Tage in Havanna maximal zehn Infektionen und im Rest des Landes maximal fünf pro 100.000 Einwohner aufgetreten sein dürfen. »Vor Ort werden in den Hotels und am Flughafen umfassende Hygienekonzepte umgesetzt«, bestätigte Condor-Pressesprecherin Magdalena Hauser auf jW-Anfrage.
Als einer der ersten Reisenden aus Deutschland war der Hamburger Filmemacher Hans-Peter Weymar, der bis Juli 2020 sieben Jahre lang in Havanna gelebt hatte, Anfang November vor dem explosiven Anstieg von Coronafällen in Deutschland nach Kuba geflogen. »Am Flughafen wurde der erste PCR-Test durchgeführt. Nach fünf Tagen in häuslicher Quarantäne und dem negativen Resultat des ersten folgte ein zweiter PCR-Test. Als mir zwei Tage später auch dafür das Ergebnis »negativ« mitgeteilt wurde, konnte ich die Quarantäne beenden, berichtet er. Diese Prozedur gilt für alle Gäste in privaten »Casas«. Besucher, die ein Hotel gebucht haben, müssen nach der Ankunft zunächst in der Unterkunft bleiben, bis ihnen nach etwa 24 Stunden das PCR-Ergebnis mitgeteilt wird.
Im Falle eines positiven PCR-Tests werden Reisende mit Symptomen auf eine Pflegestation mit qualifiziertem Personal verlegt, asymptomatisch Erkrankte in speziell dafür eingerichteten Hotels von anderen Urlaubern isoliert und versorgt. Der Berliner Reiseveranstalter Tropicana Touristik hat das Kontrollverfahren zur Vermeidung von Ansteckungen auf einem sehr nützlichen vierseitigen Informationsblatt zusammengefasst, das auf seiner Internetseite (tropicana-touristik.de) heruntergeladen werden kann. Stück für Stück Die Hamburgerin Sabine Caspar, die zum 42. Internationalen Festival des Neuen Lateinamerikanischen Films nach Havanna gereist war, fühlte sich dort gut geschützt. »Das Unsicherste war der Flug«, erklärte sie im Gespräch mit jW. Sandra Herles, die Kuba seit vielen Jahren regelmäßig besucht, berichtete über ihre Einreise im Dezember: »Der Test am Flughafen wurde ausgesprochen vorsichtig durchgeführt, keine Spur von unangenehmem Gefühl beim Nasenabstrich, wovor mich Bekannte gewarnt hatten.« Vom Flughafen war sie direkt in ihre »Casa« zur Einhaltung einer fünftägigen Quarantäne gefahren. Die Aufenthaltsadresse muss bei Einreise angeben werden.
Gegenüber jW beschrieb Herles auch ihre ersten Eindrücke vom Alltag nach der Quarantäne. »Meiner Wahrnehmung nach ist die Versorgungslage für die Bevölkerung sehr schwierig geworden. Überall sieht man ellenlange Schlangen vor den Geschäften, in denen die Menschen geduldig warten. Ansonsten merkt man, dass die Kubanerinnen und Kubaner einfach unglaublich krisenerfahren sind, und auch die schreckliche Verschlechterung ihres Lebens und ihrer Perspektiven durch Corona und die verschärfte US-Blockade mit Gelassenheit, Galgenhumor und viel Menschlichkeit hinnehmen.«
Auch Caspar sind die langen Warteschlangen aufgefallen »und einzelne Geschäftemacher, die Lebensmittel mit Gewinn an diejenigen weiterverkaufen, die nicht so lange anstehen können«. Einige Devisengeschäfte würden derzeit zum Schutz vor Angriffen von systemfeindlichen Provokateuren nachts bewacht. Demgegenüber hatte Filmemacher Weymar im November berichtet, dass Jugendliche auf Havannas Uferpromenade Malecón wieder »Musik machten und hörten, kleine Reggaetón-Tanzeinlagen vorführten und miteinander flirteten wie früher«.
Seitdem sich auch Individualreisende wieder auf der Insel bewegen dürfen, werden Hotels in vielen Teilen des Landes Stück für Stück geöffnet. Auch »Casas« können für Übernachtungen zunehmend genutzt werden, sofern sie den Hygieneanforderungen entsprechen. Selbst Leihwagen stehen wieder zur Verfügung,die trotz relativ hoher Kosten für weitere Touren im Land zu empfehlen sind, da der Inlandsverkehr mit Bussen und Bahn nur sehr eingeschränkt funktioniert. Maria Knauer von Tropicana Touristik, einer Tochter der kubanischen Unternehmensgruppe Havanatur, weist darauf hin, dass Fahrzeuge zwar vorab reserviert und bezahlt werden können, für obligatorische Zusatzkosten wie die Unfall- und Kaskoversicherung vor Ort aber eine Kreditkarte vorgelegt werden muss, da Barzahlungen nicht akzeptiert werden.
