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Nachrichten aus und über Kuba

Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Eigentum und Gesellschaft

Kubas Wirtschaft wird durch ein weit verzweigtes Netz aus Kollektiven gestützt.Mitglieder teilen sich Gewinn und bestimmen über Produktion.

Für Bürger und Besucher Havannas war die Fahrt zur Arbeit oder zu Freunden in einen anderen Stadtteil bis vor einigen Jahren eine echte Herausforderung. Wer kein eigenes Gefährt besaß, war auf überfüllte staatliche Busse oder oder die »Almedrones« (private Sammeltaxis) angewiesen, deren Fahrer oft den doppelten Fahrpreis verlangten. Es war wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Bis neue Transportgenossenschaften wie die Cooperative 1 und 2 mit ihren gelben, als »Rutero« oder »Metrotaxi« bezeichneten Bussen oder Taxis eine preiswerte Alternative anboten. Seit 2015 ergänzen diese das staatliche und private Nahverkehrsangebot, zum Vorteil der Fahrgäste und der Beschäftigten, denen sie Arbeitsplatz und Einkommen verschafften.

Solidarität gesetzlich verankert

In Kuba gibt es derzeit etwa 5.000 Kooperativen in der Agrarwirtschaft, erklärte der stellvertretende Landwirtschaftsminister Ydael Jesús Pérez Brito Anfang Februar im jW-Gespräch. Außerhalb der Landwirtschaft sind es mittlerweile knapp 500 Genossenschaften, die vorwiegend in der Gastronomie, im Handwerk, Fischfang, Baugewerbe, Dienstleistungssektor und Transportwesen eine Ergänzung zu staatlichen Betrieben und den als »Cuentapropistas« bezeichneten Beschäftigten auf eigene Rechnung oder privaten Zimmervermietern bieten. Die rechtliche Grundlage dafür bilden ein neues Genossenschaftsgesetz, das als Ergebnis der vom 6. Parteitag der KP Kubas im Jahr 2011 eingeleiteten und »Aktualisierung« genannten Veränderungen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft verabschiedet worden war. Und die seit April 2019 geltende neue »Magna Carta« räumt den Genossenschaften, neben staatlichen, halbstaatlichen und privaten Eigentumsformen, erstmals Verfassungsrang ein. Auch der ebenfalls im April 2019 vom Parlament verabschiedete »Nationale Plan zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung bis zum Jahr 2030« empfiehlt den Ausbau der Kooperativen und »verschiedener anderer Formen des Eigentums und des Wirtschaftens«, hebt zugleich aber die »Beibehaltung und Festigung der entscheidenden Rolle des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln« hervor.

Während sich das Kooperationswesen in Europa bereits im 19. Jahrhundert und bis Mitte des 20. Jahrhunderts auch in Venezuela, Argentinien und anderen lateinamerikanischen Ländern entwickelt hatte, gab es in Kuba bis zur Revolution kaum Genossenschaften. Nach Aufständen der Landbevölkerung und der 1939 auf dem Ersten Bauernkongress erhobenen Forderung nach einer Bodenreform verpflichtete die Verfassung von 1940 den Staat dazu, Kooperativen zu fördern. Tatsächlich wurde dieses Gebot jedoch nie e. Der junge Anwalt Fidel Castro griff die Forderung der Bauern 1953, in seiner Verteidigungsrede nach dem gescheiterten Angriff auf die Moncada-Kaserne, wieder auf. In dieser Rede skizzierte Castro »fünf Revolutionsgesetze«, die nach dem Sturz der Diktatur umgesetzt werden sollten. Eines davon sah genossenschaftliches Eigentum als Basis für eine Agrarreform vor. Noch während des Guerillakrieges erließen die Rebellen in den befreiten Gebieten 1958 das »Gesetz Nummer 3 Über das Recht der Bauern auf Grund und Boden«. In dessen Geist verfasste die revolutionäre Regierung nach dem Sieg das am 17. Mai 1959 verabschiedete Gesetz über die Bodenreform. Während 10.000 Großgrundbesitzer enteignet wurden, gewannen die Familien von 150.000 bis dahin landlosen Bauern eine Existenzgrundlage. Die zweite Agrarreform begrenzte 1963 den privaten Landbesitz auf 67 Hektar pro Person. Schon nach dem ersten Agrarreformgesetz war am 3. Mai 1960 das »allgemeine Statut für Genossenschaften« erlassen worden. Es erklärte die Landarbeiter zu Kollektiveigentümern des Bodens und der Produkte.

