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Die Lage ist ernst
Versorgungsengpässe und Lebensmittelrationierung: Die Situation auf Kuba nach der erneuten Verschärfung der US-Blockade.
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Wenn am heutigen Montag in Kuba für mehr als 1,7 Millionen Schülerinnen und Schüler das neue Unterrichtsjahr beginnt, können zahlreiche Eltern erleichtert aufatmen. Viele von ihnen mussten in den letzten Wochen viel Zeit damit zubringen, die obligatorischen Schuluniformen für ihre Kinder aufzutreiben. Die Engpässe bei Produktion und Auslieferung waren Thema in Betrieben, Stadtteilen und in den Leserzuschriften der Medien. Die Situation ist nur ein Beispiel für die aktuellen Versorgungsmängel, unter denen die Bevölkerung Kubas leidet, seitdem die USA ihre Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gegen das Land erheblich verschärft haben.
»In diesem Jahr war es besonders hart«, berichtet Krankenschwester Sonja Rodríguez aus Havannas Arbeiterviertel Mantilla im Gespräch mit junge Welt über die Schwierigkeiten beim Kauf der Schuluniformen für die Zwillinge Sofia und Sergio. Zwar hatten die Schulen bereits im Juli die Berechtigungsscheine ausgestellt, doch vorrätig war die Kleidung in der gewünschten Größe dann erst vor ein paar Tagen. Der Regierung fehlten Devisen für das Material. Es ist ein Wunder, dass es zum Schulbeginn trotzdem noch geklappt hat. Für eine Uniform hat die junge Mutter rund 100 Peso der nationalen Währung CUP, umgerechnet etwa 3,60 Euro, bezahlt. Die Ausbildung in den knapp 11.000 staatlichen Bildungseinrichtungen des Landes – von Kita und Vorschule bis zum Universitätsabschluss – kostet dagegen nicht einen Cent. Auch Unterrichtsmaterial wird unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Deshalb, sagt Sonja, deren Schwester in Miami lebt und ihr am Telefon von den dortigen Ausbildungskosten und der täglichen Angst vor Amokläufern in der Schule berichtet hat, könne sie die lästige Warterei auf die Uniformen verschmerzen.
Andere Einschränkungen belasten sie, ihre kranke Mutter und die Kinder stärker. Da der Stadtteil Mantilla nicht wie die zentral gelegenen Stadtviertel Vedado, Miramar oder Alt-Havanna an das städtische Gasnetz angeschlossen ist, kocht Sonja mit Propangas. Seit dem 19. August ist der Verkauf von Flüssiggas auf eine 10-Kilo-Flasche pro Monat für die vierköpfige Familie rationiert. Im Mai waren bereits Höchstmengen für den Erwerb einiger Nahrungsmittel und Hygieneartikel festgesetzt worden. Seitdem werden Hähnchenfleisch, Reis, Eier, Bohnen, Wurst, Seife und Waschmittel nur noch in haushaltsüblichen Mengen verkauft. Die Maßnahme solle »eine gerechtere und soziale Verteilung der verfügbaren Produkte« gewährleisten, begründete die für den Binnenhandel zuständige Ministerin Betsy Díaz Velázquez den Schritt. Angesichts der Versuche Washingtons, das Land wirtschaftlich zu erdrosseln, müsse sowohl die Versorgung aller Bürger mit den wichtigsten Lebensmitteln sichergestellt als auch die Spekulation der Wiederverkäufer eingedämmt werden, erklärte die Politikerin.
Die Lage ist ernst, doch trotz Rationierungen und Versorgungsengpässen muss auf der Insel niemand hungern. Unabhängig von den frei gehandelten Produkten besitzt jeder im Land lebende Kubaner seine Lebensmittelkarte, auf die er in den landesweit 13.000 Ausgabestellen staatlich subventionierte Grundnahrungsmittel zu symbolischen Preisen erhält. Mit der »Libreta« gibt es in der »Bodega« pro Person monatlich sieben Pfund Reis, vier Pfund Zucker, einen halben Liter Öl, ein Paket Kaffee, ein Paket Nudeln, 300 Gramm Bohnen, fünf Eier und ein Pfund Hühnchen. Kinder bekommen zudem einen Liter Milch pro Tag.
Der Mehrbedarf muss von staatlichen, genossenschaftlichen oder privaten Anbietern zugekauft werden. Da die Einkommen dafür oft nicht ausreichten, wurden im Juli die Löhne für rund 1,2 Millionen Beschäftigte im Staatssektor, die denen in anderen Bereichen der Wirtschaft hinterherhinkten, und die Bezüge von 1,5 Millionen Rentnern teilweise um bis zu 50 Prozent erhöht. Das sollte nicht nur die Kaufkraft steigern, sondern auch der Abwanderung qualifizierter Beschäftigter aus dem öffentlichen Dienst entgegengewirkt werden. Im Bildungsbereich, der stark davon betroffen war, stellte sich der gewünschte Erfolg offenbar bereits ein. Wie Bildungsministerin Ena Elsa Velázquez Cobiella am 25. August in der Granma, dem Zentralorgan der KP Kubas mitteilte, haben zu Beginn des neuen Schuljahres mehr als 2.200 Lehrer ihre Kündigung und über 1.000 ihren Antrag auf Pensionierung zurückgezogen.
Die Versorgungslage der Bevölkerung verbesserte sich jedoch nicht im erhofften Umfang. Bereits kurz nach Erhöhung der Bezüge klagten viele Beschäftigte über kräftige Preissteigerungen für Lebensmittel, Konsumgüter und Dienstleistungen, wodurch die Einkommenszuwächse wieder »aufgefressen« würden. Private Restaurant- und Café-Betreiber verlangten plötzlich deutlich mehr Geld für Bier, Wasser und Erfrischungsgetränke, die sie im staatlichen Handel aber zu denselben Preisen wie zuvor einkauften. Einzelne Taxifahrer und Friseure verdoppelten ihre Tarife, obwohl sie keine höheren Kosten für Miete, Strom oder Treibstoff hatten. Die Regierung zog daraufhin die Notbremse und führte Anfang August für zahlreiche Produkte und Dienstleistungen staatlich festgesetzte Preisobergrenzen ein.
Während einige im Ausland lebende »Wirtschaftsexperten« gegen die staatliche Regulierung Sturm laufen und als Konsequenz daraus das Gespenst einer neuen »Sonderperiode« an die Wand malen, gibt sich Wirtschaftsminister Alejandro Gil Fernández vorsichtig optimistisch. »Trotz Verschärfung der US-Blockade prognostiziert die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL), dass die kubanische Wirtschaftsleistung 2019 nicht rückläufig sein wird und schätzt das Wachstum, ähnlich wie das der Region, auf 0,5 Prozent ein«, erklärte er am 7. August in Granma.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
junge Welt, 02.09.2019