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Starkes Immunsystem

Raúl Capote unterwanderte das CIA-Netzwerk in Kuba. Sein Buch liegt nun endlich übersetzt vor.

Als Fidel Castro sich im Juli 2006 schwer erkrankt von allen Ämtern zurückzog, versuchten US-Geheimdienste, in Kuba einen »Volksaufstand« anzuzetteln. Antikommunistische Gruppen wurden angewiesen, durch gewalttätige Aktionen Zusammenstöße mit Ordnungskräften zu provozieren. Der im Dienst der CIA stehende Schriftsteller und Universitätsprofessor Raúl Antonio Capote sollte die Regierung der Vereinigten Staaten im Namen der kubanischen Bevölkerung um eine Intervention der US-Armee bitten, um »ohne Chaos und Blutvergießen den Übergang zur Demokratie« zu ermöglichen. Doch der erhoffte Aufstand fand nicht statt: Die bezahlten Handlanger Washingtons hatten sich nicht aus ihren Löchern getraut, und Raúl Capote, der CIA-Agent »Pablo«, war in Wirklichkeit als »Daniel« für die kubanische Staatssicherheit tätig.

Als die Anweisung aus Langley kam, eine militärische Besetzung Kubas zu verlangen, »die den Tod tausender Landsleute bedeutet hätte«, sei das der schwerste Moment während seiner Zeit als Undercoveragent in der CIA gewesen, schreibt Capote in seinem Buch »Der andere Mann in Havanna«. Unter dem Titel »Enemigo« (Feind) wurde es 2012 bei der 21. Internationalen Buchmesse in Havanna präsentiert und gehörte dort zu den meistverkauften Büchern. Erst Ende 2019 ist Capotes spannender Insiderbericht, der tiefe Einblicke in die Arbeitsweise der US-Geheimdienste gewährt, endlich auch in deutscher Sprache erschienen.

Capote beschreibt, wie US-Agenten mit den von ihnen gesteuerten Kräften Umstürze vorbereiten – und welche Möglichkeiten ihnen dafür zur Verfügung stehen. Obwohl die Erfahrungen des Autors länger als ein Jahrzehnt zurückliegen, sind seine Darlegungen weiter aktuell. Die von Capote geschilderten CIA-Strategien zur Destabilisierung eines Landes waren im November vergangenen Jahres beim Putsch in Bolivien erfolgreich; sie werden in Kuba, Venezuela, Nicaragua und vielen anderen Ländern weiter verfolgt. In Kuba setzen die US-Dienste, deren Hoffnungen auf eine Beseitigung der sozialistischen Regierung immer wieder vergeblich waren, jetzt auf die »Enkel der Revolution«, die sie mit neoliberaler Ideologie zu indoktrinieren und mit den Versprechungen einer Konsumgesellschaft zu locken versuchen. Hierbei sollte Capote ihnen mit Methoden, die er ausführlich beschreibt, zur Hand gehen.

Der 1961 geborene Autor gehörte in jungen Jahren zu einer Gruppe kritischer Schriftsteller und hatte sich als Vizepräsident der Vereinigung »Hermanos Saíz« in Cienfuegos mit Bürokraten angelegt, die jungen Autoren Steine in den Weg legten. Das blieb nicht unbemerkt. Mit dem Angebot, ihn und seine Publikationen zu fördern, nahmen europäische Diplomaten sowie Vertreter US-amerikanischer Universitäten und Stiftungen Kontakt zu ihm auf. Zunächst erbaten sie Informationen über die Stimmungslage unter Schriftstellern und Studenten. Dann folgte das Angebot, eine Agentur zur Unterstützung von Autoren, Musikern und anderen Künstlern aufzubauen und anzuleiten. Das »Projekt Genesis« verfolgte letztlich das Ziel, jungen Leuten den »American Way of Life« nahezubringen.

Schließlich wurde Capote unter dem Decknamen »Pablo« zum Agenten der CIA, mit Nachrichtentechnik ausgerüstet und in Chiffrierverfahren geschult. Von einer »Quelle« wird »Pablo« zum Spitzenagenten, dem analytische und organisatorische Aufgaben übertragen werden, bis ihm schließlich die »Ehre« zuteil werden soll – das Guaidó-Muster ist unverkennbar –, die USA im Nahmen des kubanischen Volkes um eine Intervention zu bitten. Als »Lohn« wurde ihm »nach Beendigung des Auftrags«, dem dann aber immer ein anderer folgte, eine hochdotierte Professur an einer Prestigeuniversität in den USA in Aussicht gestellt. »Sie sind nicht in der Lage zu verstehen, dass es Männer und Frauen gibt, die man nicht kaufen kann«, urteilt Capote rückblickend über seine Auftraggeber. Die stärkste Belastung bei der Arbeit für den Feind, räumte er im März 2011 nach Beendigung seiner Tätigkeit ein, sei für ihn gewesen, die Verachtung der eigenen Familie, der Freunde, seiner Studenten und der nächsten Nachbarn über Jahre schweigend zu ertragen.

»Der andere Mann in Havanna« ist kein Spionagethriller, auch wenn der Titel zur Assoziation mit Graham Greenes Roman »Unser Mann in Havanna« verleitet und sich das Buch stellenweise so liest, sondern ein authentischer Tatsachenbericht. Dabei verfällt der Autor nicht in Schwarzweißmalerei. Capotes durchaus sympathische Schilderung der US-Diplomatin Kelly Keiderling geht so weit, dass beim Lesen der Verdacht aufkommt, er könne dem Stockholm-Syndrom erlegen sein. Doch Capote betont, er sei wie die meisten Kubaner »eifersüchtig auf die Unabhängigkeit seines Landes« bedacht. Hier liegt ein Schlüssel zum Verständnis dafür, warum Washington trotz 60jähriger Blockade und immer weiter verfeinerter Destabilisierungsmethoden in Kuba keinen Erfolg hatte. Den meisten Kubanern ist heute mehr denn je bewusst, dass alle Länder, in denen die USA mit einem »Regime-Change« Erfolg hatten, ihre Unabhängigkeit und den inneren Frieden eingebüßt haben. Dieses Bewusstsein stärkt das politische Immunsystem der Kubaner.

Capotes Buch ist spannend und konzentriert geschrieben. Nur zum Ende hin schweift der Autor mit ausgiebigen Schilderungen von Ausflügen mit CIA-Kontaktleuten, die keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn liefern, vom eigentlichen Thema ab. Insgesamt beeinträchtigt das jedoch – wie auch die auf den ersten Blick etwas merkwürdige Übersetzung aus einer italienischen Übersetzung und einige Fehler, die bei sorgfältigerem Lektorat vermeidbar gewesen wären – weder Informationsgehalt noch Lesbarkeit.

Raúl Capote: Der andere Mann in Havanna. Zambon, Frankfurt am Main 2019, 303 Seiten, 15 Euro

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf

junge Welt, 24.02.2020