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Nachrichten aus und über Kuba

Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.


Frau Sánchez und der »Nazi«

Autorin der Deutschen Welle und Brasiliens Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonaro auf einer Linie. Ein Widerspruch? Ach was.

Am Sonntag will in Brasilien mit Jair Bolsonaro ein Politiker Präsident werden, den Leonardo Boff, einer der bekanntesten katholischen Theologen des Landes, einen »Nazi« nennt. Die Deutsche Welle (DW) sieht es offenbar ähnlich. In mehreren Beiträgen zur bevorstehenden Stichwahl bezeichnete der Sender Bolsonaro als »rechtsextrem« und verwies darauf, dass dieser die Mörderbanden der früheren Militärdiktatur (1964 bis 1985) feiert und sich für die Folter einsetzt. DW berichtete auch korrekt über den sexistischen Angriff des Kandidaten auf eine Abgeordnete der Arbeiterpartei PT, bei dem der ihr zugerufen hatte, sie sei »so hässlich, dass sie es nicht einmal verdiene, vergewaltigt zu werden«. Doch trotz derartiger Beiträge trauen Bürgerrechtler, Mitglieder sozialer Bewegungen und kritische Journalisten in Brasilien dem Sender nicht über den Weg.

Das Glaubwürdigkeitsproblem hat einen Namen: Yoani Sánchez. Mit der kubanischen Systemgegnerin beschäftigt der Auslandssender seit Jahren eine Moderatorin, die sich während einer Brasilien-Reise im Jahr 2013 mit Bolsonaro auf ein Podium setzte, gegen den Sozialismus in ihrem Land und gegen linke brasilianische Politiker hetzte und schließlich lächelnd für ein gemeinsames Foto mit dem »Nazi« posierte. Videos auf Youtube zeigen die Bloggerin zudem an der Seite Bolsonaros bei einer seiner unappetitlichen Verbalattacken am 20. Februar 2013 vor der brasilianischen Abgeordnetenkammer. Das Lächeln der von ihm hofierten »Dissidentin« während seiner Ausfälle hat sich Demokraten in ganz Lateinamerika ins Gedächtnis gebrannt.

Für seine Anhänger ist Bolsonaro ein Held, »der verhindern soll, dass Brasiliens Fahne einmal rot und ihre Heimat ein zweites Kuba oder Venezuela werden könnte«, schrieb DW-Autor Thomas Milz drei Wochen vor der Stichwahl. Der »eher auf Gesten denn auf Worte setzende Bolsonaro« verdeutliche dies auch gerne dadurch, »dass er auf Puppen einschlägt, die Expräsident Innacio Lula da Silva darstellen. Oder er spreizt seine Finger zu einem Revolver. Peng-peng, der linke Erzfeind wird abgeschossen«, hat der DW-Autor beobachtet.

Einen Tag nach dem Auftritt vor der Abgeordnetenkammer veröffentlichte der Politiker damals in seinem »Blog Família Bolsonaro« ein Foto von sich mit Frau Sánchez und dankte ihr dafür, »die Wahrheit über Kuba« zu verbreiten. Auch später berichtete er über gemeinsame Aktivitäten im Kampf gegen die brasilianische Arbeiterpartei und den Sozialismus. »Bolsonaro und Yoani Sánchez klären über die Beziehungen der PT zu Kuba auf«, textete er zum Beispiel am 16. Juli 2013 auf seiner Facebook-Seite zu dem bekannten Foto der beiden Antikommunisten.

Für die sich gern als »unpolitisch« und »pazifistisch« gebende Systemgegnerin war die so dokumentierte Nähe zu dem Ultrarechten eine publizistische Katastrophe. Die Empörung in Lateinamerika konnten auch bundesdeutsche »Qualitätsmedien« nicht mehr ignorieren. Es werde »gemutmaßt«, Yoani Sánchez »fühle sich zu faschistischen Politikern hingezogen, die sich nach dem Untergang des kubanischen sozialistischen Traumes sehnen«, schrieb die FAZ am 13. Mai 2013.

Den Auslandssender, dessen Etat von 277 Millionen Euro im Jahr 2013 auf 325 Millionen Euro im Jahr 2017 aufgestockt wurde, interessieren die fragwürdigen Kontakte seiner Autorin offenbar nicht. Am 13. Januar 2017 unterrichtete die DW den Deutschen Bundestag (Drucksache 18/10856) darüber, dass sie der Bloggerin Yoani Sánchez mit der TV-Talksendung »La voz de tus derechos« (»Die Stimme deiner Rechte«) weiterhin einen »festen Sendeplatz« einräume. Mit diesem Format setze man ihr Markenthema »Freiheit« um, lautete die Begründung.

Zu diesem Zeitpunkt muss den Verantwortlichen dort allerdings längst bekannt gewesen sein, dass ihre Moderatorin für viele soziale Aktivisten in Lateinamerika unerträglich provozierend wirkt. Am 16. April 2016 hatte zum Beispiel die seit den 1970er Jahren bestehende brasilianische Umwelt- und Bürgerrechtsorganisation »Movimento dos Atingidos por Barragens« (MAB) der Deutschen Welle ein Interview mit der Begründung abgelehnt, dass das Programm von Yoani Sánchez präsentiert werden sollte. Die NGO erklärte, dass sie jederzeit für Interviews zur Verfügung stünde. Man werde jedoch nicht an der Sendung einer Moderatorin mitwirken, die Seite an Seite mit Leuten aufgetreten sei, die »das Schlimmste repräsentieren, was in der brasilianischen Politik vorzufinden ist«.

Andere Kritiker wiesen auf die engen Verbindungen der Bloggerin zu US-Regierungsstellen hin, die ebenfalls Aufschluss über die politischen Absichten der Moderatorin gäben. Dank der von Wikileaks veröffentlichten dienstlichen E-Mails der früheren US-Außenministerin Hillary Clinton lässt sich nachverfolgen, wie diese ihren brasilianischen Amtskollegen Antonio Patriota bereits Anfang 2012 zur Erteilung eines Visums für Sánchez aufgefordert hatte. Deren Aktivitäten stünden »für den Wunsch der kubanischen Bevölkerung, frei über ihre Zukunft zu bestimmen«, belehrte Clinton ihn in einem Telefongespräch und machte unmissverständlich deutlich: »Ihre Unterstützung ist gefragt«.

Sollte Bolsonaro am Sonntag als Sieger aus der Stichwahl hervorgehen, kann die von Bürgerrechtlern abgewiesene DW-Moderatorin ihren Auftraggebern möglicherweise ein Exklusivinterview mit dem ihr seit Jahren verbundenen, dann neuen Staatschef anbieten. Der Sender würde vermutlich auch dann noch behaupten, mit Frau Sánchez das »Markenthema Freiheit« umzusetzen.

Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba

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Volker Hermsdorf
junge Welt, 25.10.2018