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Kubas Bevölkerung hat das letzte Wort

Hans Modrow über das Verfassungsreferendum am Sonntag und die notwendige Solidarität mit der Karibikinsel.

Hans Modrow

Hans Modrow hat als Ministerpräsident der DDR Geschichte geschrieben. Heute sitzt der 90-Jährige im Ältestenrat der Linkspartei. Vom 3. bis 11. Februar war er in Kuba, wo er mit dem Orden der Solidarität (siehe Bild) ausgezeichnet wurde. Über Solidarität mit Kuba und die neue Verfassung der Karibikinsel sprach mit Modrow Martin Ling.





Am 24. Februar steht in Kuba das Referendum über die neue Verfassung an. Sie kommen gerade von einer Kuba-Reise zurück. Was verspricht sich die kubanische Regierung von einer neuen Verfassung?

Die neue Verfassung orientiert sich an den Leitlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die auf dem VI. und VII. Parteitag 2011 und 2016 verabschiedet wurden. Seit vergangenen August haben Millionen von Kubanern sich an der Diskussion beteiligt. Drei Monate lang in landesweit 135 000 Nachbarschafts- und Betriebsversammlungen wurde die Verfassungsvorlage diskutiert, ergänzt und verbessert. Die kubanische Regierung ist optimistisch, dass das Ergebnis nun auf breite Zustimmung stößt. Lehrreich für mich war eine Begegnung mit Jura-Studenten an der Universität: Sie haben erzählt, wie viel Gewinn sie selbst aus dieser Debatte gezogen haben. Als Beispiel nannten sie den Streit um die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die dann schlussendlich doch nicht in die Verfassung aufgenommen wurde. Die Diskussionen waren ein Geben und Nehmen, schilderten die Studenten, bei denen die junge Generation ins Boot für die künftige Entwicklung der Gesellschaft geholt werden sollte. Die Regierung ist sich bewusst, dass infolge der neuen Verfassung ein ganzes Paket neuer Gesetze verabschiedet werden muss, um die Umsetzung zu garantieren.

Auch in der neuen Verfassung bleiben Planwirtschaft und Staatseigentum fundamental für das Wirtschaftssystem; gleichzeitig wird die Rolle des Marktes und neuer privater Eigentumsformen anerkannt. Mehr Privateigentum heißt gemäß der Marktlogik erfahrungsgemäß überall und auch in Kuba mehr Ungleichheit. Der kubanischen Regierung ist dies klar. Wie sieht Havanna die Risiken?

Zuerst muss man sich die Struktur der kubanischen Wirtschaft vor Augen halten: Die wichtigste Säule ist derzeit der Tourismus, die zweitwichtigste die solidarische Entsendung medizinischen Personals und auch von Lehrern gegen Entgelt in mehr als 60 Länder. Beides sind wichtige Devisenquellen. Hinzu kommt für die Binnenökonomie die Landwirtschaft. Hier gilt der Grundsatz: Der Boden ist und bleibt staatlich. Die Ungleichheit resultiert aus der Struktur der Volkswirtschaft. Sie liegt in den Bereichen, wo sich die Differenzen im Eigentum entwickeln. In der Landwirtschaft treffen zum Beispiel Privatbauern auf Genossenschaften. Die Gewerkschaft der Landarbeiter setzt sich dafür ein, dass ein Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Eigentumsformen angestrebt wird. Die Regierung ist sich klar darüber, dass mit der neuen Verfassung auch eine neue Steuerpolitik einhergehen muss. Aufgabe der Steuerpolitik ist aus Sicht von Havanna, die Einkommens- und Vermögensunterschiede so zu begrenzen, dass sie nicht untragbare soziale Gegensätze hervorrufen, wie es sie in Kuba nach der Revolution 1959 nicht mehr gegeben hat.

Kuba konnte und kann auch immer auf internationale Solidarität zählen, nicht nur von Staaten, sondern auch aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich, in Deutschland zum Beispiel seitens Cuba Sí, KarEn und der Freundschaftsgesellschaft Berlin-Kuba. Erst vor drei Wochen zog ein verheerender Tornado über die Insel. Wie ist der Stand?

Wir, die Delegation der Linkspartei, konnten uns vor Ort ein Bild vom Wiederaufbau machen. Kein Land der Welt hat Einfluss darauf, ob es von einem Tornado getroffen wird, aber es hängt von der Regierung ab, wie viel Vor- und Nachsorge getroffen wird. Da ist Kuba vorbildlich. Es wurde rechtzeitig gewarnt, trotzdem gab es aufgrund der außergewöhnlichen Stärke sieben Todesopfer, und über 7000 Gebäude wurden beschädigt bis völlig zerstört. Aber der Wiederaufbau ist schon im Gang, und Kuba schafft das aus eigenen Kräften, wurde uns versichert.

Abgesehen vom Tornado ist Hilfe wie von Cuba Sí und KarEn in Kuba hochwillkommen.

Ja. Ich möchte auch persönlich allen danken, die dort mit ihrer Solidarität und Leistung wirksam sind. Die Bedeutung wurde uns immer wieder übermittelt. Wir haben uns auch angeschaut, wie von KarEn installierte Solartechnik wirkt, in der Produktion, aber auch in Privathäusern, die so erstmals zum Fernsehen kommen. Wir hatten auch Gelegenheit uns mit ACPA zu unterhalten, der kubanischen Vereinigung für Tierproduktion, die mit Cuba Sí kooperiert. Sie arbeiten gemeinsam an Pilotprojekten zur Erweiterung der Wertschöpfungsketten, der Weiterverarbeitung von Milch zu Käse zum Beispiel. Die Stoßrichtung geht in eine verstärkte Regionalisierung der Versorgung der Bevölkerung mit Obst, Gemüse und verarbeiteten Produkten.

Kuba hat am 1. Januar den 60. Jahrestag seiner Revolution begangen, allen Widrigkeiten zum Trotz, angefangen bei der seit 1960 währenden Blockade durch die USA. Wie bedrohlich ist die globale Gemengelage für Kuba derzeit, wo in Lateinamerika eine Linksregierung nach der anderen abgewählt wird und die Regierung von Nicolás Maduro in Caracas mit dem Rücken zur Wand steht?

Die Lage wird in Havanna sehr ernst eingeschätzt. Weniger Unterstützung aus Lateinamerika für Kuba heißt im Umkehrschluss auch, dass die US-Blockade stärker wirkt. Denn der unbestreitbare Rechtsruck in Lateinamerika untergräbt die Integration und Zusammenarbeit in Lateinamerika, wo es im vergangenen Jahrzehnt beträchtliche Fortschritte gegeben hatte. Hinzu kommt die imperiale Politik der USA. Kuba ist solidarisch mit Präsident Nicolás Maduro, und sie gehen auch davon aus, dass er sich an der Regierung halten kann. Aber sie sind besorgt über die Entwicklung.

Martin Ling
Neues Deutschland, 20.02.2019