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Kein Aus für »Ehe für alle«
Verfassungsdiskussion in Kuba: Aufregung um Falschmeldung auf Twitter.
Die Abgeordneten der kubanischen Nationalversammlung haben am Mittwoch (Ortszeit) mit der Beratung eines überarbeiteten Entwurfs für die neue Verfassung begonnen. Diesen hatte die im Sommer eingesetzte Redaktionskommission auf Grundlage unzähliger Diskussionen in der Bevölkerung vorgelegt. Wie das Internetportal Cubadebate berichtete, hatte es zu dem im Juli präsentierten ersten Entwurf zwischen dem 13. August und dem 15. November rund 133.000 Beratungen in Stadtvierteln, Bildungseinrichtungen und Betrieben gegeben. Ergebnis der dort geführten Debatten waren nicht weniger als 783.000 Vorschläge, die der Kommission übermittelt wurden. Diese seien zu etwa 9.600 Anträgen zusammengefasst worden, von denen sich 4.809 in der neuen Version wiederfänden, teilte die Kommission mit.
Wie das Portal Cuba Ahora am Mittwoch berichtete, entzündeten sich besonders viele Debatten um den Artikel 68, der die Rolle der Ehe behandelt. Nahezu jede vierte Eingabe hatte diesen Punkt zum Thema. Während die bislang geltende Verfassung die Ehe als »freiwilligen Bund zwischen einem Mann und einer Frau« definiert, sprach der im Juli vorgelegte Entwurf nur noch von einem »Bund zwischen zwei Personen« und eröffnete damit die Möglichkeit, im Familiengesetz gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu ermöglichen.
Während evangelikale und andere konservative Gruppen sofort Sturm gegen die neue Formulierung liefen, begrüßten auch in Kuba lange diskriminierte Schwule und Lesben diesen Fortschritt. Entsprechend entsetzt reagierten sie, als die Nationalversammlung am späten Dienstag abend (Ortszeit) über Twitter erklärte, der Passus sei »aus der Verfassung entfernt« und dem Familiengesetz vorbehalten worden. Auch internationale Nachrichtenagenturen wie dpa verbreiteten daraufhin, die »Ehe für alle« sei aus dem Entwurf gestrichen worden.
Dem widersprach am Mittwoch die Präsidentin des Nationalen Zentrums für Sexualerziehung (Cenesex), Mariela Castro. Die engagierte Aktivistin für die Gleichberechtigung aller Teile der Gesellschaft wies über Facebook darauf hin, dass es in diesem Punkt keine inhaltliche Differenz zwischen beiden Entwürfen gebe. Der wichtigste Unterschied sei der Ersatz des Begriffs »Personen« durch »Partner«, was aber die Möglichkeit offenhalte, dass alle Menschen Zugang zur Institution der Ehe haben. Zudem bekomme im neuen Entwurf erstmals die Partnerschaft ohne Trauschein – die in Kuba die häufigste Form des Zusammenlebens sei – Verfassungsrang, auch hier ohne geschlechtsspezifische Beschränkungen. »Es gibt keinen Rückschritt, der Kern des Artikels 68 bleibt, der Kampf geht weiter.« Man habe »den fundamentalistischen und rückwärtsgewandten Erpressungen derjenigen nicht nachgegeben, die sich politisch dem emanzipatorischen Projekt der Kubanischen Revolution widersetzen«.
Neu in dem Entwurf ist allerdings eine Übergangsbestimmung, nach der die Nationalversammlung innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der neuen Verfassung einen öffentlichen Diskussionsprozess und eine Volksabstimmung über das neue Familiengesetz initiieren muss. Erst dann wird die Frage einer Beschränkung der Eheschließung auf Mann und Frau tatsächlich auf der Tagesordnung stehen. Castro ruft deshalb auf: »Sagen wir nun ja zur Verfassung und schließen wir dann die Reihen, um ein Familiengesetz zu erreichen, das ebenso fortschrittlich ist wie der neue Verfassungstext.«
Veröffentlichung |
André Scheer
junge Welt, 21.12.2018