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Wahrheit stirbt zuletzt

Jahresrückblick 2019: Mumia Abu-Jamal. Hoffnung auf Freiheit nach 38 Jahren. Neu aufgetauchte Beweise ermöglichen Berufung.

Die Hoffnung, dass der juristische und politische Kampf für den in den USA im Juli 1982 ursprünglich zum Tode verurteilten politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal endlich zu seiner Freilassung führt, hat in diesem Jahr neue Nahrung erhalten.

Der weit über seine Heimatstadt Philadelphia hinaus bekannte Radiojournalist und Bürgerrechtler Abu-Jamal war in den frühen Morgenstunden des 9. Dezember 1981 durch eine Polizeikugel schwer verletzt und anschließend auf dem Weg in die Haft von Polizisten fast zu Tode geprügelt worden. Er überlebte nur knapp, wurde aber von der rassistischen Polizeiführung und der unter Schwarzen für ihre Voreingenommenheit berüchtigten Staatsanwaltschaft Philadelphias sofort zum »Polizistenmörder« erklärt. Er sollte für den Tod des Polizisten Daniel Faulkner, der ihn mit einem Lungenschuss niedergestreckt hatte und danach von einem flüchtenden Dritten selbst erschossen wurde, verantwortlich sein. Eine wichtige Rolle spielten dabei Informationen aus umfangreichen Geheimakten der US-Bundespolizei FBI, die Abu-Jamal überwacht hatte, seit der 1954 Geborene als Fünfzehnjähriger Mitglied der Black Panther Party wurde.

Erst im Laufe der 1980er Jahre kam eine zunächst nationale, dann schrittweise auch internationale Solidaritätskampagne für Abu-Jamal in Gang, die durch ihre Unterstützung der ehemals von den US-Bürgerrechtsanwälten Leonard Weinglass (1933–2011) und Robert R. Bryan geleiteten Verteidigungsteams im beharrlichen Kampf mit der Justiz zumindest durchsetzen konnte, dass ein US-Bundesgericht das Todesurteil gegen Abu-Jamal in lebenslange Haft umwandelte. Nach fast dreißig Jahren Haft in der Isolation der Todeszelle wurde Abu-Jamal 2011 in den Normalvollzug verlegt, wo er sich dem »Slow Death«, dem langsamen Tod durch die physische Auszehrung, ausgesetzt sieht.

»Lassen Sie Gerechtigkeit für Mumia geschehen!« hatten am 5. Januar 2019 Abu-Jamals Unterstützer auf einer Kundgebung vor der Bezirksstaatsanwaltschaft in Philadelphia lautstark skandiert. Lawrence »Larry« Krasner, der ein Jahr zuvor mit breiter Zustimmung der schwarzen Gemeinde zum neuen Leiter der Anklagebehörde gewählte liberale Anwalt, sollte an sein Versprechen erinnert werden, »grundlegende Veränderungen« in der Justiz bewirken zu wollen. Die Solidaritätsbewegung befürchtete, Krasner könnte dem Druck der rechten Polizeibruderschaft »Fraternal Order of Police« (FOP) nachgeben und Berufung gegen eine Entscheidung des Richters Leon Tucker vom Philadelphia Court of Common Pleas einlegen. Überraschend hatte der Richter des von Abu-Jamal angerufenen Straf- und Zivilgerichts am 27. Dezember 2018 eine erneute Prüfung der vom höchsten Gericht des US-Bundesstaats abgelehnten Berufungsanträge angeordnet. Abu-Jamal erklärte dazu, er habe es nun »das erste Mal mit einem Richter Pennsylvanias zu tun, der nicht von der anderen Seite gekauft« sei.

