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»Zynisch und menschenverachtend«

Druck aufbauen für Aufhebung der US-Blockade gegen Kuba. Ein Gespräch mit Hans-Peter Weymar, Mitinitiator einer Petition an die Bundesregierung.

Vor einer Woche haben Sie mit anderen Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur einen Aufruf initiiert, in dem Sie die Bundesregierung auffordern, sich aktiv für die Aufhebung der US-Blockade gegen Kuba einzusetzen. Wie ist die Aktion angelaufen?

Bereits innerhalb der ersten Woche haben sich mehr als 6.000 Menschen unserem Aufruf angeschlossen. Das ist ein guter Start. Aber wir hoffen natürlich, dass in den nächsten Wochen viel mehr Unterschriften dazukommen. Wir sind zuversichtlich, weil es um die Solidarität mit einem Volk geht, dem seit 60 Jahren Unrecht widerfährt.

Was war der Grund für Ihre Initiative zum jetzigen Zeitpunkt?

Der Würgegriff durch die seit 60 Jahren gegen Kuba verhängte Blockade wird seit dem Amtsantritt von Donald Trump immer fester – und damit die Schlangen vor fast allen Geschäften in Havanna immer länger. Für uns Initiatoren, sechs in Havanna lebende Deutsche, die im Kultur- und Wissenschaftsbereich tätig sind, ist diese Entwicklung nur schwer zu ertragen. Wir spüren jeden Tag die Folgen der Sanktionen. Als der deutsche »Entwicklungsminister« Gerd Müller kürzlich trotz Coronakrise und verschärfter US-Sanktionen ankündigte, Kooperationen auch mit Kuba auf den »Prüfstand« zu stellen, haben wir gesagt: Jetzt ist der Wahnsinn komplett. Wir wollten dem entgegenwirken. All dies geschieht ja in einer Zeit, in der kubanische Medizinerteams – trotz Blockade – in 27 Ländern der Welt Hilfe im Kampf gegen Corona leisten und Leben retten.

Welche Auswirkungen hat die US-Blockade auf den Alltag der kubanischen Bevölkerung?

Kubanische Unternehmen können wegen der Anwendung von US-Blockadegesetzen in Drittländern auf dem Weltmarkt viele Waren gar nicht mehr oder nur zu stark überhöhten Preisen erwerben. Als Folge davon wird das Angebot hier immer knapper. Obwohl der Staat versucht, die Preise stabil zu halten, werden viele Produkte auch teurer. All das wirkt sich natürlich in Coronazeiten für die Bevölkerung noch verheerender aus als sonst. Um die Ansteckungsgefahr zu reduzieren, wurden große Kaufhäuser und Supermärkte geschlossen, doch dadurch wuchsen die Schlangen vor Märkten und kleineren Läden weiter. Dies alles hier jeden Tag mitzuerleben ist für uns schwer auszuhalten. Wie unerträglich ist die Situation dann erst für all die Menschen, die Tag für Tag in den langen Schlangen anstehen müssen, um sich mit dem Notwendigsten zu versorgen.

Wie haben sich die Auswirkungen der US-Blockade in den vergangenen Jahren verändert?

Ich bin bereits vor drei Jahren in den »Genuss« gekommen, einige Folgen ganz persönlich zu erleben. Als ich mit meiner Kreditkarte kein Geld mehr aus dem Automaten ziehen konnte, schilderte ich meiner Bank das Problem und bekam folgende Antwort: »Eine Akzeptanz der Visa-Karte in Kuba kann nicht gewährleistet werden. Der Genehmigungsdienst in den USA lehnt Zahlungsanfragen der Visa-Karte aus Kuba grundsätzlich ab. Erfolgt die Anfrage über Europa, wird die Zahlung genehmigt. Auf den Weg der Anfrage hat Comdirect keinen Einfluss.« Das ist natürlich angesichts der riesigen Probleme, unter denen die Kubanerinnen und Kubaner leiden, nur eine Anekdote. Sie zeigt aber eine der zahlreichen Absurditäten im Alltag.

Nach meiner Wahrnehmung haben sich die Drangsalierungen durch die Trump-Administration bis etwa Mitte 2018 noch im Rahmen dessen gehalten, was wir hier als »normalen Wahnsinn« bezeichnen. Seitdem wurde der Druck aber erheblich verstärkt. Allein zwischen Juni 2018 und Mai 2019 sind der kubanischen Wirtschaft nach hiesigen Angaben knapp vier Milliarden US-Dollar an Zusatzkosten entstanden. Was ich in dieser Situation bewundernswert fand, war, dass der Staat trotz der sich verschärfenden Krise die Gehälter in diversen Bereichen nicht gekürzt, sondern um bis zu 100 Prozent erhöht hat.