US-Propagandakrieg
Mit der behutsamen Wiedereröffnung des Tourismus, der die durch Corona und US-Blockade eingebrochene Devisenbilanz zumindest etwas aufbessern könnte, verbinden viele Kubaner auch Erwartungen an eine verbesserte Versorgungslage. Doch selbst diesen kleinen Hoffnungsschimmer versucht Washington im Keim zu ersticken. Wie der US-Journalist Tracey Eaton in seinem Blog »Cuba Money Project« berichtet, hat die dem US-Außenministerium unterstehende Agentur für Internationale Entwicklung (USAID) am 5. November der in Miami ansässigen Organisation »Directorio Democrático Cubano« 97.321 US-Dollar für ein Programm zur Verfügung gestellt, das - so dessen Titel - die »Wahrheit über Ausbeutung im kubanischen Tourismus«verbreiten soll.
Dahinter verbirgt sich nichts anderes als eine neue Propagandakampagne, mit der Kubas Ansehen als Reiseland beschädigt werden soll. Eaton enthüllte, dass die 1990 in Miami gegründete Organisation von 2006 bis 2019 bereits mit insgesamt knapp sieben Millionen Dollar vom US-Außenministerium und dem USAID gefördert worden war.Leiter des »Directorio«ist der von kubanischen Behörden als Terrorist bezeichnete Exilkubaner Orlando Gutierrez-Boronat, der laut Eaton am 4. Dezember in Miami erklärt hatte: »Wir fordern eine internationale Intervention unter Führung der Vereinigten Staaten, um dieses Regime zu stürzen und ihm ein Ende zu bereiten.«
Die Bloggerin Brenda Murillo fürchtet, dass der neue Geldsegen des USAID und die Äußerungen von Gutierrez-Boronat militante Gegner der kubanischen Gesellschaft zu Angriffen auf die touristische Infrastruktur ermuntern. »Wir erinnern uns noch an die Bomben in kubanischen Hotels zwischen 1996 und 1997, an Aktionen, die von Miami aus bezahlt wurden und menschliche Opfer forderten. Werden sie in der Lage sein, solche Taten zu wiederholen? Sie sind zu allem fähig. Der Tourismus ist kein neues Ziel; er war schon immer im Visier unserer Gegner«, kommentierte Murillo am 6. Dezember im Blog »Cubano y Punto«.
Da die kubanischen Sicherheitskräfte seit mehr als 20 Jahren Terroranschläge auf touristische Einrichtungen verhindern konnten, dürften Besucher sich auch weiterhin gut geschützt in den Hotels, Restaurants und auf den Straßen der Insel bewegen können. Obwohl der Appell von Gutierrez-Boronat nicht unterschätzt werden darf und auch der vom EU-Parlament vor zehn Jahren mit dem Sacharow-Preis für Menschenrechteausgezeichnete Systemgegner Guillermo Fariñas kürzlich eine US-Invasion forderte, setzt selbst die Trump-Regierung mehr auf wirtschaftlichen als auf militärischen Druck.
Dazu gehören zahlreiche Sanktionen gegen die Reisebranche. Seit Juni 2019 haben die USA nicht nur private Reisen von US-Bürgern, Kreuzfahrten und - mit Ausnahme des Ziels Havanna - Flüge US-amerikanischer Linien nach Kuba verboten, sondern auch ausländische Reiseanbieter mit Strafen belegt. So wurden den Buchungsportalen Expedia, Booking und Trivago Strafgelder angedroht, wenn sie weiterhin Leistungen in Kuba vermitteln. Führungskräften der spanischen Meliá-Kette, die auf der Insel zahlreiche Hotels betreibt, und deren Familien ist seit Ende 2019 die Einreise in die USA verboten. Die US-Ableger der deutschen und Schweizer Versicherungskonzerne Allianz und Chubb Limited wurden mit Zwangsgeldern bedroht, weil sie Reiseversicherungen für Kuba verkauft hatten.
Dies sind nur einige Beispiele der exterritorialen Anwendung der US-Blockade in der Reisebranche. In ihrem aktuellen Jahresbericht bezifferte die kubanische Regierung die durch US-Sanktionen von April 2019 bis März 2020 für den Bereich des Fremdenverkehrs eingetretenen Verluste auf knapp 1,9 Milliarden US-Dollar (1,5 Milliarden Euro). »Wir suchen ständig nach neuen Möglichkeiten dem Land Finanzierungsquellen und Devisen zu entziehen«, hatte Donald Trumps Sonderbeauftragter Elliott Abrams im vergangenen Jahr angekündigt und als Ziel der US-Politik ausgegeben, »die kubanische Wirtschaft erdrosseln«.
