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Kampf um Gerechtigkeit
Erstes Interview im Gefängnis: Brasiliens früherer Präsident Lula rechnet mit Verfolgern und Bolsonaro-Regierung ab.
Er werde lieber 100 Jahre im Gefängnis bleiben, als seine Würde gegen die Freiheit einzutauschen. Das erklärte Brasiliens früherer Präsident Luis Inácio Lula da Silva am vergangenen Freitag in dem ersten Interview, das er seit seiner Inhaftierung am 7. April 2018 geben durfte. Mehr als ein Jahr lang war den Medien ein direkter Zugang zu ihm von der Justiz verwehrt worden. Nun durfte der Politiker der Arbeiterpartei PT erstmals wieder Journalisten empfangen. Das zweistündige Gespräch mit Monica Bergamo von der Tageszeitung Fol ha de S. Paulo und Florestan Fernandes Jr. von der brasilianischen Ausgabe der spanischen El País fand im Sitz der Bundespolizei in Curitiba statt und wurde per Video aufgezeichnet. Der Genehmigung durch das Oberste Gericht war ein monatelanges juristisches Tauziehen vorausgegangen. Die beiden Medien hatten das Interview ursprünglich noch vor den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober führen wollen, von denen der nach allen Umfragen favorisierte Lula durch die Behörden Ende August ausgeschlossen worden war.
Im Interview bekräftigte Lula seine Unschuld und hob die Leistungen seiner Regierung für Brasilien hervor. Er verlange für sich Gerechtigkeit, doch sei er »sehr viel mehr besorgt um das brasilianische Volk«. Dieses könne sich nicht so leicht wehren. Lula zeigte sich überzeugt, dass der Tag komme, an dem über ihn anhand von Fakten und »nicht von Schlagzeilen in Zeitschriften, Lügen und Fake News« geurteilt werde. Seine Ankläger seien sich ihrer Lügen bewusst. Er selbst könne ruhig schlafen, sei sich seines Platzes in der Geschichte sicher. Mit »Besessenheit« verfolge er aber das Ziel, Sérgio Moro »zu demaskieren«. Sein Fall sei eine Farce, die »hier im Innern und vom Justizministerium der USA« konstruiert worden sei. Der Richter, der Lula mit rechtswidrigen Methoden wegen angeblicher Korruption ins Gefängnis brachte und damit politisch ausschaltete, ist inzwischen Justizminister in der Regierung des Faschisten Jair Bolsonaro.
Die aktuelle Situation seines Landes betrachtet Lula als tiefen Abstieg. Brasilien werde von einer »Bande von Verrückten« regiert. Vor allem das Volk habe das nicht verdient. Sichtlich bewegt zeigte sich der Politiker, als die Rede auf seinen Enkel Arthur kam, der am 1. März im Alter von nur sieben Jahren an einer bakteriellen Hirnhautentzündung gestorben war. Die Teilnahme an der mit einem großen Sicherheitsaufgebot abgeschirmten Beerdigung war Lulas bisher einziger genehmigter Ausgang und Kontakt mit der Öffentlichkeit seit seiner Inhaftierung.
In einer Reaktion auf das Lula-Interview nannte Bolsonaro dessen Genehmigung einen »Justizirrtum«. Lula rede »Nonsens«. Das Land werde nun »wenigstens nicht von Trinkern« regiert.
In einer Note vom 24. April hatte der Oberste Richter Ricardo Lewandowski weiteren Medien den Weg freigemacht, den früheren Staatschef zu befragen. Eine Einschränkung der Grundrechte des Gefangenen erklärte er für nicht zulässig.
Am vergangenen Dienstag hatte der Oberste Justizgerichtshof Lulas Gefängnisstrafe von zwölf auf achteinhalb Jahre herabgesetzt. Dadurch besteht die theoretische Möglichkeit, dass Lula nach dem Verbüßen eines Sechstels seiner Haftzeit in fünf Monaten in den offenen Vollzug kommt und nur noch die Nächte im Gefängnis verbringen muss. Allerdings laufen weitere Verfahren gegen ihn. Für ein faires Urteil wird sich Lula auf das der Geschichte verlassen müssen.
Veröffentlichung |
Hannah Lorenz
junge Welt, 29.04.2019