Nachrichten aus und über Kuba
Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.
55 Jahre auf Kurs
Nachrichten, Analysen, starke Leserbeteiligung: Kubas größte Tageszeitung Granma beging am Montag den Jahrestag ihrer Gründung.
Unbemerkt von westlichen Medien beging die größte Tageszeitung Kubas am Montag ihr 55. Jubiläum. Die erste zwölfseitige Ausgabe der Granma war in einer Auflage von 498.784 Exemplaren am 4. Oktober 1965 erschienen. Sie berichtete unter anderem über die am Vortag erfolgte Gründung der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), die durch eine Vereinigung der von Fidel Castro geführten »Bewegung des 26. Juli« mit der von dem Marxisten Blas Roca geleiteten Sozialistischen Volkspartei und einer weiteren Gruppierung erfolgt war. Castro hatte angeregt, auch die Zeitungen Hoy (Sozialistische Volkspartei) und Revolución (Bewegung 26. Juli) zu fusionieren, um die linken Kräfte im Informationssektor zu bündeln. Die so entstandene Granma (engl. Großmama) sollte an die Tradition der revolutionären Presse des Landes anknüpfen. Sie ist nach der gleichnamigen Yacht benannt, mit der am 2. Dezember 1956 82 Kämpfer unter Castros Führung in Kuba angelandet waren, um den Guerillakrieg gegen das Batista-Regime aufzunehmen.
Kaum Schönfärberei
In ihrer ersten Ausgabe veröffentlichte Granma auch Auszüge aus dem auf dem KP-Gründungskongress verlesenen Abschiedsbrief Ernesto »Che« Guevaras, in dem dieser begründete, warum er sich für den Guerillakampf in Bolivien entschieden hatte. Auch daran mag es gelegen haben, dass die Startauflage in kurzer Zeit ausverkauft war. Allerdings hat sich bis heute in dieser Beziehung nichts geändert. Wer am Kiosk eines der täglich in einer Auflage von einer halben Million produzierten Exemplare zum offiziellen Preis von weniger als einem Euro-Cent (20 Centavos in der nationalen Währung) kaufen will, muss früh aufstehen. Granma ist – trotz aller Versuche westlicher Politiker und Medien, sie als Verlautbarungsorgan zu diskreditieren – neben dem Fernsehen, zahlreichen Radiosendern und dem Internet nach wie vor die wichtigste Informationsquelle für die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung.
Das liegt auch an der guten Ausbildung und Professionalität der »Macher« und einem über das ganze Land verzweigten Korrespondentennetz, aber auch an dem Themenangebot. Neben nationalen und internationalen Nachrichten, gut recherchierten Berichten aus Bildung, Wissenschaft, Kunst und Sport, bietet die Zeitung Analysen zur politischen Situation und sozialen Bewegungen in Lateinamerika und der Welt sowie Hintergrundinformation über die Ursachen von Krisen, Kriegen, Armut, Hunger und Rassismus. Bewusst wird dabei auf die reißerische Aufmachung, plakative Sprache, Vereinfachungen und den oft vulgären Stil vieler westlicher Publikationen verzichtet.
Schönfärberei und Triumphalismus früherer Zeiten, die sowohl Fidel als auch sein Bruder und Nachfolger Raúl Castro häufig kritisiert hatten, sind selten geworden. Granma pflegt seit einigen Jahren einen neuen Stil ihrer Berichterstattung und bemüht sich um mehr Leserbeteiligung. Als die Zeitung freitags eine Doppelseite für Kritik an Missständen einführte, waren die dort veröffentlichten Beispiele oft Gesprächsstoff in Betrieben und Stadtteilen. Im Gegensatz zu üblichen Leserbriefspalten hakt die Redaktion bei kritisierten Behörden oder Unternehmen nach, fordert Stellungnahmen ein und überprüft später, ob Abhilfe geschaffen wurde. Die Leitung der Redaktion ist jung. Chefredakteurin Yailin Orta Riviera und die Chefin der in sechs Sprachen erscheinenden internationalen Ausgabe Granma Internacional, Arlin Alberty Loforte, sind Frauen in den 30ern.
Gegenöffentlichkeit
Obwohl Redaktion und Verlag durch die US-Blockade nur über knappe Budgets verfügen, stehen wirtschaftliche Interessen nicht im Vordergrund. Außer den Lesern fühlen die Macher sich vor allem der aufklärerischen Tradition revolutionärer kubanischer Medien verpflichtet. Dazu gehört die vom Freiheitskämpfer und Nationalhelden Carlos Manuel de Céspedes während des ersten Unabhängigkeitskrieges gegründete Zeitung El Cubano Libre, die Guevara beim Kampf in den Bergen der Sierra Maestra wieder zum Leben erweckt hatte. Auch der von »Che« und Fidel aufgebaute Sender Radio Rebelde diente den Revolutionären dazu, der Propagandamaschinerie des Diktators Fulgencio Batista mit eigenen Informationen zu begegnen. Einen ähnlichen Zweck verfolgten die beiden Revolutionsführer 1959 mit der Gründung der Nachrichtenagentur Prensa Latina, die Teil eines Konzepts für den Aufbau einer unabhängigen Gegenöffentlichkeit zu den Manipulationen der dominanten privaten Konzernmedien war.
Diesem Ziel hat Granma sich seit 55 Jahren verschrieben. »Der Medienkrieg ist nicht etwas Abstraktes, sondern jeden Tag eine Herausforderung für uns«, sagte Chefredakteurin Yailin Orta am vergangenen Donnerstag in der Fernsehsendung »Mesa Redonda«. Die Granma fühle sich verpflichtet, »die Wahrheit über unser Land zu verbreiten und kritisches Denken sowie antiimperialistisches und antikapitalistisches Bewusstsein zur Verteidigung des Sozialismus zu fördern«. Vor allem in Lateinamerika wird das weiterhin gut verstanden.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 08.10.2020