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»Es geht um gleiche Rechte und Chancen für alle«
Die Abgeordneten von Kubas Nationalversammlung wollen jede Diskriminierung aus den Gesetzen verbannen. Gespräch mit Danhiz Diaz Pereira.
Sie sind der drittjüngste Abgeordnete des kubanischen Parlaments. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie in die Nationalversammlung gewählt wurden?
Die kubanische Nationalversammlung setzt sich aus zwei Ebenen zusammen. Die eine Hälfte besteht aus den Abgeordneten, die in ihrer jeweiligen Gemeinde gewählt wurden, während die übrigen von den Massenorganisationen unseres Landes vorgeschlagen werden. In meinem Fall hat mich der Studierendenverband meiner Universität für diese Aufgabe vorgeschlagen.
Wie ging es dann weiter? Haben Sie Wahlkampf gemacht?
In Kuba gibt es keinen Wahlkampf. Es ist per Gesetz verboten, Werbung für eine Person zu machen, damit sie in ein bestimmtes Amt gewählt wird. Nachdem wir vorgeschlagen worden waren, haben wir die Nachbarschaftsversammlungen und Firmen in den Bezirken besucht, um uns vorzustellen und mit den Menschen zu sprechen. In meinem Wahlkreis waren wir drei Kandidaten, einer war 50 Jahre alt und wir anderen beiden 23 Jahre. Und wir drei wurden auch gewählt, in meinem Fall mit 84 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Wieviel verdienen Sie als Abgeordneter?
In Kuba ist es kein Beruf, Parlamentarier zu sein. Ich beziehe als Abgeordneter keinerlei Gehalt. Die einzigen in der Nationalversammlung, die Geld bekommen, sind diejenigen, die besondere Funktionen ausüben, zum Beispiel die Kommissionspräsidenten oder das Sekretariat der Nationalversammlung. Die Tätigkeit als Parlamentarier selbst ist ehrenamtlich, und wir haben auch keine besonderen Vorteile, keine Büros oder Dienstwagen. Wir üben weiterhin unsere Berufe aus, es gibt Hausfrauen, Studierende, Arbeiter im Parlament.
Sie selbst leben in Havanna, aber viele Ihrer Kollegen kommen aus anderen Landesteilen. Wie finanzieren diese ihre Tätigkeit, denn sie haben ja Ausgaben, zum Beispiel, um zu den Parlamentssitzungen in die Hauptstadt zu kommen.
Das System der Volksmacht in Kuba verfügt über einen Etat, aus dem die Kosten für die Anreise und Unterbringung der Abgeordneten bestritten werden. In der Nationalversammlung sind Abgeordnete aus allen Provinzen, jeder Bezirk des Landes ist mit mindestens einem Repräsentanten vertreten. Wenn es eine Parlamentssitzung gibt, kümmert sich das Sekretariat der Nationalversammlung um die Anreise, Verpflegung und Unterbringung der Abgeordneten.
Welche Aufgaben haben Sie in der Nationalversammlung?
Es gibt alle sechs Monate eine reguläre Plenartagung, obwohl es in der vergangenen Zeit wegen der umfangreichen legislativen Arbeit eine ganze Reihe außerordentlicher Sitzungen gegeben hat. Dazwischen gliedert sich das Parlament in zehn ständige Arbeitsausschüsse. Ich gehöre der Kommission für Kinder, Jugend und Gleichberechtigung der Frauen an. Wir sind zuständig für alle politischen und sozialen Programme, die es in unserem Land für diese Bevölkerungsgruppen gibt. Das beeinflusst auch die Arbeit aller anderen Ausschüsse. Zum Beispiel muss sich die für die Lebensmittelversorgung zuständige Kommission auch mit den besonderen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen. Und wir diskutieren zum Beispiel, ob ein neues Arbeitsgesetz die Bedürfnisse von Jugendlichen und Frauen ausreichend berücksichtigt.
Ist Ihre Kommission auch für die Ausarbeitung des neuen Familiengesetzes zuständig?
Ja, das ist unser Bereich. Das ist eine Arbeit, die noch sehr am Anfang steht. Unsere neue Verfassung wurde im Februar per Volksabstimmung verabschiedet und trat im April in Kraft. Damit hat der Prozess begonnen, alle Gesetze den neuen Vorgaben anzupassen. Die Diskussion um das neue Familiengesetz wird Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres beginnen. Das Projekt wird zuerst in der Nationalversammlung behandelt, dann aber – wie die Verfassung – einem Volksentscheid unterworfen.
Die Inhalte des Familiengesetzes gehörten ja zu den Punkten, die in der Diskussion um die neue Verfassung am heftigsten debattiert wurden, speziell die Anerkennung verschiedener Familienformen und die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Eheschließungen.
