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Der Retter von Havanna
Kuba nimmt Abschied von seinem Hauptstadthistoriker Eusebio Leal
Im Alter von 77 Jahren ist am Freitag der Stadthistoriker von Havanna, Eusebio Leal Spengler, an den Folgen einer schweren Krankheit verstorben. In Kuba reagierten die Menschen voller Trauer auf diese Nachricht. Zu Ehren des »Retters von Havanna«, wie Leal oft genannt wurde, hängten die Einwohner der kubanischen Hauptstadt weiße Tücher aus ihren Fenstern. Das bezieht sich darauf, dass Leal den Menschen die Geschichte ihrer Stadt in Rundfunk- und Fernsehsendungen näher gebracht hat, indem er unter dem Titel »Spaziergang durch Havanna« besondere Gebäude und Plätze vorstellte. Die Titelmelodie der Sendereihe war das Lied »Sabanas Blancas« (Weiße Laken) des auch in Deutschland bekannten Liedermachers Gerardo Alfonso.
Präsident Miguel Díaz-Canel ordnete noch am Freitag Staatstrauer an, und die Granma widmete ihm in der Samstagausgabe nicht nur ihre Titelseite, sondern veröffentlichte sogar eine schnell erstellte Sonderbeilage über sein Leben. Auch die Unesco, die Kulturorganisation der Vereinten Nationen, würdigte den Verstorbenen, Beileidsbekundungen trafen aus aller Welt in Havanna ein. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro schrieb: »Man wird niemals über die moderne Geschichte Kubas sprechen können, ohne seiner unermesslichen Hinterlassenschaft Ehre zu erweisen. Meine Umarmung und tiefes Beileid dem kubanischen Volk, das heute seinen Flug in die Ewigkeit beweint.« Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez würdigte Leals »riesiges Werk, das für immer in den Straßen, der Kultur und der Geschichte Kubas weiterleben wird«. Radio Miami veröffentlichte ein Kondolenzschreiben von in den USA lebenden Kubanern: »Auch hier in den Vereinigten Staaten weht in unseren Herzen die kubanische Fahne auf Halbmast, als Symbol des Respekts, des Schmerzes und der Ehre für Eusebio, der nicht nur Historiker von Havanna, sondern Historiker Kubas und des ganzen großen lateinamerikanischen Heimatlandes war.«
Leals Familie hat entschieden, dass der Leichnam eingeäschert werden soll. Die offizielle Beisetzung wird jedoch erst stattfinden, wenn die Coronapandemie unter Kontrolle ist, damit die Bevölkerung von dem populären Historiker Abschied nehmen kann. Obwohl die Infektionszahlen auf der Insel sehr niedrig sind, gelten in Kuba nach wie vor strenge Abstandsregeln und Vorsichtsmaßnahmen, kein Staatsfunktionär tritt ohne Gesichtsmaske in der Öffentlichkeit auf.
Eusebio Leal wurde am 11. September 1942 in Havanna geboren. Sein zweiter Nachname Spengler weist auf seine deutschen Wurzeln hin: Seine Vorfahren, süddeutsche Calvinisten, waren 1808 nach Kuba ausgewandert. Leal pflegte dieses Erbe: Gerne ließ er sich von Besuchern aus der Alten Welt Weißwürste und andere kulinarische Andenken mitbringen. Er war gläubiger Katholik und überzeugter Kommunist, gehörte seit 1991 dem Zentralkomitee der kubanischen KP an und war seit 1993 Abgeordneter der Nationalversammlung.
Sein Hauptinteresse galt Zeit seines Lebens der Geschichte. 1967 wurde er zum Direktor des Stadtmuseums von Havanna ernannt. Über Jahrzehnte leitete er die Restaurierung wichtiger historischer Gebäude in der Hauptstadt, etwa der über dem Hafen thronenden Festung San Carlos de La Cabaña. Sein ehrgeizigstes Projekt war jedoch die Rettung und Instandsetzung der Altstadt von Havanna. Deren Bausubstanz war nach Jahrzehnten der Überbevölkerung in den Innenstadtvierteln und aufgrund fehlender Mittel für ihre Renovierung immer mehr verfallen, und es erforderte eine gigantische Kraftanstrengung des armen und von den USA blockierten Landes, die Gebäude zu retten. Vor zehn Jahren berichtete Leal im Gespräch mit junge Welt über die Situation: Habana Vieja, Alt-Havanna, sei ausgelegt für etwa 45.000 Bewohner, tatsächlich würden jedoch mehr als 75.000 Menschen dort leben. In einem einzigen Haus an der Plaza Vieja, dem Alten Platz, hätten 63 Familien gewohnt. »Es ist also ganz klar, dass diese Bevölkerungsdichte aufgelöst werden muss«, sagte er. »Aber das kann nicht administrativ gehandhabt werden.«
Unter Leals Leitung verzichtete Havanna darauf, die Bewohner mit Zwang zu vertreiben. Wer in Havanna geboren wurde, solle bleiben können, betonte der Stadthistoriker damals. Zugleich verwies er auf ein neues Stadtviertel, das hinter dem Hafen errichtet wurde, um den Einwohnern Platz zu schaffen. Heute hat sich Habana Vieja herausgeputzt, viele Plätze, Straßen und Gebäude erstrahlen in neuem Glanz. Doch nach wie vor bleibt viel zu tun, und die Verschärfung der US-Aggression gegen Kuba erschwert diese Arbeit. »Um eine Zimmerdecke in historischen Gebäuden zu reparieren, gibt es zwei Möglichkeiten: Beton oder Holz«, so Leal 2010 im jW-Gespräch. »Wenn wir aber den historischen Reiz des Hauses bewahren wollen, führt kein Weg an Holz vorbei.« Holz jedoch ist in dem waldarmen Kuba rar und muss importiert werden – was durch die Blockade erschwert und verteuert wird.
»Heute ist der Kubaner von uns gegangen, der im Auftrag Fidels Havanna gerettet hat«, schrieb Díaz-Canel auf Twitter. Leal habe diese Aufgabe mit einer solchen Leidenschaft übernommen, »dass sein Name schon nicht mehr seiner ist, sondern als Synonym für die Stadt steht«, so der kubanische Präsident.
Veröffentlichung |
Santiago Baez
junge Welt, 03.08.2020