Im vergangenen Jahr setzte Washington neue Daumenschrauben an. So verbot die US-Administration ihren Bürgern – mit wenigen Ausnahmen –, nach Kuba zu reisen. Ein weiterer Schlag, der auch zahlreiche private Zimmervermieter, Restaurantbetreiber und Taxifahrer traf. Dann wurden Öltanker daran gehindert, die Insel anzulaufen. Die Folgen bekamen hier alle zu spüren: Ich habe ebenso wie Tausende andere dreimal in einer schier endlosen Autoschlange vor einer Tankstelle angestanden – Wartezeiten zwischen drei und vier Stunden. Zunächst glaubst du, das kann nie etwas werden – aber dann, mit ein wenig Geduld, die hier fast allen zu eigen ist, funktioniert es doch.

Kreuzfahrtschiffe sind, nach regen Besuchen in der Obama-Zeit, so gut wie nicht mehr in den Häfen zu sehen. Überall ist das gleiche Muster erkennbar: Entweder hindert ein direktes Verbot oder die Furcht vor der »Allmacht« der US-Administration die Betreiber am Geschäft mit Kuba. All das sind nur Beispiele aus einem Dickicht von Sanktionen und Blockadeschikanen.

Welchen Einblick haben Sie in die Auswirkungen der Blockade auf den Kulturbereich?

In den vergangenen zwei Jahren sind mehrere Aktivitäten kubanischer Künstler in den USA abgesagt worden, ganz offensichtlich aufgrund politischen Drucks. Aus denselben Gründen wurden auch bereits vereinbarte Musikworkshops in Kuba mit US-amerikanischen Studenten verhindert. Dazu muss man wissen, dass es trotz aller Probleme zwischen Künstlern der beiden Staaten immer einen regen kulturellen Austausch gegeben hat. Nun wird jedoch eine Vermarktung kubanischer Kunst und Kultur in den USA fast komplett verhindert, auch in anderen Ländern, da finanzielle Transaktionen kaum noch möglich sind. Außerdem wird kubanischen Künstlern verwehrt, die mit errungenen Kulturpreisen verbundenen Gelder in Empfang zu nehmen. Darüber hinaus scheuen ausländische Agenturen zunehmend das Risiko, kubanische Künstler einzuladen, da sie Probleme mit dem für sie wichtigen Markt in den USA befürchten. Filmproduzenten wie auch das staatliche ICAIC (Kubanisches Institut für Filmkunst und Filmindustrie, jW) klagen darüber, dass sie kein Equipment mehr erwerben oder sich dies nur über Umwege und dann erheblich verteuert besorgen können.

Bekommen Sie mit, ob und wie das Gesundheitssystem durch die Blockade beeinträchtigt ist?

Es wird immer schwieriger, medizinische Geräte und Hilfsmittel zu importieren. Im Alltag deutlich zu spüren ist die Medikamentenknappheit. Wie die Krankenhäuser ihre Versorgung organisieren, kann ich nicht beurteilen. Doch selbst in diesen Krisenzeiten bin ich in einer ambulanten Klinik auf sehr freundliches und engagiertes Personal getroffen. Einen Höhepunkt der inhumanen und perversen US-Politik haben wir im April erlebt, als die Insel – unter Berufung auf die Blockade – von Firmen, die langjährig Beatmungsgeräte geliefert hatten, abgeschnitten wurde. Zynischer und menschenverachtender geht’s nicht.

Trotzdem scheint Kuba die Ausbreitung des Coronavirus unter Kontrolle zu haben. Wie sicher fühlen Sie sich derzeit in Havanna?

Nach allem, was wir aus europäischen Staaten und den USA gesehen, gehört und gelesen haben, fühlen wir uns hier sehr wohl und sicher. Im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern leben wir, was Corona betrifft, absolut auf der Sonnenseite. Regelmäßig klopfen medizinische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an unsere Tür und erkundigen sich nach der Gesundheit der Familie. Und das geschieht überall in der Stadt.

Zurück zur Petition. Deutschland unterstützt jedes Jahr in der UN-Generalversammlung den Antrag Kubas zur Beendigung der US-Blockade. Reicht das nicht?

Ganz offensichtlich nicht. Außer dass mal gesagt wird »Lieber Onkel Trump, das finden wir jetzt aber nicht so nett«, passiert ja so gut wie nichts. Statt dessen wird die Entwicklungszusammenarbeit zur Disposition gestellt, ein unglaublicher Zynismus. Wir haben in unserer Initiatorengruppe über den Adressaten der Petition diskutiert und sind gemeinsam zu dem Ergebnis gekommen, sie an die Bundesregierung, gerade angesichts derer am 1. Juli beginnenden EU-Ratspräsidentschaft, zu richten. Über die Erfolgschancen lässt sich nur spekulieren. Uns ist klar, dass wir damit nicht die Welt verändern, vielleicht ist es aber unser kleiner Beitrag, der mit anderen zusammen etwas in Bewegung setzen kann.

Online-Petition: https://www.change.org/Cuba

Hans-Peter Weymar ist Autor, Regisseur und Produzent zahlreicher Dokumentarfilme, unter anderem über afrikanische Länder, Türkei/Kurdistan und Kuba. Seit 2013 lebt der aus Hamburg stammende Filmemacher mit seiner Familie in Havanna.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Interview: Volker Hermsdorf
junge Welt, 01.07.2020