Nach zähem Ringen von Abu-Jamals gegenwärtigem Anwaltsteam mit Philadelphias Justiz und widersprüchlichem Verhalten von Bezirksstaatsanwalt Krasner erklärte dieser schließlich am 17. April dieses Jahres, er werde sich dem Berufungsbegehren Abu-Jamals nicht länger entgegenstellen. Damit war der Weg für den seit Jahren gesundheitlich stark angegriffenen Abu-Jamal frei, seine Verurteilung wegen Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner aus dem Jahr 1982 erneut vor dem Obersten Gerichtshof Pennsylvanias anzufechten. Letzter Anlass für Krasners Einlenken war Richter Tuckers erneuter Beschluss, mit dem er das Recht Abu-Jamals bekräftigte, seine abgelehnten Berufungsanträge aus den Jahren 1996 bis 2014 erneut höchstrichterlich verhandeln zu lassen. Dieses Recht bestehe unzweifelhaft wegen der Befangenheit, die Ronald Castille, einer der Vorgänger Krasners, durch seine ungesetzliche Doppelfunktion als Leiter der Anklage im Prozess gegen Abu-Jamal und später als Oberster Richter bei der Ablehnung seiner Berufungsanträge und Beschwerden eingenommen hatte, so Tucker.

Ausschlaggebend für das Einlenken Krasners dürfte vor allem das Auffinden neuer Beweise dafür gewesen sein, dass es in den staatsanwaltschaftlichen Vorermittlungen und im Gerichtsverfahren gegen Abu-Jamal rassistische Vorurteile und eine Manipulation von Zeugenaussagen und angeblicher »Fakten« für seine Täterschaft gab. Die Beweise für Abu-Jamals Unschuld, waren in den letzten Monaten bei der Auswertung des Inhalts von sechs Archivkartons zum Vorschein gekommen, die in einem Lagerraum des Gebäudes der Anklagebehörde »zufällig« aufgefunden worden waren. Dazu erklärten Judith L. Ritter und Samuel Spital von Abu-Jamals Verteidigungsteam, sie bewiesen die Verfassungswidrigkeit des Urteils gegen ihren Mandanten. Die Staatsanwaltschaft habe ihre Hauptbelastungszeugen »durch Geldzuwendungen und Straferlass manipuliert, um Abu-Jamal fälschlicherweise als den Schützen zu identifizieren«. Ihr Mandant habe immer schon gesagt, er sei unschuldig, betonte Anwältin Ritter, »und die neuen Dokumente widerlegen die Behauptungen von Polizei und Anklage, wie Officer Faulkner angeblich zu Tode kam«.

Um den Druck auf die US-Justiz zu verstärken, Abu-Jamal nach 38 Jahren endlich freizulassen, fand am 7. Dezember in Philadelphia ein gut besuchter Kongress mit Arbeitsgruppen und Podiumsdiskussionen statt. Veranstalter waren die Bündnisse »Mobilization for Mumia« und »International Concerned Family and Friends of Mumia Abu-Jamal«, unterstützt von weiteren Organisationen der Solidaritätsbewegung.

Abu-Jamal gelang es während der Veranstaltung durch einen Anruf aus dem Staatsgefängnis Mahanoy in Pennsylvania direkt zu den Anwesenden zu sprechen. »Das sind hässliche Zeiten«, sagte er mit Bezug auf den aktuellen Streit um Klima- und Umweltschutz. »Die Luft ist verpestet, das Wasser vergiftet.« Doch die Herrschenden wollten den Zugriff auf die Welt behalten. »Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Milliardäre gesehen, die sich um ein öffentliches Amt bewerben. Sie wollen Präsident sein, sie wollen Bürgermeister sein, sie wollen Senatoren sein, sie wollen Gouverneure sein. Warum? Weil sie alles wollen!« Er dankte den Anwesenden für ihre solidarische Unterstützung, mahnte aber: »Es geht nicht nur um mich, es geht um uns alle. Wenn wir das nicht endlich begreifen, wird der ganze Scheiß bald Wirklichkeit!«

Megan Malachi von »Philly for real justice« betonte danach, die »Bewegung für Mumia« habe in mehr als drei Jahrzehnten »durch harte Arbeit und Spenden« konsequent für seine Freiheit gekämpft. Die Unterdrückten kämpften »gegen ein faulendes und dekadentes System mit scheinbar unbegrenzten Ressourcen, ein System aus Gewalt und Gier, aber wir sind mutig und werden gewinnen«, zeigte sich die Aktivistin überzeugt.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung von

junge Welt

Jürgen Heiser

junge Welt, 30.12.2019