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Lasst Lula frei!
Brasiliens Expräsident wurde Opfer einer Justizverschwörung. Neue Dokumente belasten Regierungsmitglieder.
Brasiliens heutiger Justizminister Sérgio Moro, der noch im vergangenen Jahr als unerschrockener Korruptionsermittler gefeiert worden war, ist überführt: Seit dem Wochenende veröffentlicht und kommentiert das US-Onlinemagazin The Intercept auf Portugiesisch und Englisch brisante Ausschnitte aus der internen Kommunikation seiner Beamten aus den Jahren 2015 bis 2018. Dem Portal zugespielte private Chats, Videos und Mitschnitte belegen die gezielte Manipulation von Ermittlungen, um sie als politische Waffe gegen die Arbeiterpartei (PT) einzusetzen. Sie liefern auch den Beweis dafür, dass es sich beim Vorgehen gegen den früheren Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der nach einer Verurteilung wegen Korruption seit April 2018 im Gefängnis sitzt, um illegale Freiheitsberaubung handelt. Der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald will über den Vorgang mehr Daten in die Hand bekommen haben, als 2013 Edward Snowden über die Praktiken des US-Geheimdienstes NSA publik machte.
Die Veröffentlichungen offenbaren systematische Verstöße gegen Recht und Berufsethos der brasilianischen Justiz. Staatsanwalt Deltan Dallagnol und Richter Sérgio Moro karteten die Farce miteinander ab. Noch kurz vor der groß inszenierten Anklageerhebung gegen Lula Anfang September 2016 wegen einer ihm angedichteten Immobilie zeigte sich Dallagnol im Chat mit den Kollegen »besorgt« wegen der fehlenden Beweise: »Es wird heißen, dass wir eine Anklage erheben, die auf Zeitungsmeldungen und schwachen Indizien beruht …« Man müsse dafür Sprachregelungen vorbereiten. Moro stimmte seine Taktik hinter den Kulissen mit den Ermittlern ab und beschleunigte das Verfahren. Lula war von Anfang an verurteilt.
Zwei Wochen vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober beriet Dallagnol mit seinen Teamkollegen hektisch über Strategien, um ein Lula genehmigtes Interview für die Journalistin Mônica Bergamo von der Tageszeitung Folha de Sao Paulo zu verhindern. Man befürchtete, dass ein Auftreten des Expräsidenten Fernando Haddad helfen würde, der an seiner statt für die PT antrat. Als schließlich ein Richter das Interview doch noch untersagte, feierten das die Anti-PT-Aktivisten.
The Intercept hat erst einen kleinen Teil der vor einigen Wochen erhaltenen Informationen öffentlich gemacht. Die Enthüllung weiterer »explosiver Geheimnisse« ist bereits angekündigt. Die Quelle wird anonym gehalten, die Daten sollen sich an einem »sicheren Ort« befinden. Wütende Reaktionen der Entlarvten bestätigen deren Echtheit. Das investigative Journal hat den Ebay-Gründer und Medienmäzen Pierre Omidyar im Rücken und kann international auf eine große Leserschaft bauen.
»Um die Arbeiterpartei zu zerstören«, hätten die an der Operation »Lava Jato« Beteiligten »wie Mafiosi gehandelt«, schreibt Jean Wyllys, im Exil lebender Abgeordneter der Linkspartei PSOL, in seinem Blog. Der Soziologe Jessé de Souza wies darauf hin, dass erst die Inhaftierung Lulas die Wahl des »extrem gefährlichen Faschisten« Jair Bolsonaro zum Präsidenten ermöglicht habe. Die PT forderte am Montag (Ortszeit) in einer Stellungnahme, die Verantwortlichen für den Justizskandal zu bestrafen und Lula endlich freizulassen. »Nicht einmal Globo und die anderen Medien, die sich aktiv an diesem Angriff auf Demokratie, Recht und Gerechtigkeit beteiligt haben, können die Realität mehr verbergen.« Auch Lulas Verteidiger forderten die Justiz auf, ihren Mandanten auf freien Fuß zu setzen.
Veröffentlichung |
Hannah Lorenz
junge Welt, 12.06.2019