Junge Geschichte

Die ersten dieser Zusammenschlüsse wurden auf enteigneten Plantagen gegründet. 1961 bewirtschafteten 621 Zuckerrohrkooperativen (CC) bereits 876.142 Hektar Land. Die meisten wurden jedoch wegen schlechter Ergebnisse Mitte der 1960er Jahre wieder aufgelöst und in staatliche »Volksganjas« umgewandelt. Anfang der 1970er Jahre entstanden dann Kredit- und Dienstleistungskooperativen (Cooperativa de Crédito y Servicios, CCS), in denen das Land durch Familienangehörige oder angestellte Arbeitskräfte bearbeitet wurde. In den rund 2.500 CCS besitzen die jeweils zwischen zehn und 40 Mitgliedern das Land, können es vererben oder an den Staat verkaufen. Ab 1976 kamen landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (Cooperativa de Producción agraria, CPA) dazu, von denen noch rund 1.000 mit jeweils zwischen 40 und 300 Mitgliedern existieren. Die Mitglieder dieser Kooperativen besitzen das Land, bearbeiten es kollektiv, werden täglich entlohnt und erhalten Wohnung sowie Transport gestellt. Gewinne der Kooperative werden jährlich unter den Mitgliedern aufgeteilt. Mit der »Sonderperiode« nach dem Verschwinden der sozialistischen Länder Osteuropas kamen ab 1993 die Basiseinheiten der Kooperativen Produktion (Unidades Básicas de Producción cooperativa, UBPC) als jüngste Form einer Genossenschaft im Agrarbereich hinzu. In der UBPC ist das Land Staatsbesitz, wird aber unbefristet und kostenlos an die Kooperative verpachtet. Die Mitglieder besitzen den Betrieb, wählen dessen Leitung und erhalten, je nach ihrer Beteiligung an der Arbeit, einen individuellen Lohn. Die UBPC produziert meist neben ihrem Hauptprodukt auch Lebensmittel zum Verkauf und macht derzeit den größten Teil in der kubanischen Landwirtschaft aus. Mit den Genossenschaftsmodellen CCS, CPA und UBPC existieren heute in Kuba einschließlich des staatlichen und des privaten Sektors fünf Varianten der landwirtschaftlichen Produktion.

Bei den außerhalb des Agrarsektors gegründeten neuen Kooperativen gab es zunächst auch Startschwierigkeiten und Fehlentwicklungen. Einige Unternehmen verlangten überhöhte Preise, andere stellten mehr Mitarbeiter als zulässig ein. Etliche Genossenschaften zahlten ihren Direktoren unverhältnismäßige Gehälter, obwohl diese maximal das Dreifache des niedrigsten Lohns eines Mitglieds betragen dürfen. Als Reaktion auf derartige »Verfehlungen« traten Ende vergangenen Jahres neue Verordnungen in Kraft, die Beschäftigte, Mitglieder und Kunden schützen sollen. Diese Regelungen ermöglichen es lokalen Behörden, Preisobergrenzen einzuführen, und sie schränken auch das unkontrollierte Wachstum einer Genossenschaft ein. Trotz der Anlaufprobleme werden mit dem Ausbau von an sozialen Kriterien orientierten Kooperativen im kubanischen Wirtschaftssystem gemeinwirtschaftliche Alternativen zum Privatsektor gefördert. Dazu gehört auch die Möglichkeit des Zusammenschlusses unterschiedlicher Kooperativen, etwa aus den Bereichen Landwirtschaft, Vertrieb und Transport. Führende Politiker haben mehrfach betont, dass Genossenschaften gegenüber anderen Organisationsformen im nichtstaatlichen Sektor in bezug auf Kredite und Aufträge bevorzugt werden sollen. Die Kooperativen bilden damit neben den staatlichen Unternehmen – wobei die neue Verfassung diese als »sozialistisches Eigentum des gesamten Volkes, das vom Staat repräsentiert wird« definiert – die zweite Säule der kubanischen Wirtschaft. Der private Anteil ist zwar willkommen und in der Verfassung abgesichert, er ist jedoch lediglich eine Ergänzung zu Staatsbetrieben und Genossenschaften.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Volker Hermsdorf
junge Welt, 22.02.2020