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Kubas bester Panzerfahrer
Der Dokfilm »Transit Havanna« über Transsexuelle, die zum Sozialismus stehen.
Drei adrette Damen unterhalten sich im Aufzug über das Wetter – seit Tagen ist es endlich mal besser und offenbar ideal für den Strand, denn dorthin brechen die drei jetzt mit dem Taxi auf. »Für den Strand binde ich mir immer die Hoden ab«, erklärt die eine. Die zweite hält es genauso: »Sonst bin ich viel zu gestresst.« Der Kopf des Fahrers zuckt, wenn auch nur ganz kurz.
So beginnt »Transit Havanna«, ein Film über die Transgender-Community und geschlechtsangleichende Operationen in Kuba. Die Wortführerin im Taxi ist Malú, eine der drei Hauptpersonen. Sie ist in der Gemeinschaft sehr aktiv, organisiert den Austausch auf lokaler wie auf Landesebene. Mit Blick auf die gemeinsame Sache ist sie knallhart: Sie könne nicht alle 80 Interessierten zu einer Konferenz nach Santiago de Cuba mitnehmen, denn die würden nur viel essen und Geld kosten, die Arbeit aber kein Stück voranbringen. Seit langem wartet sie auf ihre geschlechtsangleichende Operation. Ihr Leben und die hohe gesellschaftliche Anerkennung als Transfrau hat sie sich hart erkämpft, nicht nur gegen den – auch gewaltsamen – Widerstand ihres Vaters.
Damit ist sie im Film nicht die einzige. Odette ringt mit ihrer zutiefst katholischen Familie. Als sie endlich operiert werden soll, verstört ein Anruf ihres Priesters sie so sehr, dass die Ärzte die Prozedur abbrechen. Der anschließende Streit geht an die Nieren: Gott habe eben Mann und Frau erschaffen, wird ihr entgegengeworfen. So wolle sie mit Religion nichts zu tun haben, hält sie dagegen, droht verzweifelt mit Selbstmord. Hin- und hergerissen zwischen verschiedenen Welten fühlt sie sich auch in der Trans-Community nicht richtig aufgehoben. Sie ist gläubig und erzählt stolz, der »beste Panzerfahrer Kubas« zu sein. Beim Militär wird sie noch unter ihrem männlichen Geburtsnamen geführt. Wenn ihre Kameraden sie im Falle eines Krieges daheim abholten, würden die ganz schön gucken, meint Odette.
Die dritte Person, die das Filmteam monatelang begleitet hat, ist Juani, der seit 1970 für die Rechte von Transmenschen kämpft und sich deshalb selbst als »ersten Transsexuellen« Kubas bezeichnet. Er zeigt dem Filmteam Fotos aus seiner Kindheit – Röcke habe er nie getragen. In seinen 20ern war er bereits in Behandlung und trug den Bart schon fast so wie heute.
Eine Klammer des Films sind die Arzttermine, zu denen die drei begleitet werden. Einmal im Jahr bieten ein belgischer und ein holländischer Mediziner in Havanna kostenlose geschlechtsangleichende Operationen an. Eine weitere Klammer ist der politische Kampf um die Rechte von Homosexuellen und Trans-Menschen, der in Kuba eng verknüpft ist mit der Leiterin des Nationalen Zentrums für Sexualaufklärung (Cenesex), Mariela Castro, Tochter des Staatspräsidenten Raúl. Sie wird nicht müde zu erklären, wie die sexuelle Revolution mit den Werten der kubanischen Revolution und dem Sozialismus zusammenhängen. Die Community dankt es ihr mit hoher Anerkennung. Jedes ihrer Interviews wird im Fernsehen geguckt – bis zum Stromausfall. Einem glücklichen Zufall ist es wohl zu verdanken, dass die Dreharbeiten mit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu den USA zusammenfielen. Die so aufgezeichneten emotionalen Reaktionen verdeutlichen, wie wichtig, aber auch wie kontrovers diese Entwicklung in Kuba aufgenommen wurde.
Nur selten hört man die Filmemacher mit ihrem deutlichen Akzent Fragen stellen. Die Szenen sollen für sich sprechen, sind ohne weitere Erklärung aneinandergereiht, offenbar weitgehend chronologisch. Ohne Vorwissen über Kuba und seine Transgender-Politik sind einige Begriffe und Ereignisse schwer einzuordnen – was eine »Libreta« ist (eine Karte zum Erwerb hochsubventionierter Nahrungsmittel), wie die Operationen ungefähr funktionieren, dass diese in Kuba kostenlos sind. Es fehlt ein roter Faden, manche Erzählsprünge wollen nicht recht einleuchten und so richtig Spannung kommt auch nicht auf. Dass es trotzdem nicht langweilig wird, liegt vor allem an Malú, Odette und Juani, diesen vielschichtigen Persönlichkeiten mit ihren Sehnsüchten und ihrem Kampfgeist.
Positive Seite der Machart des Film ist, dass die Hauptfiguren für sich sprechen können – auch über ihre Haltung zu Kuba. Dies ist erstaunlich angesichts eines Interviews mit Regisseur Daniel Abma auf der »Transit Havanna«-Internetseite, in dem die üblichen antikommunistischen Vorurteile mitschwingen. Es gebe viele fortschrittliche Seiten an dem Land, aber nur innerhalb »der alten sozialistischen Strukturen« – mit »viel Propaganda und Rhetorik und ohne Transparenz«. Menschenrechte abseits der Sexualpolitik würden ignoriert.
Malú, Odette und Juani dagegen zeigen im Film auf ihre jeweils individuelle Weise sehr deutlich, dass sie hinter dem Sozialismus in Kuba stehen – trotz der persönlichen Schwierigkeiten und der Rückschläge, die sie alle erfahren haben. Dass der Film ihnen keine andere Meinung in den Mund legt, damit sehr objektiv bleibt und ein komplexes Thema in anderthalb Stunden facettenreich beleuchtet, sind seine großen, aber auch seine einzigen Stärken.
»Transit Havanna«, Regie: Daniel Abma, D 2016, 88 min, im Kino läuft der Film das nächste Mal auf dem »Because We Are Friends Festival« im mecklenburgischen Jesendorf (27.–30. Juli), auf DVD ist er so gut wie überall erhältlich.
Veröffentlichung |
Lena Kreymann
junge Welt, 22.07.2017