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Ziel: Sozialismus
Kubas Parlament beschließt Entwurf für neue Verfassung.
In einer historischen Sitzung haben die 605 Abgeordneten der kubanischen Nationalversammlung am Sonntag nachmittag (Ortszeit) nach einer zweitägigen Debatte einstimmig den Entwurf für eine neue Verfassung verabschiedet. Der Vorschlag für das neue Regelwerk sollen vom 13. August bis zum 15. November in Betrieben, Verwaltungen, Universitäten und Stadtteilen diskutiert werden. Nach dem vom Parlament beschlossenen Entwurf soll die künftige Verfassung von bisher 137 auf 224 Artikel erweitert werden. Die derzeit geltende »Magna Charta«, die 1976 per Volksentscheid angenommen und 1992 sowie 2002 in Teilen reformiert worden war, entspreche nicht mehr den aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen des Landes, erklärte Homero Acosta, der Sekretär des Staatsrats, zu Beginn der Debatte. Er wies zugleich darauf hin, dass der sozialistische Charakter der Revolution, die führende Rolle der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) sowie das politische und wirtschaftliche Modell nicht zur Disposition stünden.
Trotz dieser klaren Ansage brachen konservative Medien über eine Veränderung des bisherigen Artikels 5 in Jubel aus. »Sensation: Kuba streicht den Kommunismus aus seiner Verfassung!« lautete die Bild-Schlagzeile. Dies, kommentierte das Springer-Blatt einen tatsächlich gestrichenen Hinweis auf die Führungsaufgabe der PCC »bis hin zur kommunistischen Gesellschaft«, sei »die wichtigste Änderung«. Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel erteilte derartigen Wunschträumen eine Abfuhr und schloss jeden »Übergang in ein marktwirtschaftliches System« kategorisch aus. Der Aufbau des Sozialismus bleibe als Ziel in der Verfassung verankert.
Andersartige Hoffnungen westlicher Kommentatoren stützen sich vor allem auf die Einführung eines Passus zum »Recht auf begrenzten Privatbesitz in der Wirtschaft«. In dem Entwurf werden sowohl der private Wirtschaftssektor als auch die »Rolle des Marktes« in einem eingeschränkten und kontrollierten Umfang benannt. In erster Linie soll dadurch ein verbindlicher Rechtsrahmen für den vor gut zehn Jahren eingeleiteten Prozess der Zulassung kleiner und mittlerer privater Betriebe geschaffen werden. Doch dieser Wirtschaftszweig darf laut Verfassungsentwurf auch künftig »nur ergänzenden Charakter« haben. Die Produktionsmittel und das Eigentum der strategisch wichtigen Wirtschaftssektoren bleiben in den Händen des Staates und damit als Eigentum der Allgemeinheit konzentriert.
Neben den veränderten Bedingungen in der Wirtschaft soll die neue Verfassung vor allem aber die Freiheit der Bürger, individuelles Recht und soziale Gerechtigkeit, Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit, das Verbot jeglicher Diskriminierung sowie die Verwirklichung der Prinzipien von Solidarität und Humanismus garantieren. Kuba definiert sich als »sozialistischer, demokratischer, unabhängiger und souveräner Rechtsstaat«. Nach einer engagierten Debatte machte das Parlament am Sonntag auch den Weg für die gleichgeschlechtliche Ehe frei. Artikel 68 des Entwurfs definiert die Ehe als »freiwillig geschlossener Bund zwischen zwei Personen«, während sie bisher noch als »freiwilliger Bund zwischen einem Mann und einer Frau« bezeichnet wurde.
Laut Entwurf sollen ferner der »Schutz und Erhalt der Umwelt« und die »Verpflichtung zur Bekämpfung des Klimawandels« Verfassungsrang erhalten. Außerdem wollen die Parlamentarier künftig die »Demokratisierung des Cyberspace« und das »Verbot des Missbrauchs für subversive Aktivitäten zur Destabilisierung souveräner Staaten« als Pflicht des Staates festschreiben.
Zu weiteren Kernpunkten der Veränderungen gehört schließlich die Begrenzung der Amtszeit auf zwei Mal fünf Jahre für den Präsidenten sowie die Aufteilung der politischen Macht zwischen dem Staatsoberhaupt (Präsident) und einem Regierungschef (Ministerpräsident). »Wir sind ein Volk, das den Kompass der Werte, die uns seit mehr als 50 Jahren leiten, nicht aus den Augen verliert«, erklärte Díaz-Canel zum Abschluss der Parlamentssitzung. Die Änderungsvorschläge des Parlaments würden schnellsten eingearbeitet, damit die Diskussion in der Bevölkerung in drei Wochen beginnen kann, kündigte er an. Anschließend muss die neue Verfassung, bevor sie in Kraft tritt, von zwei Drittel der Parlamentsabgeordneten angenommen werden, bevor die Mehrheit der Bürger in einem Volksentscheid darüber abstimmt.
Veröffentlichung |
Volker Hermsdorf
Junge Welt, 24.07.2018