Optimismus überwiegt
Kuba sieht im Tourismus, der zu den wichtigsten Einnahmequellen des Landes gehört, eine Möglichkeit, die Pläne Washingtons zu durchkreuzen und trotz der Sanktionen, den Schwund an Fremdwährungen zumindest etwas zu kompensieren. Nach den vom Amt für Statistik und Information (ONEI) veröffentlichten Zahlen wurden 2018 noch 2,8 Milliarden konvertierbare Pesos (CUC), das entspricht umgerechnet2,3 Milliarden Euro, in der Branche eingenommen. 2019 sanken die Einnahmen als Folge neuer US-Sanktionen um 200 Millionen auf 2,6 Milliarden CUC (2,1 Milliarden Euro). Und dann kam zu Trump als weiteres Übel noch das Coronavirus hinzu.
Die bundeseigene Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing, GTAI, schätzt, dass Kubas Devisenreserven heute gegenüber 2019 um 15 Prozent auf rund 8,3 Milliarden US-Dollar (6,9 Milliarden Euro) zusammengeschmolzen sind und - Prognosen zufolge - im kommenden Jahr auf 7,3 Milliarden US-Dollar (sechs Milliarden Euro) sinken könnten. Im Tourismusbereich war bereits 2019 mit 4,3 Millionen Besuchern, von denen 175.000 Reisende aus Deutschland nach Kanada, den USA und Russland das viertgrößte Kontingent stellten, die angepeilte Fünf-Millionen-Marke deutlich verfehlt worden. Wenn GTAI-Prognosen zutreffen und bis Ende 2020 nur 1,3 Millionen ausländische Touristen ins Land gekommen sein sollten, beträgt der Rückgang gegenüber dem Vorjahr mehr als 70 Prozent.
Doch kubanische Touristikexperten geben sich optimistisch, auch die Coronakrise überleben zu können. Trump ist schon fast überstanden und die Covid-19-Pandemie wird - dank der auch in Kuba entwickelten Impfstoffe - ebenfalls irgendwann der Vergangenheit angehören, hoffen sie. Viele erwarten, dass unter dem künftigen Präsidenten Joseph Biden vielleicht in ein paar Monaten auch wieder US-Bürger frei reisen und Kuba besuchen dürfen, und sehen schon Kreuzfahrtschiffe an den Terminals im Hafen von Havanna liegen. Der Staat investiert in die touristische Infrastruktur und erweiterte Angebote. Allein in der Hauptstadt sind zehn neue Hotelbauten geplant, von denen einige weit fortgeschritten sind, andere wegen des Mangels an harter Währung aber bis auf weiteres auf Eis gelegt werden mussten.
Künftig sollen neben Hotels der Drei-, Vier- und Fünf-Sterne-Kategorie auch mehr kostengünstige Übernachtungsmöglichkeiten in einfachen Häusern und staatlichen Hostels angeboten werden. Von den erhofften wachsenden Einnahmen profitieren dann nicht nur der Staat, sondern auch die Beschäftigten direkt und damit die Binnennachfrage. In der staatlich betriebenen Reisebranche arbeiten immerhin rund 500.000 Menschen. Während dieser Teil der Beschäftigten weiterhin zumindest einen Teil der Löhne und Gehälter bezieht, werden private Kleinunternehmer und deren Angestellte von der Krise mit voller Wucht getroffen. Zimmervermieter stehen vor dem Nichts, ebenso wie viele Betreiber der »Paladares« genannten privaten Restaurants, deren Kellnerinnen und Kellner nun ohne Einkommen zu Hausesitzen. Die Coronapandemie hat die Euphorie über den privaten Sektor, der sich als krisenanfälliger als der staatliche erwies, deutlich gedämpft.
Mit zunehmender Öffnung des Landes für Touristen herrscht in Kuba jedoch das Prinzip Hoffnung. Mehr Besucher, so rechnet man, bedeuten mehr Arbeit und mehr Einnahmen, die letzten Endes, da 86 Prozent im staatlichen Sektor erwirtschaftet werden, der Gesellschaft zugutekommen. Ob solch optimistische Rechnungen aufgehen, ist allerdings ungewiss. Viele der potentiellen Gäste werden sich in den von wachsender Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Verarmung gebeutelten Industrieländern künftig keine längeren Reisen mehr leisten können.
Laut der Statistikbehörde Eurostat waren bereits vor Beginn der Coronapandemie 22,4 Prozent der EU-Bevölkerung, darunter 24,9 Prozent der Kinder, zu arm für eine Urlaubsreise. Und in der vergangenen Woche wurde gemeldet, dass bereits 50 Millionen US-Bürger nicht mehr genug zu essen haben. Da hilft Kuba auch nicht wirklich aus der Krise, wenn der künftige US-Präsident Biden seinen Landsleuten wieder mehr Reisefreiheit zugestehen sollte.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 16.12.2020