Neue Verfassung für Kuba
Die Karibikinsel will sich von alten Dogmen verabschieden - zumindest ein bisschen.
Kuba bekommt seine lang angekündigte neue Verfassung. Am Samstag tritt die Nationalversammlung zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Sie soll einen Sonderausschuss einsetzen, der die Verfassungsänderungen ausarbeiten soll, hieß es in Havanna. Diese sollen zunächst vom Parlament debattiert werden, ehe die Bürger in einem Referendum darüber abstimmen können.
Es wird erwartet, dass die Verfassungsänderungen an die Wirtschafts- und Sozialreformen der vergangenen Jahre anknüpfen. Durch die Aufnahme in die Verfassung werden diese ß verankert und aufgewertet.
Kubas derzeitige Verfassung stammt von 1976. Damals war die Sowjetunion der Leuchtturm des Weltkommunismus, Kubaner konnten weder Cafés noch Restaurants betreiben, noch ihre Häuser an Ausländer vermieten oder Angestellte für ihr Kleingewerbe einstellen. Seither wurde die Verfassung dreimal überarbeitet - zuletzt 2002. Auf dem letzten Parteikongress der regierenden Kommunistischen Partei Kubas (PCC) im April 2016 war eine Verfassungsreform angekündigt worden.
Der Inselstaat hat sich seit dem Amtsantritt Raúl Castros 2008 stark verändert. Ein schrittweiser Reformprozess wurde eingeleitet, die Wirtschaft für ausländisches Kapital geöffnet, der Staatssektor reduziert und mehr Privatinitiative zugelassen. Darüber hinaus erlaubte die Regierung den Kauf und Verkauf von Autos und Immobilien, hob Reisebeschränkungen auf und baute den Internetzugang für die Bevölkerung aus. Mehr als 300 sogenannte Leitlinien dienen als Richtschnur für den Transformationsprozess, von der Regierung als »Aktualisierung des sozialistischen Modells« bezeichnet.
Als Kernstück der Reformen gilt die Erneuerung des Staatssektors. Über 70 Prozent der Kubaner sind derzeit in staatlichen Behörden und Betrieben beschäftigt; Veränderungen in diesem Bereich haben daher große Auswirkungen. Entscheidungen sollten dezentralisiert werden und die Unternehmen größere Autonomie erhalten, um Produktivität und Investitionen zu erhöhen.
Gleichzeitig wurde ab Oktober 2010 das Kleinunternehmertum ausgeweitet. Seitdem haben sich rund 570 000 Kubaner selbstständig gemacht - in der Regel mit Dienstleistungen und Handwerksberufen. Im Sommer 2017 aber stoppte die Regierung die Vergabe neuer Geschäftslizenzen. Man wolle das Kleinunternehmertum auf den Prüfstand stellen und Missstände beseitigen, hieß es.
So fällt nach zehn Jahren Reformpolitik die Bilanz gemischt aus: Zwar hat der Annäherungsprozess mit den USA zusammen mit den angestoßenen Veränderungen für eine neue wirtschaftliche Dynamik gesorgt. Von den beschlossenen Reformvorhaben wurde aber bisher gerade einmal ein Bruchteil umgesetzt. Und die globalen Rahmenbedingungen sind angesichts der wirtschaftlichen Schwierigkeiten von Kubas engstem Verbündeten Venezuela und der Blockadepolitik und Kalter-Kriegs-Rethorik von US-Präsident Donald Trump nicht günstiger geworden.
Dies hat bei Kubas Regierung zu einer »Fasten-your-seatbelts«-Reaktion geführt. Weitere Schritte von Öffnung und Reform wurden hintenangestellt. So wurde die Dezentralisierung von Staatsbetrieben verlangsamt, der Genehmigungsprozess von Auslandsinvestitionen verläuft schleppend; die Öffnung des Privatsektors ist ins Stocken geraten.
Der neue Präsident des Staatsrates, Miguel Díaz-Canel, dürfte die vorsichtige Politik seines Vorgängers Raúl Castro fortführen; zumal Castro bis 2021 Parteichef bleibt - und damit in politische und ökonomische Entscheidungen weiter eingebunden sein wird. Einschneidende Veränderungen sind also nicht zu erwarten.
In vielen Aspekten aber wird die neue Verfassung die neuen kubanischen Realitäten besser widerspiegeln. So sollte ein Rechtsrahmen für kleine und mittlere private Unternehmen geschaffen werden. Darüber hinaus wird eine Reform des Wahlsystems und die Anerkennung größerer Rechte für Homosexuelle und Transmenschen, einschließlich der gleichgeschlechtlichen Ehe, erwartet. Zudem dürften sich andere, während Castros Regierungszeit angestoßene Reformen, wie die Beschränkung von politischen Posten auf zwei Amtszeiten in der neuen Verfassung wiederfinden. In seiner Rede während der konstituierenden Sitzung des Parlaments vom 19. April deutete Raúl Castro zudem die Möglichkeit an, dass der Posten eines Ministerpräsidenten geschaffen werden könnte, der die Regierung führt.
Gleichzeitig hat die Regierung wiederholt bekräftigt, dass die Produktionsmittel in den Händen des Staates verbleiben und privatwirtschaftliche Tätigkeiten einzig ergänzenden Charakter in der zentral gelenkten Wirtschaft haben. Am Ein-Parteien-System und der Führungsrolle der Kommunistischen Partei werde sich nichts ändern. Auch in der neuen Verfassung nicht.
Für Juan Valdés Paz, kubanischer Soziologe und Politikwissenschaftler, ist das Problem ohnehin ein anderes, wie er gegenüber dem »nd« sagte: »Wir müssen nicht nur den Verfassungstext ändern, sondern die Rolle und den Platz, den sie in der kubanischen Gesellschaft einnimmt.«
Andreas Knobloch
Neues Deutschland, 02.06.2018