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Deutungskampf über Schallattacken
Kubanischen Behörden finden keine Anhaltspunkte für Angriff auf US-Botschaft.
Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über die mutmaßlichen »Schallangriffe« gegen US-Diplomaten auf Kuba hat begonnen. Zur besten Sendezeit am Donnerstagabend stellten die kubanischen Behörden in einer halbstündigen Fernsehdokumentation die Zwischenergebnisse ihrer Untersuchungen zu den Vorkommnissen dar. Fazit: Man habe keine Hinweise gefunden, dass US-Diplomaten in Havanna Opfer von Akustikangriffen geworden sind. Mehr als 2000 Personen waren an den Untersuchungen beteiligt, darunter Kriminologen, Akustikexperten und Mathematiker. »Es konnten weder mögliche Täter noch Personen mit einer entsprechenden Motivation, Intention oder mit den Mitteln, um solch eine Aktion durchzuführen, ermittelt werden.«
Bei mindestens 24 auf der Insel stationierten US-Diplomaten und deren Angehörigen waren seit November vergangenen Jahres Migräne, Übelkeit, Gedächtnislücken und Taubheitssymptome bis hin zum Verlust der Hörkraft aufgetreten. Auslöser sollen »akustische Attacken« sein. Erst Ende Februar dieses Jahres informierte Washington das kubanische Außenministerium über die Vorfälle.
»Die Behörden der Vereinigten Staaten haben Kuba die Verantwortung für die Untersuchung, Feststellung und Beseitigung dieser Vorfälle gegeben«, sagte Oberstleutnant Estrada Portales, Leiter der kriminalpolizeilichen Abteilung des Innenministeriums. »Sie haben weder Zugang zu den Ermittlern noch dem Geschehen gewährt, weil sie erst Monate, Tage und Stunden nach ihrem Eintreten informiert haben, weder zu den Opfern, noch zu den Zeugen. Es gibt keine Möglichkeit zu wissen, was ein Opfer beitragen kann, ohne es zu interviewen«, beklagte er die mangelnde Kooperation der US-Ermittler.
Kuba selbst hatte - das ist ungewöhnlich und Zeichen, wie ernst der kubanischen Regierung die Angelegenheit ist - mehrmals FBI-Teams ins Land gelassen, um vor Ort zu ermitteln. Die von den US-Behörden übermittelte Krankenakte der mindestens 20 Geschädigten hatte nur eine Seite und war sehr allgemein gehalten. »Wir hatten nicht wirklich eine Information, die wissenschaftlich und zuverlässig ist, um in irgendeiner Weise zu einer Schlussfolgerung zu gelangen«, so Dr. Manuel Jorge Villar Kuscevic, Facharzt und Chirurg für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde.
Am Tag vor der Ausstrahlung der TV-Dokumentation hatten vier hochrangige kubanische Offizielle in einem auf NBC ausgestrahlten Exklusivinterview jede Beteiligung ihrer Regierung an »akustischen Attacken« zurückgewiesen: »Es ist unmöglich. Wir sprechen über Science-Fiction«, sagte Oberstleutnant José Alazo, Leiter der Abteilung für strafrechtliche Ermittlungen des Innenministeriums. Man habe auch Luft- und Bodenproben analysiert, untersucht, ob Insekten die Übeltäter sein könnten und eine Reihe toxischer Chemikalien und die Möglichkeit elektromagnetischer Wellen betrachtet, sagten die Beamten. Akustische Waffen wären aufgefallen oder hätten Dritte geschädigt, so die kubanischen Ermittler. Es fällt auf, dass die Nachbarn der Umgebung der Attacken nicht betroffen sind oder zumindest die vermeintlichen Geräusche nicht wahrnahmen.
Vor wenigen Tagen hatte US-Präsident Donald Trump erstmals die kubanische Regierung direkt für die Gesundheitsschäden der US-Diplomaten auf der Insel verantwortlich gemacht. Der mysteriöse Fall hatte zu einer rapiden Verschlechterung der bilateralen Beziehungen geführt; die USA zogen Ende September einen Großteil ihres Botschaftspersonals aus Havanna ab und wiesen wenige Tage später 15 kubanische Diplomaten aus.
Daniel Stolik, Physikprofessor der Universität Havanna, sagte vergangene Woche in einem Interview mit der Tageszeitung Juventud Rebelde, er habe, als er das erste Mal von den Vorwürfen gehört habe, an eine Erfindung gedacht. »Als die Maßnahmen ergriffen wurden, um die Beziehungen zu Kuba zu verringern, habe ich verstanden, was der Zweck ist.«
Andreas Knobloch
Neues Deutschland, 30.10.2017