Nachrichten aus und über Kuba
Nachrichten, Berichte, Reportagen zu aktuellen Entwicklungen, Hintergründen und Ereignissen in Kuba, internationale Beziehungen und der Solidarität mit Kuba.
Klassenpresse
Hurrikan »Irma«: Medien ignorieren Kuba.
Springers Tageszeitung Die Welt wähnt sich im Auge eines Hurrikans, dem der »Lügenpresse«-Rufer. Und zwar nicht derjenigen, die sich darüber ärgern, dass Bild und Co. nicht mehr so unverhohlen wie früher zu Mord und Totschlag aufrufen, also denen von rechts. Nein, diesmal kommt der Sturm der Wut von links: »Nach der zerstörerischen Wucht von ›Irma‹ folgt die Empörungswelle in den sozialen Netzwerken.«
Was ist geschehen? Die Welt-Redaktion muss einräumen, dass ihr erboste Leser zusetzen, vor allem via Kurznachrichtendienst Twitter. »Überall #Irma und Florida. Warum nicht #Irma und #Kuba?«, fragen sie. Wie Nutzerin @spinnea: »Sind Kubaner weniger wichtig?«
Tatsächlich ist die Ankunft des Wirbelsturms in Florida überall, nicht nur in der Welt, seiten- und bildschirmfüllend präsent, während von der kleinen Insel, die bereits vorher von dem Unwetter getroffen wurde, in den großen bürgerlichen Medien so gut wie nichts zu sehen ist. Die Welt kommt nicht umhin zuzugestehen: »In der Tat hat Kuba die Wucht des Hurrikans ›Irma‹ voll getroffen.« Aber – und das muss man sich in Versalien denken: Die USA sind uns einfach näher. Der überflutete Wal-Mart, das könnte auch ein Rewe, Aldi, Lidl sein. Die emotionale Verbindung steht, während Kuba nun mal sozialistisch ist.
»Fast immer werden Reporter vorab ausgefragt, mit wem sie wann und wo über was reden wollen«, führt die Welt zur eigenen Ehrenrettung an: Also ist es völlig unmöglich, aus dem Land zu berichten. Schließlich ist »auf Kuba nur eine Macht noch stärker als ›Irma‹: Die staatliche Zensur.« Wenn es darum ging, mediokre »Dissidenten« oder »kritische Blogger« ausfindig zu machen, haben es die deutschen Medien noch immer auf die sozialistische Insel geschafft. Ein simpler Bericht über das Wetter soll nun kläglich scheitern?
Schließlich findet die Zeitung doch noch in die Spur, selbst Dissidenten sind zur Hand: »Unabhängige Blogs wie ›14ymedio‹« berichteten »über die leeren Supermärkte vor der Ankunft von Irma«. Ach – die haben auch Supermärkte? Vielleicht sind die Kubaner also doch Menschen wie wir.
Nicht berichtet wird über das vorbildliche kubanische Wetterwarnsystem, über die effektiven Evakuierungen. Oder über das Hilfsangebot, dass die arme Insel trotz allem an die USA sandte. All dies stünde in hartem Kontrast zu den Vereinigten Staaten: Dort sind bislang nicht einmal die Verwüstungen, die der Sturm »Katrina« 2005 (!) anrichtete, beseitigt. Man mag sich nicht ausmalen, wie lange die Ärmeren unter den Folgen der neuen Katastrophe zu leiden haben werden. Doch vielleicht ist auch das Stadium des posthegemonialen Verfalls, in dem sich die USA befinden, einfach enger dran am Empfinden hierzulande.
Über »Lügenpresse« zumindest muss sich in der BRD wirklich niemand aufregen. Wir haben Klassenpresse, und die funktioniert tadellos.
Veröffentlichung |
Sebastian Carlens
junge Welt, 12.09.2017