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Deutsche Spuren in Havanna
Neben einer tiefen Verbundenheit mit Karl Marx sind in Kuba zahlreiche kulturelle Einflüsse erhalten geblieben.
Der Name H. Upmann steht für eine der beliebtesten kubanischen Zigarren: »H. Upmann Habana«. Die Fabrik in der Calle El Vedado trägt heute den Namen »José Martí«
Foto: Wanda Canals / Rolando González Patricio
Denkt man an Havanna, kommt vielen europäischen Touristen sofort eine Straßenszene in den Sinn: Spanische Kolonialarchitektur, auf der Straße rollt ein Cadillac von 1957, der Fahrer mit Zigarre in der Hand ruft einer schönen Frau ein Kompliment hinterher. Aber wer die Hauptstadt der sozialistischen Inselrepublik Kuba etwas besser kennt, weiß, dass zwischen Balkonen im Kolonial- und Prachtbauten im Jugendstil Juwelen der kubanischen Moderne überraschen können, die den ästhetischen Lehren des Bauhauses viel zu verdanken haben. Kenner wissen auch, dass ein 1960er Mercedes-Benz Ponton oder ein 1975er Motorrad der DDR-Marke MZ über die Straße fegen kann. Dass der Tabak, den der Cadillac-Fahrer raucht, vielleicht zur beliebtesten Marke der Insel gehört: H. Upmann. Dass die schöne Frau den Nachnamen Kessel oder Bosch tragen kann. Und dass dies ein Land mit einem tief von Marx inspirierten Sozialismus ist.
Alexander von Humboldt ist an vielen Stellen Havannas allgegenwärtig: Hier im Garten der Universität
Foto: Wanda Canals / Rolando González Patricio
Der deutsche Einfluss ist zwar einer der weniger beachteten, doch wesentlichen Faktoren für die Gestaltung der heutigen kubanischen Identität. In der hauptsächlich spanisch und afrikanisch geprägten karibischen Hauptstadt mangelt es nicht an diesen Spuren in Kultur, Kunst, Wissenschaft und Technologie, Philosophie, Handel und in vielen anderen Bereichen. Hinterlassen von jenen Deutschen, die auf Kuba heimisch wurden oder die Insel während der Migrationswellen im 19. und 20. Jahrhundert auf der Durchreise passierten.
Auch Motorräder, die vor Jahrzehnten das sächsische MZ-Werk in Zschopau verließen, finden sich heute auf den Straßen Kubas
Foto: Wanda Canals / Rolando González Patricio
Bekanntestes Beispiel ist wahrscheinlich Alexander von Humboldt (1769–1859), der eine besonders enge Beziehung zu Kuba entwickelte. Das Werk des Naturforschers, das er auf der Insel und über diese geschaffen hat, lässt ihn als zweiten »Entdecker« gelten. Zudem verfasste er mit seiner 1826 veröffentlichten Studie »Politischer Essay über die Insel Kuba« eine fundamentale Kritik europäischer Kolonialwirtschaft, Sklaverei und des Handels mit Sklaven. Die »Casa Humboldt«, in der er mehrere Monate lebte und seinen Studien nachging, ist heute für die öffentlichkeit im historischen Zentrum Havannas zugänglich.
Auf Kubas ältestem jüdischen Friedhof in Guanabacoa sind auch viele Deutsche begraben, die in den 1930er Jahren vor den Nazis fliehen mussten
Foto: Wanda Canals / Rolando González Patricio
Auch in der kubanischen Industrie spielt die deutsche Komponente eine Rolle. So kann man zum Beispiel nicht über die Geschichte des Schnupftabaks auf der Insel sprechen, ohne die Brüder zu erwähnen, die die bekannte Zigarrenmarke gegründet haben, welche bis heute ihren Nachnamen trägt: H. Upmann. Heute sind viele der Gebäude wie Fabriken, Lagerhäuser oder Banken, die von den damaligen Unternehmern errichtet worden waren, umfunktioniert worden. Andere erfüllen nach wie vor den Zweck, für den sie vor mehr als einem Jahrhundert konzipiert wurden.
Das Solimar-Gebäude, das 1944 errichtet wurde und mit seiner geschwungenen Form auf die Architektur von Erich Mendelsohn zurückgreift
Foto: Wanda Canals / Rolando González Patricio
Unter uns Kubanern gibt es Kreolen mit den Familiennamen Schmidt, Kessler oder Klaus, um nur einige zu nennen. Die deutsche Emigration nach Kuba verlief in verschiedenen Phasen: Die erste begann im 19. Jahrhundert mit der Ankunft von Kaufleuten, Bankiers und Industriellen, die mit der Tabak-, Zucker- und Kaffeeproduktion verdienten. Die zweite Phase begann Anfang des 20. Jahrhunderts, als angesichts des Ersten, später dann des Zweiten Weltkriegs nicht wenige Deutsche Zuflucht in Havanna suchten – sei es, um Kuba auf ihrem Weg in die Vereinigten Staaten als vorübergehende Heimat anzunehmen, sei es, um sich dauerhaft niederzulassen. Die dritte Phase setzte mit dem Sieg der kubanischen Revolution ein und zeugte von der engen Beziehung zwischen Kuba und der Deutschen Demokratischen Republik.
Das Teatro Karl Marx: größtes und renommiertestes Theater auf Kuba
Foto: Wanda Canals / Rolando González Patricio
Der deutsche Einfluss zeigt sich auch in anderen Bereichen vielfältig, Spuren sind überall in der Hauptstadt gegenwärtig. Beispielsweise in den Kurven des Solimar-Gebäudes, die auf den Architekten Erich Mendelsohn zurückgehen, oder an der Bauhaus-Fassade des ehemaligen Sitzes der Zeitung El País. Das deutsche Kunst- und Literaturgenie Johann Wolfgang von Goethe ist mit seiner berühmtesten Figur im Namen des Faust-Theaters am Prado verewigt worden. Und unter dem Dach des größten und namhaftesten Theaters des Landes wird Karl Marx Tribut gezollt. Deutsche Einflüsse haben sich in der philosophischen, literarischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Produktion mehrerer Generationen kubanischer Intellektueller niedergeschlagen – und diese wurde dadurch nicht weniger kubanisch, sondern universeller.
Neben anderen altbekannten Marken noch immer fahrtüchtig unterwegs: Ein 1960er Mercedes-Benz Ponton
Foto: Wanda Canals / Rolando González Patricio
Veröffentlichung |
Wanda Canals und Rolando González Patricio, Havanna
junge Welt, 19.10.2019