Das war ein Thema, das die Bevölkerung tatsächlich mit am meisten beschäftigt hat. Ich selbst stand in dieser Zeit etwas im Rampenlicht, weil ich einer der Unterstützer dieses Artikels 68 im Verfassungsentwurf war, der in der endgültigen Fassung zum Artikel 82 geworden ist. Ich bin von bestimmten Kräften dafür auch angegriffen worden.
Das Ziel der neuen Verfassung, des neuen Familiengesetzes, der Politik der Partei und unserer Regierung war und ist, jede Form von Diskriminierung auszuschließen. Es geht um gleiche Rechte und gleiche Chancen für alle Menschen. Das muss natürlich auch das Recht einschließen, dass jede Person frei entscheiden kann, wen er oder sie heiratet, mit wem sie oder er eine Familie gründen möchte. Wir verteidigen nicht nur die gleichgeschlechtliche Ehe, sondern setzen uns als Nationalversammlung, als Partei und als Regierung für gleiche Rechte aller Menschen ein. Die Verfassung hat klargestellt, dass in unserem Land jede Art von Diskriminierung verboten ist, sei es aus ethnischen, geschlechtlichen oder anderen Gründen. Damit passt eben nicht zusammen, wenn ein paar Artikel später das Recht auf Eheschließung auf einen bestimmten Teil der Gesellschaft beschränkt wird.
Ich glaube, dass die Mehrheit unserer Gesellschaft dieses Prinzip der gleichen Rechte für alle unterstützt. Es gibt aber Sorgen hinsichtlich der Kindererziehung und der Bildung, aber wir werden als Nationalversammlung das Prinzip der Gleichberechtigung verteidigen. Ich bin überzeugt, dass wir ein modernes Familiengesetz bekommen, in dem anerkannt wird, dass jede Familienform, die es in unserem Land heute gibt, gut ist.
Warum wollen Sie das Gesetz dann trotzdem in einem Referendum zur Abstimmung stellen?
Wir wollen politische Transparenz. Wir haben diesen Punkt aus dem Text der im Februar verabschiedeten Verfassung herausgenommen, weil wir die damalige Diskussion nicht auf dieses eine Thema beschränken wollten, und nicht, weil wir uns einer Minderheit gebeugt hätten. Ich bin mir sicher, dass auch das neue Familiengesetz eine klare Mehrheit finden wird.
Sie haben parallel zu Ihrer Tätigkeit als Abgeordneter Ihr Studium fortgesetzt?
Wir sind sogar verpflichtet dazu, unsere berufliche Tätigkeit fortzusetzen. Ich bin im April vergangenen Jahres gewählt worden, da habe ich im vierten Jahr studiert. Jetzt habe ich meinen Abschluss gemacht, und wenn ich an der Universität bleibe, dann ist es meine Tätigkeit dort, aus der ich mein Einkommen beziehe.
Arbeit im Parlament und Studium – wie viele Stunden schlafen Sie nachts?
(Lacht) Tatsächlich zu wenig. Es sind wirklich viele Aufgaben, die man unter einen Hut bringen muss. Denn außer dem Studium und der Arbeit in der Nationalversammlung war ich ja auch noch Vorsitzender des Studierendenverbandes.
Wie beeinträchtigt die von den USA gegen Kuba verhängte und zuletzt weiter verschärfte Blockade Ihre wissenschaftliche Arbeit?
An der Universität spüren wir vor allem in den technischen Studiengängen die Auswirkungen der Blockade sehr deutlich. Das fängt schon bei den Internetverbindungen und dem Zugang zu bestimmten Webseiten an. Es gibt viele Angebote im Web, auf die wir keinen Zugriff haben, weil kubanische IP-Adressen gesperrt sind. Das System erkennt, dass wir uns in Kuba befinden, und wenn wir versuchen, die Inhalte zu lesen oder eine Datei herunterzuladen, erscheint ein Hinweis, dass wir keinen Zugang zu diesen Angeboten haben. Manchmal entschuldigen sich die Firmen auf diesen Seiten sogar dafür, dass ihre Regierung es verboten hat, uns den Zugriff zu erlauben.
Ähnlich ist die Situation für viele Geräte in den Laboratorien. Wenn in diesen Teile aus den USA verbaut sind, dürfen sie nicht nach Kuba, auch nicht an unsere Hochschulen geliefert werden. Manchmal haben die Unternehmen aber auch einfach Angst, dass der Handel mit Kuba ihrer Präsenz in den USA schaden könnte, und verweigern uns deshalb Geschäftsbeziehungen.
Danhiz Diaz Pereira ist 23 Jahre alt, hat am 5. Juli sein Studium der Sozialwissenschaften abgeschlossen und ist Abgeordneter der Nationalversammlung der Volksmacht Kubas. An der Technischen José-Antonio-Echeverría-Universität (CUJAE) in Havanna war er Vorsitzender des Studierendenverbandes FEU
Veröffentlichung |
André Scheer
junge Welt, 15.07.2019